Es waren fünf Morde in sechs Tagen. Die Opfer lebten im Westen, im Süden und im Osten Kolumbiens, aber sie hatten eines gemeinsam. Sie engagierten sich. Als Gemeinderat, Ortsvorsteher, Gewerkschafter. Sie protestierten gegen die Drogengangs und Überbleibsel der Guerillas, die sich nahe ihrer Heimatdörfer Kämpfe um die Schmuggelrouten Richtung USA liefern und illegalen Bergbau betreiben. Dann wurden sie erschossen. Kolumbien hat trotz des Friedensprozesses von 2016 nie wirklich Frieden gefunden. So viele getötete Aktivisten wie in diesen Tagen aber gab es lange nicht mehr. Hinzu kommen viele weitere, die sagen, sie erhielten jetzt vermehrt Todesdrohungen. Die meisten von ihnen glauben, das Coronavirus habe mit der neuen Gewaltwelle zu tun.
In Europa und den USA wütet die Pandemie immer stärker, in vielen konfliktreichen Regionen kommt sie erst langsam an. Schon jetzt zeigt sich, dass sie das Potenzial hat, überall schwelende Konflikte zu verändern. Wo Menschen ohnehin besonders verwundbar sind, macht das Coronavirus sie noch verwundbarer. Gerade in schwachen Staaten könnte die Pandemie ein Vakuum schaffen, das sich Terroristen oder Konfliktparteien zunutze machen. Davor warnen internationale Experten, auch UN-Generalsekretär António Guterres. Er rief zu einem weltweiten Waffenstillstand auf - ein Blick in Konfliktgebiete zeigt, dass dies ein frommer Wunsch bleiben dürfte.
Kolumbien hat zwar erst gut 500 registrierte Corona-Fälle; die Regierung wirkt aber schon überfordert damit, die Infektionen einzudämmen. Nach Syrien ist Kolumbien das Land mit den zweitmeisten Binnenflüchtlingen weltweit, der mehr als 50 Jahre währende Bürgerkrieg hat viele Menschen mittellos gemacht. Sie leben in Wellblechhütten auf engstem Raum, ohne funktionierende Wasserversorgung. Ist das Virus einmal dort, dürfte es sich rasant verbreiten.
Hinzu kommt, dass auch die Kolumbianer wenig Aussicht auf gute Betreuung haben: Von 5300 Intensivbetten sind derzeit nur etwa 1000 für Corona-Patienten frei. Epidemiologen rechnen aber mit bald 24 000 Fällen. Präsident Iván Duque hat eine strikte Ausgangssperre bis 13. April verhängt und die Polizeipräsenz in den Städten drastisch verstärkt. In ländlichen Gegenden aber scheinen Gangs nun ihre Chance zu wittern. Vergangene Woche wurden nicht nur fünf Aktivisten umgebracht, ganze Dörfer wurden vertrieben; lokale Medien berichten von Enthauptungen.
Ähnliches droht in Mali, dessen Bevölkerung am Sonntag ein neues Parlament wählen sollte. Die Unsicherheit in dem westafrikanischen Land wird immer größer. Milizen liefern sich seit Jahren Kämpfe, Terroristen verüben Anschläge. Tausende sind umgekommen. Vor rund zehn Tagen meldeten die Behörden den bisher schwersten Anschlag auf die malische Armee in diesem Jahr, es folgten die ersten bestätigten Corona-Fälle, mindestens 18. Steigen die Fallzahlen steil an, dürften die Terroristen profitieren. Der Staat hätte ihnen dann noch weniger entgegenzusetzen. In weiten Landesteilen hat die Regierung ohnehin keine Kontrolle mehr, ein unkontrollierter Ausbruch der Viruserkrankung wäre verheerend, das Gesundheitssystem ist nicht gewappnet. Umgerechnet kommt auf eine Million Menschen nicht einmal ein Beatmungsgerät.
Länder, in denen Konflikte toben, sind besonders schlecht auf Corona vorbereitet. Die Krankenhäuser sind oft in desolatem Zustand, es mangelt am Notwendigsten. Jahrelange Kämpfe haben häufig dazu geführt, dass Menschen ihre Häuser verlassen mussten und nun auf engstem Raum in provisorischen Unterkünften hausen. Dort könnte sich das Virus besonders schnell verbreiten.
