Süddeutsche Zeitung

Ostern in der Corona-Krise:Allein zu Haus

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Im Vatikan hatten sie tatsächlich darüber nachgedacht, Ostern zu verschieben. So weit kommt es nun doch nicht. Aber sehr anders wird es in diesem Jahr sein - nicht nur für den Papst.

Von Oliver Meiler, Rom

Ostern wie Olympia? Im Vatikan haben sie tatsächlich darüber nachgedacht, ob sich das Osterfest verschieben ließe, wie gerade Sportanlässe in großer Zahl vertagt werden. Klingt erstaunlich, wie in diesen Zeiten alles erstaunlich ist, was der Welt und damit auch den Kirchen und Religionen hienieden widerfährt. Die zuständige Gottesdienst-Kongregation im Vatikan befand dann aber: Geht nicht. Was übrigens auch nicht geht, ist Beichten am Handy, selbst dann nicht, wenn der Priester beim Telefonieren in Sichtweite steht, das verletze das Beichtgeheimnis. Man stellt sich jetzt eben Fragen, die man vor Kurzem noch für einigermaßen grotesk gehalten hätte.

Und so erlebt Rom seine ersten Ostern ohne richtiges Osterfest in zweitausend Jahren. Ohne Volk, vor leeren Bänken, Geisterostern gewissermaßen.

Kein Krieg, kein Erdbeben, keine Katastrophe, und es gab über die Jahrhunderte hinweg weiß Gott viele, hatte dieses wichtige, symbolisch so beladene und emotionale Fest bisher verhindern können. Aus dem stillen, leeren Rom wird es Osterbilder geben, wie man sie noch nicht gesehen hat. Ohne Pilger in Gruppen, die in langen Schlangen über den Tiber ziehen, ohne gelebte Passion, ohne heiliges Brimborium. Die Stadt ist ruhig und bedächtig, ohne es sein zu wollen, und das kommt nun wahrlich nie vor.

Der Vatikan hat seine Medienarbeit modernisiert. Das hilft nun

Es wird Bilder vom Papst geben, der fast ganz allein durch die wenigen Riten führt, die Corona-konform sind, und selbst die obliegen der Regie der päpstlichen Liturgen. Die müssen sich etwas einfallen lassen, damit karge Akte dennoch eine spirituelle Wirkung entfalten.

Eine Vorahnung gab es am 27. März, als Franziskus auf dem leeren Petersplatz gegen Corona anbetete, neben sich nur das mittelalterliche Kruzifix aus der Kirche San Marcello, das an das Ende der Pest in Rom 1522 erinnert. Es regnete, als er die eingeschüchterte Welt segnete, das Kopfsteinpflaster der Piazza glänzte schwarz. Die Totale war besonders eindrücklich: ein kleiner weißer Punkt unter stürmisch dunklen Wolken. Eine Ikone der Isolation und der Zerbrechlichkeit, und doch lag darin eine einzigartige Wucht. In Italien schauten 17 Millionen zu, Fernsehsender in 180 Ländern übertrugen die Szene.

Ganz allein war der Papst nicht, die Mitarbeiter der vatikanischen Medienplattform waren auch noch da. Sie filmten aus allen Winkeln, selbst vom Dach von Berninis Kolonnaden, für sie war es eine Hauptprobe für das Osterfest. Von ihrem Geschick wird abhängen, ob die heiligen Handlungen die Herzen daheim im Lockdown erreichen - über "telematische Kommunikationsmittel", wie der Vatikan es etwas altmodisch nennt. Dabei ist die Medienpräsenz der katholischen Kirche in den vergangenen Jahren völlig modernisiert worden, nicht zur Freude aller, aber nun kommt die Reform allen gelegen. Hinter dem Gregorianischen Gemäuer pflegt man noch mit Fax und Briefen zu korrespondieren. Parallel dazu wird nun aber jede Feierlichkeit gestreamt, gepostet, rausgetwittert. Man ist also gut vorbereitet auf den Notfall.

