Coronavirus:Wie die Regierung mehr als 100 000 Bürger heimholen will

Coronavirus Urlauber Rückholen

Am Flughafen im marokkanischen Marrakesch warten Reisende darauf, in ihre Heimatländer zurückgeflogen zu werden.

(Foto: Youssef Boudlal/Reuters)

Von Marokko über die Philippinen bis Argentinien sitzen Deutsche im Ausland fest. Nun gibt es eine beispiellose Rückholaktion. Schnell wird das nicht überall gehen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Die Situation ist angespannt. In Ägypten, Tunesien, den Philippinen, in Argentinien, vor allem aber in Marokko. Binnen weniger Tage haben sich die Traumziele deutscher Urlauber in touristische Katastrophenzonen verwandelt. Weit mehr als 100 000 Urlauber sind nach Schätzung des Auswärtigen Amtes in verschiedenen Winkeln der Welt gestrandet. Der reguläre Heimweg ist abgeschnitten, seit Staaten rund um den Globus aus Angst vor dem Coronavirus Einreiseverbote verhängt, Flugverbindungen gestrichen und Flughäfen geschlossen haben.

Besonders schwierig ist die Lage für deutsche Urlauber in Marokko. Schon am Sonntag hatte das Land die Flugverbindungen gekappt. Bis zu 6000 Deutsche, vielfach nicht als Pauschalreisende, sondern auf eigene Faust unterwegs, saßen fest. Sie sind nun auf die Luftbrücke angewiesen, mit der die Bundesregierung in einer beispiellosen Aktion gestrandete Urlauber in die Heimat holen will. Das erweist sich gerade im Falle Marokkos als schwierig, weil sich viele Betroffene an keinen Reiseveranstalter wenden können und zunächst auf sich selbst gestellt sind.

Auf ihrer Webseite teilte die Botschaft mit, dass ab Mittwoch von Marrakesch, Agadir und Rabat Flüge nach Deutschland gehen würden. Und: Es werde genügend Plätze für alle geben. "Bleiben Sie daher bitte ruhig und warten Sie ab, bis Sie weitere Informationen zu Ihrem Flug und Abflugort von uns direkt oder an dieser Stelle erhalten", appellierte die Botschaft - was angesichts zeitweise chaotischer Zustände an den Flughäfen nicht allen leichtfiel. Über eine private Whatsapp-Gruppe tauschten gestrandete Urlauber Informationen aus, versuchten, einander auch zu beruhigen. "Also ich würde mich an einen der Orte, von wo die Flüge gehen, positionieren", riet da ein Betroffener. "Das ist hier kein Wunschkonzert mehr, wo man sich aussuchen kann, wann man mal Zeit hätte, zum Flughafen zu kommen. Leute, echt jetzt."

Am Mittwoch lief diese Luftbrücke mit 30 Flugzeugen an

In der Tat handelt es sich um eine Ausnahmesituation, die alles sprengt, was selbst erfahrene Krisenmanager im Auswärtigen Amt kennen. Das Krisenreaktionszentrum im Ministerium war bisher darauf ausgelegt, auf regionale Krisen, Konflikte oder Naturkatastrophen zu reagieren und deutsche Urlauber von einzelnen Orten in der Welt zurückzuholen. Nun aber ist die ganze Welt ein Krisengebiet. Um dieser Lage Herr zu werden, hat Bundesaußenminister Heiko Maas das Krisenreaktionsteam unter Leitung des Diplomaten Frank Hartmann personell drastisch verstärkt. Die Bundesregierung stellte zunächst bis zu 50 Millionen Euro bereit, um die Luftbrücke zu finanzieren. Diese funktioniert nun in mehreren Stufen. Zunächst hilft das Auswärtige Amt Anbietern von Pauschalreisen dabei, Überfluggenehmigungen und Landerechte von jenen Staaten zu bekommen, die den normalen Flugverkehr gekappt haben. Darüber hinaus chartert das Amt Maschinen von Lufthansa, Tui und Condor, um auch Individualreisenden die Rückreise zu ermöglichen.