Zu befürchten ist dies vor allem in Syrien. Das Land und besonders die Rebellenhochburg Idlib sind in der Corona-Krise so etwas wie ein signalfarbenes Frage- und Ausrufezeichen zugleich. Alle rechnen mit einem katastrophalen Ausbruch in den riesigen Flüchtlingslagern, brauchbare Zahlen liegen aber keine vor. In Idlib dominieren Islamisten und Dschihadisten, in deren Herrschaftsbereich gibt es keinen Staat, keine funktionierende Verwaltung und kein brauchbares Gesundheitssystem. Und es wurde nur sehr wenig getestet: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat jetzt erst 300 Test-Kits nach Idlib gebracht.
In dem Kriegsgebiet im Nordwesten Syriens leben rund drei Millionen Flüchtlinge, gut ein Drittel haust in Zeltlagern, Notunterkünften, auf Baustellen oder in Höhlen: Social Distancing ist unmöglich. Es mangelt an Wasser, die hygienischen Bedingungen sind unsäglich. Hinzu kommt, dass die Gegner der Rebellen die wenigen noch arbeitenden Hospitäler angreifen: Flugzeuge des syrischen Regimes von Baschar al-Assad und die Jets der verbündeten Russen greifen Kliniken aus der Luft an, seit 2016 wurden rund 500 medizinische Einrichtungen zerbombt. Inzwischen wurden die ersten Covid-19-Fälle auch aus von Assad kontrollierten Landesteilen gemeldet, die Behörden haben eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Das im Krieg heruntergewirtschaftete syrische Gesundheitssystem dürfte einen Massenausbruch kaum unter Kontrolle bringen.
Verheerend ist die Lage auch in Jemen: Das Bürgerkriegsland war bisher zwar noch einer der wenigen Staaten, in denen kein Corona-Fall nachgewiesen wurde. Das könnte daran liegen, dass Saudi-Arabien das Land seit 2015 durch eine Blockade isoliert - vielleicht aber auch daran, dass in Jemen bisher kaum getestet wurde. Wenn das Virus das Armenhaus der arabischen Welt erreichen sollte, dürfte es auf wenig Widerstand treffen. Das Gesundheitssystem existiert nur noch in Grundzügen, schon die eigentlich leicht zu behandelnde Cholera konnte sich seit 2016 epidemisch ausbreiten.
Und bereits jetzt geht es für viele Menschen in Flüchtlingslagern, zerstörten Städten und schwer zu versorgenden Bergtälern ums Überleben. 24 Millionen Menschen, 80 Prozent der Bevölkerung, sind von Hilfe abhängig, 8,4 Millionen akut vom Hungertod bedroht. Eine von den UN wegen der Coronakrise am Donnerstag vermittelte Waffenruhe zwischen der Regierung und den Huthi-Rebellen war am Samstag bereits wieder brüchig. Und geplante politische Gespräche finden wegen des Virus nicht statt, nach Informationen der International Crisis Group wurden etwa Termine mit saudischen und US-Diplomaten abgesagt. Experten befürchten nun einen "tödlichen Showdown" auf den Schlachtfeldern im Norden. Vielleicht folgt ein Showdown in den Krankenbetten: Nachdem Saudi-Arabien die Grenzen zu Jemen jahrelang strikt geschlossen hielt, schob es nun 6000 Bürger des Nachbarlandes ab. Nicht unwahrscheinlich, dass einige das Virus mitbringen.
Falls es nicht längst da ist. Die Pandemie könnte sich ebenso auf den Einsatz westlicher Truppen in Konfliktländern auswirken. In Afghanistan soll der Abzug der noch etwa 16 000 Nato-Soldaten beschleunigt werden, das berichtet die auf Militär-Themen spezialisierte Webseite "Augen geradeaus". Ohnehin bis Juli vorgesehene Reduzierungen sollen beschleunigt werden. Offiziell haben sich in Afghanistan bisher vier westliche Soldaten infiziert. Die USA hatten sich mit den Taliban auf den Abzug der westlichen Truppen bis April 2021 geeinigt, wenn dafür die Islamisten garantieren, dass von Afghanistan keine terroristische Bedrohung ausgeht.
Eine der wenigen Nachrichten, die etwas Hoffnung machen, kommt von den Philippinen. Dort liefern sich kommunistische Aufständische seit mehr als 50 Jahren Kämpfe mit der Zentralgewalt. Die Rebellen verkündeten nun, der Aufforderung der UN Folge zu leisten. Bis Mitte April sollen die Waffen ruhen, damit sich die Regierung dem Kampf gegen Corona widmen kann.