Süddeutsche Zeitung

Corona-Kosten:Wer zahlt für das Corona-Jahr?

Die schwarze Null weicht einem tiefroten Defizit. Aber wer wird die Schulden abtragen? Die Aufgabe ist gar nicht so gewaltig, sagen Ökonomen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Das Coronavirus hat den Alltag auf den Kopf gestellt - und die staatlichen Finanzen. Vor allem der Bund, aber auch die Länder müssen sich Rekordsummen leihen, um die Folgen der Pandemie mildern zu können.

An diesem Dienstag wurde bekannt, dass sich die Schulden des Staates zum Stichtag Ende September auf 2195,1 Milliarden Euro summieren, ein Anstieg um 15,6 Prozent gegenüber Ende 2019. Und das ist nicht das Ende, im vierten Quartal dürften sie weiter steigen, wegen der zusätzlichen Wirtschaftshilfen, die ganze Branchen durch die Pandemie bringen sollen. Das Gros entfällt - wenig überraschend - auf den Bund, der die meisten Maßnahmen von Krankenhauszuschüssen über die Lufthansa bis hin zu Überbrückungshilfen finanziert.

Aktuelles zum Coronavirus - zweimal täglich per Mail oder Push-Nachricht

Alle Meldungen zur aktuellen Lage in Deutschland und weltweit sowie die wichtigsten Nachrichten des Tages - zweimal täglich im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Newsletter bringt Sie auf den neuesten Stand. Kostenlose Anmeldung: sz.de/morgenabend. In unserer Nachrichten-App (hier herunterladen) können Sie den Nachrichten-Newsletter oder Eilmeldungen auch als Push-Nachricht abonnieren.

Erstmals seit 2014 wird der Bund keine schwarze Null oder einen Überschuss unter die Jahresabrechnung schreiben - sondern ein tiefrotes Defizit.

Und wer soll das bezahlen? Kommt jetzt eine Vermögensabgabe? Ein Sparprogramm im nächsten Jahr? Ein Corona-Soli?

Bange Fragen. Und auch hier geht es drunter und drüber. Zunächst, weil die Finanzierung von Schulden zusammengeworfen wird mit parteipolitischen Überlegungen, Steuergeld umzuverteilen. Aber auch, weil Bürger aus ihren eigenen Erfahrungen beim Tilgen eines Immobilienkredits auf das Bezahlen von Staatsschulden schließen. Andere übersehen die Folgen der Negativzinsen auf Staat und Wirtschaft.

Fest steht jedenfalls: Die Parteien werden im Bundestagswahlkampf 2021 mit klaren Antworten antreten müssen.

Olaf Scholz, SPD-Bundesfinanzminister und einziger bereits bekannter Kanzlerkandidat, strebt an, aus den Schulden rauszuwachsen. Seine Formel: Mit den vielen Milliarden Euro werden wirtschaftliche Strukturen erhalten, vielleicht sogar modernisiert. So gestützt, könnte die Wirtschaft in die Nach-Pandemie-Zeit durchstarten, wachsen - und wieder kräftig Steuern zahlen. Die Schuldenquote würde praktisch von alleine sinken. Scholz plant auch eine Vermögensabgabe für Superreiche - dies allerdings vor allem zum Umverteilen.

CDU und CSU haben zwar noch keinen Kanzlerkandidaten, halten aber eisern an ihrer letzten fiskalpolitischen Bastion fest. Mit der Union dürften weder Steuern steigen noch Abgaben. CDU-Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg will die Außenstände lieber heute als morgen abtragen, um den nachfolgenden Generationen keine Schuldenberge zu hinterlassen. Ganz wichtig ist ihm die extra in der Verfassung verankerte Schuldenbremse. Die muss eingehalten werden, damit Deutschland an den Finanzmärkten als verlässlich angesehen wird. Die 2009 parteiübergreifend beschlossene Schuldenbremse begrenzt die Aufnahme von neuen Krediten. In der Pandemie gilt eine Ausnahmeklausel.