Am Mittwoch lief diese Luftbrücke mit 30 Flugzeugen an, darunter sowohl reguläre als auch Sondermaschinen. Das Auswärtige Amt rechnete damit, dass bis zum Abend aus Ägypten ungefähr 4000, aus der Dominikanischen Republik etwa 1500 und aus Marokko etwa 1900 Urlauber zurückkehren würden. Die drei Länder gelten derzeit als "Hotspots". Der Veranstalter Tui holt nach eigenen Angaben seit Dienstag jeden Tag etwa 10 000 Passagiere zurück, insbesondere aus Ägypten, von den Balearen, den Kanaren und den Kapverden. Urlauber, die die Luftbrücke in Anspruch nehmen wollen, wurden aufgerufen, sich im Internet in die Krisenvorsorgeliste "Elefand" einzutragen. Am Dienstag gab es dabei über Stunden hinweg Schwierigkeiten, weil das System wegen des Ansturms überlastet war, diese schienen aber am Mittwoch behoben zu sein.

Sowohl auf der eigenen Webseite als auch auf denen der betroffenen Botschaften versucht das Auswärtige Amt, die weit verbreiteten Unklarheiten darüber zu beseitigen, wer die Luftbrücke in Anspruch nehmen kann. Primär richtet sich die Rückholaktion an deutsche Staatsbürger und deren Familienangehörige. Darüber hinaus soll "im Rahmen der Kapazitäten" auch Menschen ohne deutschen Pass geholfen werden, die "einen Aufenthaltstitel für Deutschland haben, in Deutschland leben und von dort in den Urlaub gereist sind". Freie Plätze in den Flugzeugen sollen darüber hinaus bei Bedarf auch mit Bürgern anderer EU-Staaten gefüllt werden. Das wolle man "im Sinne der europäischen Solidarität" handhaben, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes. Nicht gedacht ist die Luftbrücke für Deutsche, die im Ausland leben und arbeiten - wohl aber etwa für junge Leute, die mit Work-and-Travel-Programmen oder als Au-pair in der Welt unterwegs sind. Gerade in ihrem Fall soll vermieden werden, dass auf unabsehbare Zeit der Heimweg abgeschnitten ist. Die Bundesregierung fürchtet, dass es relativ lange dauern kann, bis wieder einigermaßen normale Zustände im internationalen Flugverkehr herrschen.

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Kostenlos ist der Rückflug mit der Luftbrücke nicht. Die Reisenden müssen zwar zunächst nichts zahlen, sich aber auf eine Rechnung etwa in Höhe eines einfachen Economy-Tickets einstellen. Schwierig könnte es nun vor allem für jene werden, die in entlegenen Weltgegenden unterwegs sind. Die Luftbrücke konzentriert sich zunächst auf jene Feriengebiete, in denen besonders viele Deutsche festsitzen. Neben Ägypten, wo die Zahl zu Beginn der Krise bei 30 000 lag, ist das etwa auch die Dominikanische Republik, wo die Zahl auf 10 000 geschätzt wurde. Auch Tunesien, Malta, den Malediven, den Philippinen und Argentinien gilt das Augenmerk.

Anspruch auf Hilfe hat zwar jeder deutsche Tourist in Not, in der Praxis aber sind die deutschen Konsulate nicht immer in der Lage, sie auch zu gewähren. Wer auf einer pazifischen Insel unterwegs ist oder in Lateinamerika tief im Landesinneren, dem wird in aller Regel geraten, sich erst einmal etwa in die Hauptstadt zu begeben. In der Krise zeigt sich, was manche womöglich vergessen haben: dass Reisen in entfernte und wenig erschlossene Winkel der Welt immer auch eine Frage der persönlichen Risikoabwägung sind. Man wolle jedem Einzelnen helfen, wird im Auswärtigen Amt betont, nur werde es eben nicht immer schnell gehen.

In Marokko schien sich die Lage am Mittwoch etwas zu entspannen. "Heute gehen viele Flüge. Bis jetzt alles diszipliniert und fast keine Verspätungen", schrieb eine Urlauberin in die Whatsapp-Gruppe.

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