Süddeutsche Zeitung

Spanien:Spanische Parteien streiten über Großdemonstration Anfang März

Dabei geht es um die Frage, ob die Veranstaltung die Epidemie angefacht hat und hätte abgesagt werden müssen. Fünf Tage später verhängte die Regierung den strengen Lockdown.

Von Sebastian Schoepp

Spanien ist zurück auf der Straße. Ende vergangener Woche hallte der Lärm von Kochlöffeln, die auf Töpfe geschlagen wurden, durch das Zentrum Madrids, dazu Schreie: die Regierung solle zurücktreten, und auch immer wieder "Libertad", Freiheit! Dazwischen eindringliche Polizeidurchsagen: Bitte halten Sie den Mindestabstand ein! Doch daran hielten sich weder die etwas mehr als hundert Demonstranten, die meisten von ihnen mittleren Alters, noch viele Journalisten, die diese erste Demonstration seit dem äußerst strengen Lockdown vom 13. März offenbar sozusagen hautnah miterleben wollten. Nur sehr wenige Demonstranten waren allerdings ohne Maske gekommen.

Es schien sich dort eine Wut Bahn zu brechen, von der bisher in sieben Wochen confinamiento wenig zu spüren war. Das mag nicht nur an den Restriktionen selbst gelegen haben, sondern auch an ihrer Vorgeschichte. Lange Zeit hatte die Regierung die Pandemiegefahr verharmlost, noch Ende Februar sagte der oberste Seuchenmanager im Gesundheitsministerium, Fernando Simón, Corona sei kein Grund sich groß aufzuregen. Die Menschen fühlten sich sicher, was dazu führte, dass am Wochenende des 7. und 8. März allerlei stattfand, Fußball, Fiestas und vor allem zwei politische Großveranstaltungen, die seitdem im Zentrum eines erbitterten Streits stehen. Am Sonntag, dem 8. März, wurde in Madrid eine Großkundgebung zum internationalen Frauentag abgehalten, zu der Zehntausende kamen, einander herzten, Küsschen verteilten, sangen und feierten - darunter viele Vertreterinnen der links-linken Regierung aus Sozialisten und Podemos. "Der Machismo ist schlimmer als das Coronavirus", lautete einer der Slogans.

Fünf Tage nach der Madrider Großdemonstration folgte der radikale Lockdown

Zahlreiche Teilnehmerinnen wurden danach positiv auf Corona getestet, darunter hochrangige Politikerinnen wie Irene Montero, Gleichstellungsministerin und Lebenspartnerin des stellvertretenden Regierungschefs Pablo Iglesias (Podemos). Auch die Ehefrau von Ministerpräsident Pedro Sánchez, Begoña Gómez, bekam Covid. Fünf Tag später, am 13. März, sah sich die Regierung gezwungen, einen der strengsten Lockdowns der Welt zu verhängen, vielleicht hallt der 8. März, und was an diesem Tag geschah, deshalb so stark nach.

Schon am 11. März fragte eine Abgeordnete der rechten Partei Vox im Parlament, ob die Veranstaltung nicht wie in anderen Ländern hätte abgesagt werden müssen. Die Regierung versicherte in ihrer Antwort, die Veranstaltung sei "in keiner Weise den Anweisungen der Gesundheitsbehörden zuwidergelaufen". Das stimmte, denn Fernando Simón selbst hatte gesagt, wenn jemand aus seiner Familie fragen würde, ob er hingehen solle, würde er sagen: mach ruhig. Irene Montero wiederholte auch nach überstandener Krankheit in einem Interview mit dem Fernsehsender La Sexta: Man habe sich an die Experten gehalten. Die Rechte missbrauche Corona, um den Feminismus anzugreifen.

In der Tat ist für Spaniens Rechte seitdem Fakt: Der Feminismus trägt Mitschuld an der Pandemie. Allerdings war der Frauentag keineswegs die einzige Veranstaltung an dem fraglichen Wochenende. Am Samstag hielt die rechtsextreme Partei Vox ihren Parteitag im Palacio Vistalegre im Stadtteil Carabanchel mit 9000 Teilnehmern ab, auch dieser gilt als Virenschleuder, spätestens seit der Vox-Abgeordnete Javier Ortega Smith kurz danach positiv getestet wurde. Er leidet noch heute schwer unter der Krankheit, eben erst wurde er wieder ins Krankenhaus gebracht, weil er in Folge der Infektion Blutgerinnsel in Beinen und Lunge hat.

Aktuelles zum Coronavirus - zweimal täglich per Mail oder Push-Nachricht

Alle Meldungen zur aktuellen Lage in Deutschland und weltweit sowie die wichtigsten Nachrichten des Tages - zweimal täglich im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Newsletter bringt Sie auf den neuesten Stand. Kostenlose Anmeldung: sz.de/morgenabend. In unserer Nachrichten-App (hier herunterladen) können Sie den Nachrichten-Newsletter oder Eilmeldungen auch als Push-Nachricht abonnieren.

Inzwischen herrscht Konsens in Spanien: In Seuchenzeiten eher keine Massenaufläufe

Da beide politischen Lager das Ihre abbekamen, bestand danach in Spanien erstmal Konsens, dass Massenveranstaltungen in Seuchenzeiten keine gute Idee sind. Die drakonischen Ausgangssperren wurden fast klaglos hingenommen, nur in sozialen Netzwerken regte sich schüchterner Protest, die von Sánchez ausgerufene "neue Normalität" sei "beunruhigend". Oppositionsführer Pablo Casado nahm diese Kritik jetzt aber auf, und kündigte an, seine konservative Volkspartei werde für keine weitere Verlängerung des Lockdowns stimmen. Der Burgfrieden ist also aufgekündigt. Die Auseinandersetzung vollzieht sich klar entlang der vorher existierenden politischen Grenzen.

So war es nun die Hochburg der konservativen Partei im Madrider Nobelviertel Salamanca, wo die ersten Straßenproteste der Corona-Ära stattfanden. Sie begannen vergangenen Sonntag, als eine Gruppe Jugendlicher die minimal gelockerte Ausgangssperre nutzte, um sich zu einer improvisierten kleinen Fiesta mit Musik an einer Straßenecke zu versammeln. Sofort rückte ein Mannschaftswagen der Polizei an. Kurz danach begannen Anwohner, mit Kochlöffeln auf Töpfe zu schlagen, allerdings zu diesem Zeitpunkt noch respektvoll vom Balkon aus. Es deutet aber viel darauf hin, dass diese Disziplin nun auch in Spanien dahin ist.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4910531
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.05.2020/hij
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.