Es ist mehr als ein Flug, es ist ein Gefahrenzeichen: Zum ersten Mal in der zweiten Welle der Corona-Pandemie werden wieder Patienten aus den Niederlanden in deutsche Kliniken verlegt. Ein Hubschrauber transportierte am Freitagmorgen einen Patienten von Almere, 30 Kilometer östlich von Amsterdam, in ein Krankenhaus nach Münster, ein zweiter sollte im Laufe des Tages folgen. Das zeigt: Die Krankenhäuser in den Niederlanden laufen langsam voll mit Covid-Patienten - zum Teil ist die Belastungsgrenze sogar schon erreicht. Dasselbe gilt für einige andere deutsche Nachbarländer. Wie auf dem Höhepunkt der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr wird Deutschland, wo die Lage noch einigermaßen stabil ist, um Unterstützung gebeten. Ein Überblick:
Niederlande
Fast jedes zweite Bett auf Intensivstationen in den Niederlanden ist mit einem an Covid-19 erkrankten Patienten belegt. Die Krankenhäuser in der Region Nordwesten, zu der Almere gehört, könnten den Zustrom neuer Patienten kaum bewältigen, teilte das Koordinierungszentrum für die Verteilung von Patienten in Rotterdam mit. "Das Wasser steht ihnen bis zum Hals."
Die Ansteckungszahlen in den Niederlanden zählen zu den höchsten in Europa. Am Donnerstag wurden fast 9300 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden gemeldet, bei etwa 18 Millionen Einwohnern. Am Donnerstag lagen 463 Corona-Kranke auf Intensivstationen. Schon im Frühjahr waren Patienten in deutsche Kliniken verlegt worden. Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben daher angeboten, wieder Patienten zu übernehmen. Die Niederlande verfügen über etwa 1700 Betten auf Intensivstationen, es sollen noch mehr dazukommen. Nordrhein-Westfalen hat, bei derselben Einwohnerzahl, fast viermal so viele. Es stellt nach Angaben der Uniklinik Münster, die auf deutscher Seite die Hilfe koordiniert, 85 Betten für Patienten aus den Niederlanden zur Verfügung. 87 NRW-Kliniken haben freie Kapazitäten angeboten.
Belgien
Es war ein Hilferuf, oder besser: ein Schrei. Am Freitagmorgen schrieb der bekannte Brüsseler Epidemiologe Marius Gilbert diesen Tweet: "Ihr, die ihr 100, 1000, 10 000 oder 100 000 Follower habt, hier, auf Facebook oder Instagram! Ihr, die ihr täglich so viele Menschen trefft, helft euch, helft uns! Es ist eine Minute vor zwölf, euer Einfluss kann Leben retten, unsere Krankenhäuser stehen am Rande des Abgrunds." Es folgt eine Liste mit den wichtigsten Verhaltensregeln, die nun bitte eingehalten werden sollen.
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Die Lage in Belgien, das schon von der ersten Welle stark getroffen wurde, ist dramatisch. Nach Tschechien meldet das Land die zweithöchsten Werte bei Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner. Pro Tag stecken sich nach offiziellen Daten aktuell im Schnitt 10 000 Menschen an, bei 11,5 Millionen Einwohnern. Der Virologe Steven Van Gucht, Sprecher des belgischen Corona-Krisenstabs, rechnet für die kommenden Tage mit einem Anstieg der Anzahl täglicher Neuinfektionen "Richtung 20 000". Auf Deutschland übertragen hieße dies täglich rund 140 000 Fälle.
Mitte November würden die Intensivstationen in neun von zehn belgischen Provinzen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, wenn die Fallzahlen auf dem hohen Niveau blieben, warnen die Gesundheitsbehörden. Die Zahl verfügbarer Betten in den Intensivstationen soll auf 2300 aufgestockt werden. Nicht unbedingt notwendige Operationen sollen in den kommenden vier Wochen verschoben werden. Von diesem Freitag an gelten neue, striktere Maßnahmen. Hörsäle von Universitäten dürfen nur zu 20 Prozent ausgelastet sein, Freizeitparks müssen schließen. In Theatern und Kinos sind maximal 200 Besucher erlaubt. Im Amateursport sind Wettkämpfe mit mehr als 18 Athleten untersagt, bei Sportveranstaltungen sind Zuschauer zudem wieder tabu. Experten bezweifeln aber, dass dies reichen wird, um eine Überbelegung der Intensivstationen zu vermeiden.
Tschechien
Auch in Tschechien laufen die Spitäler voll. Nicht nur die etwa 4000 Intensivbetten, auch die Atemgeräte werden knapp. Nun sollen schnell neue Geräte beschafft werden, die EU versprach, 30 Stück aus ihrem Stand zu liefern. In den Krankenhäusern dürfen nur noch Patienten aufgenommen werden, die eine dringende Intensivpflege brauchen. Neue Betten können kaum hinzukommen, weil es zu viele infizierte Ärzte und Pfleger und ohnehin große Personalknappheit in den Krankenhäusern gibt. Die Regierung hat Bayern schon vor Tagen um Hilfe gebeten, die Ministerpräsident Markus Söder zugesagt hat. Man werde notfalls Intensivbetten zur Verfügung stellen.
Das knapp elf Millionen Einwohner zählende Land ist derzeit europaweit an der Spitze bei der Zahl der Neuinfektionen, seit einigen Tagen gilt ein Lockdown wie im Frühjahr, allerdings mit vielen Ausnahmen. Das Gesundheitsministerium meldete am Freitag 14.151 bestätigte Fälle binnen 24 Stunden etwas weniger als am Vortag, als es mit 14 968 Neuinfektionen einen neuen Rekord gab.
Schweiz
In der Schweiz haben Bund und Kantone die Krankenhäuser wie schon im Frühling aufgefordert, für weitere Covid-Patienten Platz zu schaffen. Nicht dringliche medizinische Eingriffe müssten jetzt rasch zurückgefahren werden, um genug Personal und Platz für Covid-Patienten bereitzuhalten, beschlossen die Gesundheitsdirektoren der Kantone am Donnerstag. Die Covid-Taskforce des Landes warnt, ohne weitere Maßnahmen kämen die Krankenhäuser Mitte November, also in drei Wochen, an die Kapazitätsgrenze. In einigen Kantonen sei es schon so weit, sagte Lukas Engelberger, Präsident der Konferenz der Gesundheitsdirektoren. Die Lage sei sehr ernst. "Wir müssen handeln."
Deutschland
Im Frühjahr hatte die Bundesrepublik 232 Corona-Kranke aus Italien, Frankreich und den Niederlanden zur Intensivbehandlung aufgenommen. Derzeit ist die Lage in Deutschland noch einigermaßen entspannt. Am Freitagmorgen waren gemäß dem Intensivregister der "Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin" 7212 Betten belegt, die für Covid-19-Patienten geeignet sind. Die Zahl der freien Betten betrug 6175.
In intensivmedizinischer Behandlung sind derzeit 1121 Covid-19-Kranke. Am Donnerstag waren es 1030. Damit hat sich der Anstieg bei den Patienten innerhalb von zwölf Tagen verdoppelt. Der Anstieg beschleunigt sich: Am Dienstag betrug die Verdopplungszeit noch 15, am Mittwoch 14, am Donnerstag 13 Tage. Deshalb schlagen inzwischen auch in Deutschland Experten Alarm, nicht zuletzt weil es vor allem an ausreichend Personal fehlt.