Coronavirus:Wie die Telefonkonferenz eskalierte

Ministerpräsidentenkonferenz trifft Bundesregierung

Ministerpräsidentenkonferenz trifft auf Bundesregierung am 12.März 2020: Mittlerweile konferieren Bundeskanzlerin Angela Merkel, Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, per Telefon.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Bund und Länder haben sich auf Ausgangsbeschränkungen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus geeinigt.
  • Doch bei der Telefonkonferenz zwischen der Kanzlerin, einigen Bundesministern und den Ministerpräsidenten kam es zum offenen Eklat.
  • NRW-Ministerpräsident Laschet präsentierte ein mit elf anderen Ländern abgestimmtes Papier gegen Ausgangssperren, was ihm der bayerische Amtskollege Söder übel nahm.

Von Nico Fried und Boris Herrmann, Berlin

Eine der spürbaren Auswirkungen dieser Krise ist, dass der Sonntag eine neue Bedeutung erlangt. Der Sonntag, das war einmal der Tag der Ruhe und der Einkehr. Für viele Menschen war es auch der Tag des Kirchgangs. Gottesdienste sind in Deutschland verboten, niemand weiß, wie lange. Der Sonntag aber entwickelt sich zum Tag der Entscheidung.

Immer wieder sonntags schaltet sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit anderen maßgeblichen Menschen dieser Republik zu Telefonkonferenzen zusammen, in denen Beschlüsse gefasst werden, die das Leben der Deutschen grundlegend verändern. Am vergangenen Sonntag stand am Ende des Telefonats die Einführung von Grenzkontrollen. An diesem Sonntag ging es in der Schalte mit den Ministerpräsidenten und den wichtigsten Bundesministern um eine der folgenschwersten staatlichen Maßnahmen seit Jahrzehnten, nämlich um die Frage: Wer darf unter welchen Konditionen sein Haus verlassen?

Die Kanzlerin zumindest wird nun vorerst zu Hause bleiben. Bevor sie sich wegen des Kontaktes zu einem inzwischen positiv getesteten Arzt in häusliche Quarantäne begab, trat sie um 17.30 Uhr im Bundeskanzleramt aber noch einmal vor die Presse und verkündete das Ergebnis einer, man kann wohl sagen, turbulenten Schaltkonferenz: Sie sprach von "erweiterten Leitlinien", um das öffentliche Leben so weit herunterzufahren, wie es vertretbar sei. "Kurz gesagt, so retten wir Leben", sagte die Kanzlerin in ihrer Ansprache, die im Tonfall an ihren emotionalen Fernsehauftritt vom vergangenen Mittwoch erinnerte. Merkel zufolge ist mit dem Beschluss vom Sonntag der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur noch alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet. Die Regelung gilt nicht für den Arbeitsplatz. Von einer generellen Ausgangssperre, wie sie etwa in Italien gilt, sah die Runde aber wie erwartet ab.

Merkel sagte: "Wir wollen den Menschen erlauben, das Haus zu verlassen, um frische Luft zu schnappen." Die jetzt erlassenen Maßnahmen seien allerdings keine Empfehlungen, sondern Regeln, an die sich alle zu halten hätten. Zu diesen Regeln gehört, auch in der Öffentlichkeit "wo immer möglich" einen Mindestabstand von 1,50 Metern einzuhalten. Restaurants werden geschlossen. Die Lieferung und Abholung von Speisen bleibt erlaubt. Schließen müssen nun auch die Friseure, Kosmetikstudios und ähnliche Betriebe, Ausnahmen gelten für medizinisch notwendige Behandlungen. Merkel sagte, sie sei tief bewegt, dass sich "Millionen und Abermillionen" an die bereits getroffenen Ausgangsbeschränkungen hielten, und sie sei überzeugt, dass dieser Gemeinsinn alle durch die schwere Zeit führen werde. Ihr eindringlicher Appell lautete: "Bitte ziehen Sie alle mit!" Das war an die gesamte Bevölkerung gerichtet, aber wie es aussieht, scheinen sich nicht einmal alle Ministerpräsidenten daran zu halten. Bayerns Landeschef Markus Söder (CSU) will das Ansammlungsverbot für mehr als zwei Personen offenbar nicht übernehmen. Laut dpa soll es bei der bayerischen Regelung bleiben, wonach man nur mit Angehörigen des eigenen Hausstandes an die frische Luft gehen dürfe.

Dabei war es an diesem Sonntag auch um den Versuch der Kanzlerin gegangen, die Länder zu einem einheitlichen Vorgehen zu bringen. Deutschland bewegt sich ja schon seit Tagen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in seinen 16 Einzelteilen auf einen Zustand zu, bei dem praktisch jeden Tag Sonntag ist: Schulen und Kitas zu, Büros verwaist, Läden dicht. Dabei ist ein Flickenteppich aus Regelungen und Ausnahmen entstanden, bei dem es zuletzt wohl kaum noch jemandem gelang, den Überblick zu bewahren. Im Krisenmanagement hat sich der deutsche Föderalismus vor allem als politischer Streitgegenstand erwiesen - wo doch jetzt eigentlich alle zusammenhalten sollen gegen das Virus.

Von Zusammenhalt konnte in der Telefonkonferenz am Sonntag aber offenbar keine Rede sein, trotz des gemeinsamen Beschlusses. Das zeigt schon die Tatsache, dass noch vor der Pressekonferenz der Kanzlerin mehrere Landeschefs mit eigenen Pressekonferenzen vorpreschten, um den eigenen Einfluss auf das Ergebnis der Beratungen zu betonen. Den Anfang machte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) um 16.30 Uhr, also eine Stunde vor der Kanzlerin. Um 17 Uhr informierten dann parallel die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sowie Baden-Württembergs Landeschef Winfried Kretschmann (Grüne) über die Ergebnisse des Telefonats mit der Kanzlerin. Laut der Darstellung Kretschmanns gilt jetzt schlichtweg im ganzen Bundesgebiet, was in seinem Land bereits galt: "Die Einigung nimmt die baden-württembergische Linie auf".

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Laschet bezeichnete wiederum den von ihm eingebrachten Begriff eines "Kontaktverbots" als breiten Konsens. Das wurde aber aus Bayern dementiert. Auffällig war auch, dass sich Merkel das Wort "Kontaktverbot" nicht zu eigen machte. Es gehe darum, Kontakte weiter zu reduzieren, sagte sie. Als Hauptkontrahenten in diesem Durcheinander gelten mittlerweile Söder und Laschet. In der Telefonschalte mit der Kanzlerin kam es zum offenen Eklat: Laschet präsentierte ein mit elf anderen Ländern abgestimmtes Papier, das sich gegen Ausgangssperren richtete. Söder soll daraufhin damit gedroht haben, die Schaltkonferenz vorzeitig zu verlassen, auch weil das Papier nicht mit ihm abgestimmt worden war. Andere Teilnehmer kritisierten jedoch Söder dafür, dass er sich als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz nicht ausreichend um Abstimmung bemühe. Solche Vorhalte haben mittlerweile für reichlich Unmut in der Bayerischen Staatskanzlei gesorgt, wo man sich zu Unrecht an den Pranger gestellt sieht. Es gibt in diesen Fragen keinen direkten Zugriff für den Bund, die Kanzlerin muss deshalb auch auf die Einsicht der Länder setzen, dass eine widersprüchliche Krisenstrategie den Bürgern schwer vermittelbar ist. Die nun getroffenen Regelungen sollen für mindestens zwei Wochen gelten. Danach wollen Bund und Länder eine Zwischenbilanz ziehen - gemeinsam, es sei denn, es prescht wieder jemand vor.

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