Bund und Länder werden sich Ende der Woche voraussichtlich über veränderte Quarantäneregeln in der Corona-Pandemie verständigen. Hintergrund sind die wieder steigenden Infektionszahlen und die Sorge vor einer damit verbundenen Beeinträchtigung der kritischen Infrastruktur. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) forderte einheitliche und nachvollziehbare Regeln auf wissenschaftlicher Grundlage, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten. "Handlungsleitend muss auch bei der angepassten Quarantäne sein, was infektiologisch und epidemiologisch richtig ist", sagte Wüst der Süddeutschen Zeitung.
Der NRW-Regierungschef ist derzeit auch Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), die am Freitag zum ersten Mal in diesem Jahr zum Austausch mit Bundeskanzler Olaf Scholz und weiteren Ministern der Bundesregierung zusammenkommen wird. Wüst forderte die Bundesregierung auf, diesmal einen zwischen ihrem Expertenrat und dem Robert-Koch-Institut (RKI) abgestimmten Vorschlag vorzulegen. "Das Chaos vom Dezember, als die Bundesregierung den fachlichen Empfehlungen ihrer eigenen Behörde nicht folgen wollte, darf sich nicht wiederholen", sagte Wüst. Nach einer Stellungnahme des Expertenrats hatte damals kurz vor der Sitzung der MPK das RKI einen Forderungskatalog zusätzlicher Maßnahmen vorgelegt, der aber in der Runde nicht mehr berücksichtigt wurde.
Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat in Interviews neue Beschlüsse angekündigt. Von Medizinern und aus der Wirtschaft kam Unterstützung. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Krankenhausgesellschaft, warnte angesichts der steigenden Infektionszahlen, dies könne "sehr schnell zu einem Personalengpass in allen Bereichen der kritischen Infrastruktur, aber auch der Wirtschaft insgesamt führen". Ähnlich äußerte sich DIHK-Präsident Peter Adrian: "Wenn die zu erwartende Omikron-Welle auch nach Deutschland überschwappt, wird das durch einen flächendeckenden Ausfall vieler Beschäftigten schnell zu einer Herausforderung für die Wirtschaft."
Das Problem bei Neuregelungen besteht darin, dass Lockerungen der Quarantäneregeln nicht zu einer weiteren Steigerung der Infektionszahlen führen sollten. "Selbstverständlich darf man da nicht zu sehr ins Risiko gehen", sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Im Gespräch sind kürzere Quarantänezeiten insbesondere für Beschäftigte wichtiger Versorgungsbereiche. Denkbar ist auch, die Fristen für Menschen mit Auffrischungsimpfung (Booster) zu verkürzen.
Im Vorlauf zur MPK wird am Dienstag das von der Bundesregierung neu berufene Expertengremium aus 19 Wissenschaftlern wieder zusammentreten. Das kündigte Regierungssprecher Steffen Hebestreit an. Ob der Rat dann auch wieder eine Stellungnahme abgeben wird, sei derzeit noch "völlig offen". Ein Sprecher Lauterbachs sagte, man erwarte in den kommenden Tagen "sehr valide Zahlen" über das reale Infektionsgeschehen, unter anderem den Anteil der Omikron-Infektionen und die Zahl der Impfdurchbrüche.
Am Montag meldete das RKI 18 518 Corona-Neuinfektionen innerhalb eines Tages. Das waren 4610 Fälle mehr als am Montag vor einer Woche. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz steigt auf 232,4 von 222,7 am Vortag. Es gab 68 weitere Todesfälle in Verbindung mit dem Virus.
Nach den Weihnachtsferien sind am Montag Schülerinnen und Schüler in fünf Ländern in den Unterricht zurückgekehrt, am Dienstag folgen die aus drei weiteren Bundesländern. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bekräftigte das Ziel, die Schulen offen zu halten. "Präsenzunterricht ist eine Frage der Chancengerechtigkeit", schrieb sie bei Twitter. "Wir müssen alles tun, um Schulen offen zu halten." Die andere Hälfte der Bundesländer, darunter Bayern, nimmt den Schulbetrieb nach derzeitiger Planung in der kommenden Woche wieder auf.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, hat unterdessen für eine allgemeine Impfpflicht plädiert. Der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte Mazyek, Impfen rette Leben, Impfen bedeute Solidarität. "Dies gilt nach den Maßstäben des vernünftigen Bürgers und der Ethik des Islam."