Und was schlagen Ökonomen vor? "Die Schuldenbremse ist dumm", sagt der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger, es sei Zeit, sie zu reformieren. "Das Mindeste, was die Politik jetzt tun muss, ist, die Tilgungsregel zu ändern." Die jetzige Regel sieht vor, dass Schulden Euro für Euro abgetragen werden, bis die nach den EU-Kriterien erlaubte Schuldenstandsquote erreicht ist. Die Quote darf 60 Prozent betragen, bezogen auf das Bruttosozialprodukt. Bofinger argumentiert, wenn die Quote wegen der Krise auf mehr als 70 Prozent steige, könne man ja vereinbaren, dass sie nach einer bestimmten Zeit wieder bei 60 Prozent liegen müsse. Würde also nach der Pandemie kräftig in die Hände gespuckt und das Bruttosozialprodukt gesteigert, fiele die Quote von alleine, niemand müsse tilgen und sparen oder einen Corona-Soli einführen. Wer das nicht glauben wolle, der möge sich die Entwicklung nach der Finanzkrise ansehen.

Wenn man das Virus im Griff habe und das Leben losgehe, dürfe der Staat sich nicht sofort zurückziehen, warnt Bofinger. "Wir brauchen 2021 und sicher auch 2022 noch staatliche Impulse." Die Impfstoffentwicklung habe gezeigt, "dass es große Sprünge in der Wissenschaft geben kann, wenn der Staat richtig Geld in die Hand nimmt". Und ist es nicht so, dass es beim Klimaschutz vorangehen soll? Also bitte.

Das sehen auch die Grünen so, die der Schuldenbremse eine Investitionsklausel beifügen wollen. Wer die Volkswirtschaft klimaneutral machen will, muss investieren. Sogar der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup hält die Schuldenbremse für reformbedürftig. Die Solidität eines Staatshaushalts hänge nicht an der Schuldenstandsquote, schrieb Rürup Ende November im Handelsblatt. Entscheidend sei der Anteil der zu zahlenden Zinsen am Steueraufkommen. Dieser Anteil sinke wegen der niedrigen und sogar negativen Zinsen seit Jahren. Es sei "ökonomisch wenig überzeugend, mit dem Hinweis auf die aus einer anderen Zeit stammende Schuldenbremse auf die dringend notwendige Modernisierung des Kapitalstocks zu verzichten". Das heißt, der Staat muss jetzt investieren, um künftigen Generationen keine maroden Schulen, Straßen und Betriebe zu hinterlassen.

Die bange Frage nach der Rechnung kann der frühere Wirtschaftsweise Bofinger nachvollziehen, er hält sie aber nicht für relevant. "Viele Bürger übertragen individuelle Erfahrungen aus einem kreditfinanzierten Haus auf den Staat", ein Irrweg. Entscheidend sei, ob dem Bürger oder dem Staat zugetraut werde, die Schulden zu bedienen. Dabei spiele die absolute Höhe keine Rolle. Ein kleines Restaurant mit 30 000 Euro Schulden könne schneller in Schwierigkeiten geraten als eine gut gehende Zahnarztpraxis mit einer halben Million Euro Schulden. Und der deutschen Volkswirtschaft, der viertgrößten weltweit, laufen die Geldgeber geradezu hinterher.

Das führt zusammen mit der Niedrigzinspolitik dazu, dass die Staatsschulden den Haushalt kaum belasten. Im Gegenteil. Früher musste der Finanzminister für seine Anleihen Zinsen zahlen, heute bekommt er welche. Bis Anfang Dezember nahm der Bund " mit der Emission von Bundeswertpapieren" mehr als sieben Milliarden Euro an Zinsen ein. Finanzminister Scholz lässt am Dienstag mitteilen, die Bundesregierung habe "die Finanzen im Griff". Der Verweis auf "Rekordschulden" lasse außer Acht, dass Deutschland sie problemlos finanzieren könne. Auch am Ende der Pandemie werde der Schuldenstand unter dem der Finanzkrise 2010 liegen.

Und so zeigt die Debatte vor allem eines: Zur Finanzierung der Schulden braucht der deutsche Staat zwingend weder neue Steuern noch Abgaben. Dass darüber dennoch debattiert wird, liegt an den Schatten, die der aufziehende Wahlkampf wirft.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5156404
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.