Die Frage ist nur, ob diese vielen Kanäle von Vatican News reichen, um die Gemeinde der Gläubigen mit dem Schauplatz in Rom zu verbinden? Denn der Kirche soll die Gemeinde ja kein passives Publikum sein, sondern teilnehmendes Subjekt. Die Kurie hat einige Regeln aufgestellt, was möglich ist und was nicht, ein schöner Teil leitet sich auch aus dem gesunden Menschenverstand ab.

Am Gründonnerstag zum Beispiel, wenn des letzten Abendmahls Jesu mit seinen Jüngern gedacht wird, gibt es diesmal natürlich keine Fußwaschung. In früheren Jahren ging Franziskus dafür jeweils in ein Gefängnis und wusch Häftlingen die Füße. Der Oberhirte, Fürst der Kirche auf Erden, auf Knien vor den Sündern: Wie ersetzt man so etwas? Wie lässt sich eine Fußwaschung sinnvoll vergeistlichen?

Am Karfreitag tragen die Päpste normalerweise in einer Via Crucis ein Kreuz durch viel herbeigeeiltes Volk und durch die Dämmerung Roms, das Kolosseum dient als Kulisse. Die Pfarrei der Haftanstalt Due Palazzi in Padua hatte dort die 14 Stationen vorbereitet. Nun aber wird es auf dem Petersplatz sein, abends um neun. Fackeln werden den Kreuzweg säumen, er beginnt beim Obelisken. Nur zwei kleine Gruppen sind dabei, je fünf Personen, aus dem Gefängnis die eine, die andere von der vatikanischen Gesundheitsbehörde, der Direzione Sanità e Igiene - damit der Kampf gegen Corona vertreten ist.

Die Kirchenglocken schweigen von Gründonnerstagabend bis Karsamstagabend, das ist immer so, aus Respekt für das Leiden Christi. Der Brauch des Geklappers mit Ratschen, der in der Tradition mancher Länder das Geläut zum Gebet ersetzt, ist hingegen möglich, vielleicht erlebt es gar eine Renaissance. Klappern geht gut auch von zu Hause.

Am Samstag fällt fast alles aus, was das Ende von Trauer und Klage ausmacht, das Ende der Karwoche eben. Und die Vorfreude auf das, was kommt: der Sieg des Lebens über den Tod. Es wird keine Osterfeuer geben, keine Lichtfeier, bei der sich die Menschen Kerzen weiterreichen, um die Kirchen zu erhellen. Vielleicht lässt sich das mit Kerzen auf Fenstersimsen, Balkonen und Terrassen ein bisschen kompensieren, wenigstens in Italien ist man in der Umnutzung von Balkonen mittlerweile geübt. Auch die Aufnahme neuer Täuflinge fällt aus. Ostersonntag ist liturgisch einfacher, der lebt von der Messe des Pontifex, die er im Inneren der Basilika zelebrieren wird, und vom Urbi et orbi. Der Segen kommt normalerweise vom Balkon, der hoch über dem Eingang von San Pietro hängt. Diesmal nicht. Wenn kein Volk auf dem Petersplatz steht, ist der Balkon verloren.

Ein Balkon in der Wüste. Bei allem Segen der Telematik. Zehntausende Prozessionen fallen aus, auf der ganzen Welt. Diese Osterfeiern sind für alle sehr unösterlich. Für diesen Papst, den Protagonisten auf der Hauptbühne, sind sie es in ganz besonderem Maß. Er komme sich vor "wie in einem Käfig", sagte er, als er sein erstes Angelusgebet aus der Bibliothek senden musste. Ein Gefühl, das sich dann schnell verbreitete. Von Franziskus sagt man, er sei ein "Papa callejero", das kommt vom Spanischen: ein Papst von der Straße. Das hört sich zunächst unziemlich an. Gemeint aber ist, dass Franziskus dem Volk nahesteht, dass er das Bad in der Menge sucht, die Hände der Gläubigen - obschon: Eine allzu forsche Hand bekommt auch mal einen Klapps ab, wie neulich auf dem Petersplatz. "Callejero", er wäre der erste, der sich für dieses Prädikat bedanken würde.

