Coronavirus:Positiv getestet, aber nicht ansteckend

Coronavirus: Corona-Test in München: Labore teilen Gesundheitsämtern nicht immer alle Informationen mit.

Corona-Test in München: Labore teilen Gesundheitsämtern nicht immer alle Informationen mit.

(Foto: AP)

Nach einem Corona-Test teilen die Labore den Gesundheitsämtern oft den sogenannten Ct-Wert nicht mit. Dabei kann dieser einen wichtigen Hinweis darauf geben, wie lange ein Infizierter sich isolieren muss.

Von Markus Grill und Kristiana Ludwig, Berlin

Bereits im März hatte sich Philipp Traxel mit dem Coronavirus infiziert, vermutlich bei einem Kurzurlaub in Paris mit zwei Freunden. Wenige Tage nach seiner Rückkehr bekam der 28-jährige Rheinländer leichtes Fieber und Kopfschmerzen. Der Test bei seiner Hausärztin war positiv. So wie viele andere Infizierte hatte er seinen Geschmackssinn verloren und keinen Appetit, wie er sagt: "Ich hab' in der Zeit acht Kilo abgenommen." Auch nach dem Ende der Infektion fühlte er sich noch mehrere Wochen schlapp. Erst im Sommer sei seine Kondition wieder auf dem Level von früher gewesen.

Im September brach Traxel dann gemeinsam mit seiner Freundin zu einer Urlaubsreise nach Portugal auf. Als sie nach einer Woche wieder auf dem Köln-Bonner Flughafen landeten, machte er als Reiserückkehrer den verpflichtenden Corona-Test - und war angeblich wieder positiv.

Wie kann das sein? Das Robert-Koch-Institut (RKI) weist aktuell darauf hin, dass Infizierte auch "noch Wochen nach dem Symptombeginn" positiv getestet werden können. Die US-amerikanischen Centers for Disease Control berichten sogar, dass Menschen noch drei Monate nach ihrer Genesung "niedrige Virenlevel" im Körper haben können. "Dass diese positiven PCR-Ergebnisse bei genesenen Patienten nicht mit Ansteckungsfähigkeit gleichzusetzen ist, wurde in mehreren Analysen gezeigt", schreibt das RKI.

Ob jemand trotz eines positiven Corona-Tests nicht mehr ansteckend ist, kann der sogenannte Ct-Wert zeigen. Dieser Laborwert gibt an, wie viele Zyklen ein PCR-Test durchlaufen musste, um ein positives Ergebnis zu zeigen. Je höher der Wert, desto weniger Virusmenge ist vorhanden. Bei Proben mit viel Virusmaterial schlägt der Test oft schon nach 15 Ct-Runden an. Ab etwa 30 Runden findet sich in der Regel aber kein Virus mehr, das vermehrungsfähig wäre. Der Ct-Wert ist deshalb nach Angaben des RKI ein Wert, der "für die Verkürzung der Isolierungsdauer" herangezogen werden könnte.

Wie gehen also die Gesundheitsämter mit diesem Wert um? Das wollten NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung wissen und haben deshalb alle Gesundheitsämter zunächst gefragt, ob sie diesen Wert von den medizinischen Laboren überhaupt mitgeteilt bekommen. Von den 137 deutschen Gesundheitsämtern, die Fragen dazu beantwortet haben, teilten 73 Prozent mit, dass sie bei einem positiven PCR-Test den Ct-Wert "selten" oder "nie" mitgeteilt bekommen. Nur elf Prozent erhalten diesen Wert "meistens" oder "immer". Bundesweit gibt es dabei große Unterschiede: Während in Baden-Württemberg 44 Prozent der Ämter den Ct-Wert "selten" oder "nie" mitgeteilt bekommen, ist dies in Rheinland-Pfalz bei 86 Prozent und in Thüringen gar bei 92 Prozent der Ämter der Fall.

Ein Reiserückkehrer musste zu Hause bleiben - obwohl er schon vor Monaten Corona hatte

Doch ohne diesen Wert haben die Gesundheitsämter auch keine Anhaltspunkte dafür, ob ein Mensch gerade hochinfektiös ist oder die Krankheit vielleicht längst durchgestanden hat. Hohe Ct-Werte, die auf eine lange zurückliegende Infektion hinweisen, scheinen jedenfalls bei den Ämtern, die sie heute schon kennen, keine Seltenheit zu sein. So schreibt das Gesundheitsamt Bremen: "In 124 Fällen wurde durch die zuständigen Labore ein Ct-Wert erhoben. Von den vorliegenden Ct-Werten waren insgesamt 20 Ct-Werte in einem Bereich, bei dem von einer geringen Virenlast in der Probe ausgegangen werden." Im Zollernalbkreis in Baden-Württemberg liegt in 20 Prozent der Fälle, in denen ein Ct-Wert mitgeteilt wurde, der Wert über 30, im Kreis Bergstraße war dies bei 35 Prozent und in Viersen bei 63 Prozent der Fall. Ein Teil der Menschen mit einem positiven Test hätten also möglicherweise auf eine Isolierung verzichten können.

