Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Trump degradiert die WHO zum Kampfschauplatz

Die Weltgesundheitsorganisation gerät zwischen die Fronten von USA und China. Europa findet bisher nicht die Kraft, um dem etwas entgegenzusetzen.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

US-Präsident Donald Trump weigert sich standhaft, in der Corona-Pandemie eine Mund-Nasen-Maske zu tragen. Lieber schluckt er zur Vorbeugung das Malaria-Mittel Hydroxychloroquin. Entgegen den Warnungen der Arzneimittelbehörde seiner Regierung. Ähnlich erratisch mutet sein Umgang mit der Weltgesundheitsorganisation WHO an.

Mitten in der Krise, die zu bewältigen die Organisation helfen soll, droht er mit dem Austritt der USA. Die Überweisungen hat der größte Zahler von Pflichtbeiträgen bereits gestoppt. Nun stellt er auch noch ein Ultimatum, nach dem die WHO sich binnen 30 Tagen zu "wesentlichen substanziellen Verbesserungen" verpflichten soll, die er nicht näher benennt. Auch müsse sie "Unabhängigkeit von China demonstrieren" - ein Mitgliedstaat immerhin, der gleiche Rechte genießt wie die USA und zugleich für die WHO wachsende Bedeutung hat.

Trumps vierseitiger Brief erinnert ein bisschen an Rezos Video "Die Zerstörung der CDU". Er enthält durchaus bedenkenswerte und stichhaltige Kritikpunkte am Umgang der WHO mit der Krise. Und den berechtigten Hinweis, dass sie während der Sars-Epidemie 2002/03 unter Generaldirektorin Gro Harlem Brundtland bewiesen hat, dass sie auch anders kann, wenn sie sich nicht selbst reduziert zu einer rein technischen Behörde und einem unpolitischen Dienstleister. Doch muss man angesichts der daran geknüpften Drohungen Trumps zweifeln, dass er redliche Absichten verfolgt, etwa Reformen anzustoßen, die auch die Europäer als unerlässlich erachten.

Trump macht die WHO zum Austragungsort der geopolitischen Auseinandersetzung mit China und instrumentalisiert die Krise für Wahlkampfzwecke, um über sein eigenes Versagen hinwegzutäuschen. Das ist für die weltweiten Anstrengungen zur Eindämmung der Pandemie ungefähr so förderlich, wie das Trinken oder Injizieren von Desinfektionsmitteln zur Bekämpfung des Virus, über die Trump neulich faselte. Innenpolitisch mag das für ihn funktionieren; Meinungsumfragen legen nahe, dass immer mehr Amerikaner vor allem aus Trumps eigenem Lager glauben, dass primär China und die WHO für die Verheerungen in den USA verantwortlich zu machen sind. Das könnte reichen, um eine Wahl zu gewinnen, die letztlich in einer Handvoll Swing States entschieden wird.

Trump will privilegierten Zugriff auf einen Impfstoff

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Zugleich verspielt der Präsident aber so den Rest der internationalen Führungsrolle, die etwa sein Außenministerium Tag für Tag reklamiert - und macht es China leicht, dieses Vakuum zu füllen. Während Trump versucht, den USA privilegierten Zugriff auf einen möglichen Impfstoff zu sichern, seift sein Widersacher, der chinesische Präsident Xi Jinping, die Welt mit großen Versprechen ein: zwei Milliarden Dollar für die Entwicklungsländer, einen möglichen Impfstoff werde Peking mit der Welt teilen.

Zwischen diesen beiden Polen stehen verzweifelt die Europäer, die glaubten, den Clash noch mit einer Kompromiss-Resolution in der WHO abwenden zu können. Sie banden die USA ein, unterschätzten aber die Wirkungsmacht der America-First-Doktrin, die sich in Trumps Brief entfaltet und sich schon im Umgang der USA mit anderen internationalen Organisationen und Vereinbarungen manifestiert hat. Und sie banden China ein - das sich von vorneherein jederlei Untersuchung oder Kritik des Handelns der Regierung und letztlich der Kommunistischen Partei verbat.

Die Appelle aus europäischen Hauptstädten und Brüssel, das Beschwören von Multilateralismus und regelbasierter internationaler Ordnung sind berechtigt. Aber sie wirken so hilflos, als wollte man die Corona-Krise mit Gesundbeten bewältigen. Bei der Entwicklung eines Impfstoffs hat Europa mit der Geberkonferenz endlich einmal so etwas wie eine Führungsrolle übernommen. Es gibt genug kleine und mittlere Staaten, die befürchten, in der Konkurrenz zwischen den USA und China zerrieben zu werden und sich nichts sehnlicher wünschen als eine Alternative zwischen diesen beiden Polen.

Europa wäre dazu prädestiniert, ist aber bedauerlicherweise zu zerstritten, zu sehr geschwächt, zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

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