Ins Album unvergesslicher Bilder aus diesem Pontifikat und in jenes der Stadt gehört nun auch das Foto, das Franziskus im weißen Gewand, ja, auf einer Straße zeigt, auf Roms Einkaufsmeile Via del Corso, die aber desolat menschenleer war. In normalen Zeiten wäre das ein Beispiel für die Sammlung: "Was stimmt hier nicht?" Ohne Corona, muss man dazu sagen, wäre ihm dieser Spaziergang durch das Zentrum Roms nicht gegönnt gewesen.

Der Argentinier hat das Händeschütteln auch jetzt nicht abgelegt, wie man hört, obschon ihm dringend abgeraten wird. Sehr viele Hände gab es zuletzt nicht zu schütteln: Die Agenda der Privataudienzen wurde radikal ausgedünnt, nur enge Mitarbeiter schauten vorbei. Dennoch: Mit 83 Jahren gehört der Papst in die Hochrisikogruppe, und da er sich in jungen Jahren ein Stück eines Lungenflügels hatte entfernen lassen müssen, war man schon zu Beginn der Epidemie besorgt. Die Aufregung wuchs dramatisch, als bekannt wurde, dass unter den sieben Bewohnern des kleinen Stadtstaates, die positiv auf das Virus getestet wurden - sieben von nur 500 - sich ein Kardinal befindet: Angelo De Donatis, 66 Jahre alt. Als Generalvikar der römischen Diözese ist er der Stellvertreter des "Bischofs von Rom", und das ist der Papst.

Franziskus feiert jeden Morgen eine Frühmesse. Das Fernsehen überträgt live

De Donatis liegt im Policlinico Gemelli, dem Krankenhaus der Kirche. Die Entwarnung für Franziskus kam kurz nach der Einlieferung des Prälaten, in der Form eines dürren Kommuniqués des Presseamts des Heiligen Stuhls. Man habe eine Reihe von Personen getestet, hieß es darin, alle negativ - auch der Papst. Fast beiläufig stand das da. Man riet Franziskus, seinen Wohnsitz zu verlegen - vom Gästehaus Santa Marta, wo er sich seit Amtsantritt eingerichtet hat, rüber in den Apostolischen Palast, wo seine Vorgänger lebten. Doch er mag es dort nicht so gern, im dritten Stock des Palazzo ist es ihm zu einsam. In Santa Marta dagegen, einer Art Hotel auf vatikanischem Boden, steigen Kardinäle und Bischöfe aus aller Welt ab, in der Lobby kreuzen sich ihre Wege. Im Moment wohnen und arbeiten 170 Menschen im Gästehaus. Alle wurden schon auf Corona getestet, als ein Bewohner erkrankt war. Völlig abgeschottet ist dagegen Benedikt XVI., der emeritierte Papst, mittlerweile fast 93, allerhöchste Gefährdungsgruppe. Seit seiner Abdankung lebt er in strenger Klausur in einem Kloster in den Vatikanischen Gärten. Er war nie sehr "callejero".

In der schlichten Kapelle im Erdgeschoss von Santa Marta feiert Franziskus jeden Morgen um sieben Uhr eine Frühmesse, die Mensa ist so nah, dass die Geruchsschwaden des Frühstücks hinüberwehen. Geladen wird niemand mehr, er ist allein, die Kamera läuft jeweils. Seit Rai Uno die Messe live in seiner Morgensendung "Uno Mattina" überträgt, verzeichnet der erste Kanal des Staatsfernsehens plötzlich viel mehr Zuschauer. Auch TV 2000, der Sender der italienischen Bischofskonferenz, vermeldet Rekordquoten. Vor allem die Rosenkranzgebete sind beliebter denn je, vervierfacht habe sich ihre Quote, hört man. Auch das hätte bis vor Kurzem niemand für möglich gehalten.

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Quelle:
SZ vom 09.04.2020
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