Das Uniklinikum Essen, das die Corona-Tests für die Stadt auswertet, will nun damit beginnen, diesen Wert weiterzugeben, sagt der Leiter des Instituts für Virologie, Ulf Dittmer. Er ist zugleich Vizepräsident der deutschen Gesellschaft für Virologie: "Mitte September haben wir dieses Thema auch in der Fachgesellschaft diskutiert und seitdem kommt das ins Rollen", sagt er. Es setze hier gerade ein Umdenken ein.

Der Reiserückkehrer Traxel hatte bei seinem Test im September einen Ct-Wert von 40, einen der höchstmöglichen überhaupt. Sein Gesundheitsamt im Rhein-Erft-Kreis zeigte sich davon jedoch unbeeindruckt. Obwohl er das Amt darauf hingewiesen habe, dass er im März schon erkrankt war, ordnete es erneut eine zehntägige Isolation an. Seine Freundin musste als enge Kontaktperson trotz negativem Corona-Test ebenfalls 14 Tage in Quarantäne. "Ich verstehe das nicht", sagt Traxel: "Das Gesundheitsamt hat behauptet, dass es sich bei mir nicht um Restviren der ersten Infektion handeln müsse, sondern um eine Zweitinfektion. Aber wie kommen die drauf?"

Als Traxel sich ans Robert-Koch-Institut wendet, schreibt ihm eine Sprecherin am 24. September: "Wenn eine Infektion im März nachgewiesen wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die Person heute nicht mehr ansteckend ist. Bei den meisten PCR Tests wird Ct-Wert 40 als negativ gewertet." Traxel leitet die Mail an sein Gesundheitsamt weiter. Doch der dortige Amtsarzt antwortet ihm, er "respektiere" zwar die Einschätzung des RKI, trage aber "die Verantwortung". Der Ct-Wert sei "leider nicht verlässlich, um daraus Schlüsse hinsichtlich der Isolierungsdauer zu ziehen". Es bleibe bei der Isolation. Fragen zu dem Fall will das Gesundheitsamt Rhein-Erft nicht beantworten. Der Sachbearbeiter sei derzeit im Urlaub, teilt der Amtsleiter Franz-Josef Schuba mit. Nur so viel: "Im vorliegenden Fall scheint die Fragestellung insgesamt eine etwas komplexere gewesen zu sein."

Der Virologe Dittmer aus Essen sagt, dass er den Fall Traxel "anders bewertet" hätte: "Wir hätten dann einen Antikörpertest gemacht." An seinem Klinikum würden sogar Ärztinnen und Ärzte mit diesen Werten wieder regulär arbeiten. "Wir hatten einige Mitarbeiter hier, die waren monatelang positiv in jedem Test, aber immer mit ganz hohen Ct-Werten, die haben wir dann nach einem positiven Antikörpertest als gesund betrachtet." Dittmer spricht sich dafür aus, dass bei jedem positiven Test auch der Ct-Wert ans Gesundheitsamt geschickt wird: "Es wäre gut, wenn alle Labore in Deutschland das machen."

Der Vorsitzende des Berufsverbandes Akkreditierte Labore in der Medizin, Michael Müller, lehnt diese Forderung jedoch ab. Der PCR-Test könne eben nicht feststellen, wie stark positiv ein Mensch sei. Alle Versuche, "daraus einen quantitativen Test zu machen, sind mit Vorsicht zu genießen". Wenn man allen Ämtern den Ct-Wert mitteile, "gibt's auch das Risiko, dass die missverstanden werden können", sagt er.

Auch der Virologe Dittmer betont, dass man nicht allein auf den Ct-Wert vertrauen könne. Tests verschiedener Hersteller könnten voneinander abweichen, oder ein Arzt könnte mit dem Teststäbchen nur wenig Virusmaterial gesammelt haben. Klarheit könne dann ein zweiter Test verschaffen. Sei der Wert danach gleich oder höher, sei es sehr wahrscheinlich, dass sich nur noch sehr geringe Virusmengen im Körper finden. Besser als zwei Wochen Isolation sei ein zweiter Test allemal.

Zur SZ-Startseite
Qiagen hat ein Testkit für Corona-Tests auf den Markt gebracht.

SZ PlusExklusivQiagen
:Die Zins-Geschäfte des Corona-Test-Herstellers

Der Biotech-Konzern Qiagen steht wegen der Seuche plötzlich in der Öffentlichkeit - und bekommt Fördergeld vom Staat. Doch das Unternehmen selbst vermeidet offenbar Steuern in Millionenhöhe.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: