Süddeutsche Zeitung

Pandemiepolitik:Strenge in der Schule, Milde im Stadion

Bundesgesundheitsminister Spahn will den Wechselunterricht auch im Herbst beibehalten. Beim Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in München missachten derweil Tausende die Maskenpflicht.

Von Angelika Slavik, Berlin

Die Vorstellungen davon, welche Vorsichtsmaßnahmen im weiteren Umgang mit dem Coronavirus angebracht sind, gehen in Deutschland weit auseinander. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte am Wochenende, der Schulbesuch werde auch im Herbst nur mit Einschränkungen möglich sein. "Wir werden nicht völlig ohne Schutzmaßnahmen wieder in den Schulbetrieb gehen können", so Spahn bei einer Diskussionsveranstaltung der Evangelischen Akademie in Tutzing. Trotz derzeit niedriger Inzidenzen würden im Herbst und Winter voraussichtlich Maskenpflicht und Wechselunterricht notwendig sein. Die Schulen könnten für das Coronavirus sonst "eine Drehscheibe in die Haushalte hinein" werden.

Auch aus der Wissenschaft kommen Warnungen vor einer vierten Corona-Welle. Anlass zur Besorgnis sei vor allem die als Delta-Variante bekannte Mutante, die zuerst in Indien aufgetreten ist. Sie dominiert mittlerweile auch in vielen europäischen Ländern das Infektionsgeschehen, mit ihr werden besonders schwere Krankheitsverläufe assoziiert. Der Berliner Virologe Christian Drosten etwa sagte bei einem Online-Kongress am Freitagabend, Deutschland sei nun "im Rennen" mit der Delta-Variante. "Wir müssen das ab jetzt wirklich ernst nehmen." Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, nannte die Mutante eine "ernst zu nehmende Gefahr für die deutsche Wirtschaft".

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kritisierte Spahns Pläne für den eingeschränkten Schulbetrieb. Würde Kindern Impfstoff angeboten, wäre ein erneutes Schuljahr mit Wechselunterricht und Maske vermeidbar, schrieb Lauterbach bei Twitter. "Auf jeden Fall ist eine Infektion mit der Delta-Variante für Kinder gefährlicher als die Impfung mit Biontech", so Lauterbach.

Laut Robert-Koch-Institut hat sich in der ersten Juni-Woche der Anteil der Delta-Variante an den Neuinfektionen in Deutschland binnen sieben Tagen auf fast sechs Prozent verdoppelt - allerdings bei insgesamt sehr niedrigem Infektionsgeschehen. Am Sonntagmorgen lag der bundesweite Inzidenzwert bei neun.

Am Abend zuvor besuchten 14 000 Fans das EM-Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft in der Allianz Arena in München. Dabei ignorierte ein großer Teil der Besucher die Maskenpflicht. Im Anschluss an den 4:2-Sieg des deutschen Teams feierten viele Menschen auf den Straßen in der Innenstadt, auch hier wurden Abstandsregeln häufig nicht eingehalten.

Bayern Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) nannte es "fahrlässig", dass sich so viele Fans nicht an die Regeln gehalten hätten. Es sei nun Sache des DFB, "plausibel darzulegen, wie er beim nächsten Spiel am Mittwoch die Masken-Regeln durchsetzen will", so Holetschek. Der DFB ist Ausrichter von insgesamt vier EM-Spielen in München. Bereits nach dem ersten Gruppenspiel der deutschen Mannschaft am vergangenen Dienstag hatten die Organisatoren versprochen, die Zuschauer verstärkt zum Tragen von Masken zu bewegen.

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