Süddeutsche Zeitung

Corona-Proteste:Wenn die Maske fällt

Die Mehrzahl der Teilnehmer an Corona-Protesten stört sich nicht daran, Seite an Seite mit Rechtsradikalen auf die Straße zu gehen. Der mangelnde Abstand beunruhigt Verfassungsschützer zusehends.

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke, Berlin

Die Frage, ob und wie der Verfassungsschutz mit den zunehmenden Protesten gegen die Corona-Maßnahmen umgehen soll, beschäftigt die Behörden bereits seit dem Frühsommer. Damals war man noch zurückhaltend und beschloss, zunächst einmal ein sogenanntes Sonderlagebild abzuwarten, also Informationen zu sammeln. Denn schon damals war die Mischung der Protestierenden schwer zu fassen. Neben bekannten Rechtsextremisten und Reichsbürgern fanden sich Impfgegner, Anhänger von Verschwörungsmythen oder schlicht solche, die die staatlichen Maßnahmen für überzogen halten und um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten. Kurzum: Solche, für die sich der Inlandsgeheimdienst schon immer interessierte und interessieren muss. Und solche, die ihn nichts angehen und angehen dürfen.

Keinesfalls sollte der Eindruck entstehen, als reagiere der Staat auf Protest mit Drangsalierung und geheimdienstlicher Beobachtung. Obwohl schon auffiel, dass sich die Mehrzahl der Protestierenden nicht daran störte, an der Seite von Rechtsradikalen auf die Straße zu gehen. Angesichts der Mischung dieser Milieus "befiel uns eine gewisse Hilflosigkeit", räumt ein damals an den Beratungen beteiligter Beamter ein. Einerseits wachse eine Gefahr heran. Andererseits seien da auch jene, die einfach Angst um ihren Arbeitsplatz hätten, und die man nicht stigmatisieren und in die Arme der Extremen treiben wolle. "Das ist immer noch das Gros", sagt eine Beamtin. Ins Fernsehen kämen vor allem die Extremisten, die sich entsprechend in Szene setzen würden. Die Mehrheit sei das nicht.

Aber inzwischen haben die Proteste eine ähnliche Dynamik entwickelt wie das Virus selbst. Jüngst haben die Polizeikräfte in Leipzig kapituliert vor einer Menge von mehreren Zehntausend Demonstranten, die sich nicht an Auflagen wie Maske und Abstand hielten. Dieser Regelverstoß ist inzwischen geradezu gängig. Der Verfassungsschutz hat bislang keine der nur lose verbundenen "Querdenken"-Gruppen in verschiedenen Städten zu einem offiziellen Beobachtungsobjekt erklärt. Es sind Gruppen, die nicht per se rechtsextrem sind, sich aber gegenüber Neonazis oft nicht abgrenzen. Hauptsache, man könne gemeinsam das "System" besiegen. In das klassische Extremismus-Schema, auf dem das Verfassungsschutzgesetz beruht, passen sie nicht. Das macht es schwierig, sie ins Visier des Dienstes zu nehmen. Ähnlich ist es bei der Gruppe "Eltern stehen auf", die zwar deutlich moderater ist als die in Teilen hart rechtsextreme Gruppe "Corona-Rebellen" - aber keinen Abstand zu dieser hält.

Man registriere einen "deutlichen Zuwachs von Straftaten", heißt es in einem internen Papier

Die Nachrichtendienstler verfolgen sehr genau, wer auf den Demonstrationen spricht, wie oft dabei der deutsche Staat als Diktatur verunglimpft und teils auch seine "Beseitigung" gefordert wird. Verschwörungsmythen würden aber nicht nur von Extremisten verbreitet, sagt etwa die Verfassungsschutzchefin in Baden-Württemberg, Beate Bube. Sie "finden auch immensen Anklang bei nicht extremistischen Demonstrationsteilnehmern und stellen eine zunehmende Gefahr für die Radikalisierung einzelner Demonstrationsteilnehmer dar". Für die zahlenmäßig wenigen Anhänger der QAnon-Bewegung zum Beispiel, denen zufolge eine geheime, verschworene Gruppe von Politikern Kinder entführen und aus ihrem Blut ein Verjüngungselixier herstellen würden, bieten die Demonstrationen eine günstige Gelegenheit. QAnon-Leute nehmen regelmäßig und gut sichtbar daran teil und bekommen dadurch die Aufmerksamkeit der Medien - was ihnen wiederum mehr Verbreitung für ihre Botschaften sichert. "Letztlich werden Feindbilder geschaffen", sagt die Verfassungsschützerin Bube.

Und die Nachrichtendienstler registrieren vereinzelt, aber zunehmend, auch Gewalt. In der Hauptstadt explodierten Ende Oktober bereits zwei Brandsätze in einer Nacht, einmal am Robert-Koch-Institut, einmal vor der Leibniz-Gemeinschaft. In internen Lageeinschätzungen des Bundes heißt es dieser Tage: Die "öffentliche Auseinandersetzung über die Schutzmaßnahmen" zeige sich zunehmend aggressiv, man registriere einen "deutlichen Zuwachs von Straftaten". Diese reichten über Verstöße gegen Versammlungsauflagen bis zu verbalen und körperlichen Angriffen und Landfriedensbruch. Man müsse mit zahlreichen weiteren Demonstrationen rechnen, durch die Vernetzung in Chatgruppen werde die Vorlaufzeit immer kürzer.

Auf der Demonstration in Leipzig am 7. November hätten Hooligans und Kampfsportler in der ersten Reihe gestanden, so heißt es in dem Bericht. Schon lange fragen sich die Sicherheitsbehörden, ob ausländische Nachrichtendienste diese Demonstrationen gezielt anheizen und befeuern - obwohl es bislang nur dünne Hinweise darauf gibt. Kremlfreundliche Medien wie Russia Today verbreiten immer wieder irreführende Nachrichten im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Seit Mitte August seien die Aktivitäten zum Thema aber "rückläufig", heißt es in Sicherheitskreisen. Es würden auch keine der Russland zur Verfügung stehenden Bot-Netze mehr genutzt, um zu den Verschwörungsmythen beizutragen. Derzeit gebe es "keine umfassende gezielte russische Desinformationskampagne" bezüglich Corona. Zu den Fragen, die jetzt geklärt werden sollen, gehört stattdessen die nach der Logistik und dem Geld. Wer zahlt die Busse für die Anreise und die aufgebauten Bühnen?

Im Dezember steht die nächste Innenministerkonferenz an, in diesen Tagen beraten Sicherheitsexperten, wie künftig mit den Corona-Protesten umgegangen werden soll. Die Fragen aus dem Frühsommer sind drängender geworden. Groß ist die Sorge, dass vor allem die immer absurderen Behauptungen über Zwangsimpfungen oder Zwangstests zu einer weiteren Radikalisierung führen. Der Hamburger Verfassungsschutzchef Torsten Voß formulierte es im Spiegel so: "Unsere Sorge ist, dass solche Verschwörungserzählungen als Brücke zum klassischen Rechtsextremismus dienen könnten, als eine Art Einstiegsdroge." Je länger die Beschränkungen dauern, desto einfacher könnte für die Hetzer ihr Geschäft werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5121199
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.