Der Bürgermeister von Wiener Neustadt, einer Kommune mit knapp 50 000 Einwohnern in Niederösterreich, findet höchst unerfreulich, was da gerade geschieht. Das Vorgehen sei "überzogen", sagt Klaus Schneeberger jedem, der es hören will, und dem ORF sagte er, niemand in Wiener Neustadt sehe ein, "was hier geschieht". Denn der Gesundheitsminister in der nahen Hauptstadt hat per Erlass angeordnet, dass es in der Stadt eine halbe Fahrstunde südlich von Wien Ausreisekontrollen geben soll.
Wiener Neustadt weist eine Sieben-Tage-Inzidenz von 530 Fällen auf - und das sind mehr als die 400, die in dem Erlass der Regierung als Obergrenze für Infektionen markiert ist. Offiziell heißt es, Personen, die ein Gebiet mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 400 verlassen wollten, müssten entweder einen negativen Antigen-Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf - oder einen negativen PCR-Test, der maximal 72 Stunden alt sein darf. Die Testpflicht soll so lange aufrechterhalten werden, bis die Sieben-Tage-Inzidenz immerhin zehn Tage lang in Folge unter 200 liegt. Schneeberger merkt dazu auch leicht empört an, dass diese Sieben-Tage-Inzidenz ein seltsamer Richtwert sei, schließlich seien in seiner Stadt nur 320 Personen an Covid erkrankt.
Hilft nichts, Schneeberger musste per Verordnung von diesem Mittwoch an Ausreisekontrollen auf allen 20 Ausfallstraßen organisieren. Weil aber die Testkapazitäten nicht reichen - Anfang der Woche gab es in Wiener Neustadt nur Teststationen für etwa 2000 Menschen -, muss nun stark ausgebaut werden; 15 000 Tests pro Tag sollen es so bald wie möglich werden. Das Bundesheer soll mit 300 Soldaten helfen, ausreichend Testmaterial und qualifiziertes Personal muss her. Das dauert. Weshalb Wiener Neustadt eine Lösung gefunden hat, die, wie ein Kommentator wiederum im ORF lakonisch anmerkte, sehr "österreichisch" sei: Kontrolliert wird ab Mittwoch. Aber sanktioniert erst ab Samstag.
Bis zur Umsetzung vergehen Tage - der Effekt schneller Eindämmung fällt so aus
Es sei unverantwortlich, und das mache er sicher nicht, "Menschen zu kontrollieren, die gar nicht die Möglichkeit haben, einen Test zu erlangen", hatte Schneeberger noch am Montag verkündet: In einer Stadt mit 50 000 Bewohnerinnen und Bewohnern, etwa 21 000 Pendlern, 15 000 Passagieren des öffentlichen Nahverkehrs, einer Hauptdurchgangsstraße mit Autos und als Verkehrsknotenpunkt für die gesamte Region sei diese "Maßnahme ohne Zurverfügungsstellung von ausreichend zusätzlichem Personal nicht durchführbar".
Was die Einwohner von Wiener Neustadt von der Wochenmitte an erproben, ist anderswo bereits Realität. Seit vergangenem Freitag wird die Ausreise aus einigen Gemeinden im Bundesland Salzburg kontrolliert, seit Dienstag auch im Bezirk Hermagor in Kärnten. Immer mehr Orte werden, so wie Wiener Neustadt, als Hochinzidenzgebiete eingestuft. In Tirol war das Verfahren - Ausreise nur mit Test -, als Erstes sehr großflächig und nach massiven Auseinandersetzungen zwischen Land und Bund angewendet worden, nachdem die südafrikanische Covid-Mutante vor allem im Bezirk Schwaz gehäuft aufgetreten war.
Kritiker monieren, dass zwischen der Ankündigung von Ausreisekontrollen und der jeweiligen Umsetzung immer mehrere Tage liegen, sodass einer der erwünschten Effekte, die schnelle Eindämmung von Infektionsclustern, nicht gewährleistet sei. Das gilt auch für Wiener Neustadt, wo Schneeberger im Ringen mit Wien den Start der Maßnahmen erfolgreich hinausschieben konnte. Er argumentiert, wie andere Kommunal- und Landespolitiker auch, mit der schwierigen Organisation flächendeckender Kontrollen und den Belastungen für die Bevölkerung.
In Pendlerstädten ist dies ein großes Thema: Die Kommune im Süden der Hauptstadt liegt im Einzugsgebiet der Hauptstadt, Tausende Arbeitnehmer fahren täglich mit Auto oder Bahn hinein und hinaus, weshalb Schneeberger vorsorglich nur stichprobenartige Kontrollen angekündigt hat. Man mache halt mit, weil nichts anderes übrig bleibe, ist seine Botschaft.
Die Bundesregierung diskutiert derweil, ob es angesichts der aktuellen Zahl von etwa 2500 Neuinfektionen pro Tag sinnvoll ist, wie geplant vor Ostern auch die Außenbereiche von Gastronomiebetrieben, den sogenannten Schanigärten, zu öffnen. Das Bundesland Vorarlberg in Westösterreich, das derzeit die niedrigsten Inzidenzahlen aufweist, soll probeweise als Vorreiter dienen; dort könnte die Öffnung vorgezogen werden. Die Verhandlungen darüber dauern aber an. Angesichts mehrerer Covid-Mutationen, darunter der gefährlichen brasilianischen Variante, welche die Immunabwehr des Körpers offenbar besonders stark beeinträchtigt, wurde in mehreren Bundesländern die Quarantänezeit von zehn auf 14 Tagen erhöht.