Coronavirus:Der Mundschutz kann helfen, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden

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Die Menschen in der Corona-Krise: Mit Mundschutz vereint. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Maske steht im Abendland traditionell für Täuschung und Verstellung. Doch gerade wird sie zum Symbol der Hoffnung.

Kommentar von Kia Vahland

Wir wahren das Gesicht oder wir verlieren es. Im Sprachgebrauch, ja in der ganzen europäischen Kulturgeschichte steht das unverhüllte Gesicht für die Identität eines Menschen. Hier entstand in der Renaissance die Porträtmalerei auf Tafelbildern, die angeblich unverstellte Gesichter zeigen. Die Maske dagegen gilt hierzulande, seit sie im Theater der alten Griechen zum Einsatz kam, als Symbol der Verstellung, gar der Täuschung. So wird sie zu Karneval getragen. Und taucht sie in der Kunst auf, dann hat sie zumeist eine zwielichtige Bedeutung. Die Unterstellung ist: Wer Maske trägt oder anderweitig sein Gesicht vermummt, kämpft nicht mit offenem Visier, er oder sie nimmt eine Rolle ein, versteckt sich, hat etwas zu verbergen.

Diese jahrtausendalte Denkweise des alten Kontinents muss man sich vergegenwärtigen, um zu verstehen, wie radikal neu es ist, wenn jetzt die Politik und die Wissenschaft aus hygienischen Gründen zum Maskentragen ermutigen und Menschen in der Stadt und auf dem Land die Nähmaschine anwerfen. Sind Not und Einsicht nur groß genug, dann können sich auch lang eingeübte kulturelle Muster schnell ändern.

Schließlich lassen sich Masken auch anders definieren, als das in europäischer Tradition üblich ist. In Asien gilt das Bedecken von Nase und Mund in der Öffentlichkeit nicht als Aggression, sondern als Zeichen der Rücksichtnahme. Und in vielen alten Kulturen hat die Maske eine positive spirituelle Bedeutung. Manche Tote der Spätantike trugen Tafeln mit ihrem Antlitz vor dem Gesicht. Im noch nicht missionierten Papua-Neuguinea schlüpften Tänzer in aufwendig geschnitzte und geflochtene Hüllen, die dem Ahnenkult dienten. Eine Maske kann viele Bedeutungen annehmen. Ob sie eher positive oder eher negative Gefühle auslöst, ist nicht naturgegeben, sondern kulturell geprägt.

In Deutschland und Mitteleuropa entfachten sich an Körperbedeckungen in den vergangenen Jahren emotional geführte Kulturkämpfe. Schon das Kopftuch von Musliminnen, erst recht aber der Schleier waren Debattenstoff Nummer eins, gefolgt vom Händedruck, der als ultimativer Ausdruck des freien, demokratischen Lebens gewertet wurde - und nun noch mehr als ein unbedeckter Mund als Virenschleuder in Verruf geraten ist. Was zu der Absurdität führt, dass in Dänemark aus Hygienegründen Einbürgerungen gestoppt werden mussten, weil bei der Zeremonie in Vor-Coronazeiten der Händedruck verpflichtend eingeführt worden ist.

Jetzt ist die Zeit gekommen, ideologisch abzurüsten. Die Corona-Krise ist ein ganz reales Problem, das unterscheidet sie von vielen Aufregerthemen der vergangenen Jahre, in denen vor allem unterschiedliche Lebensgefühle und politische Einstellungen verhandelt worden sind. Regierende Bundes- und Landespolitiker tun gut daran, die Pandemie nicht ideologisch zu instrumentalisieren. Sie können große Teile der Bevölkerung hinter ihrer Gesundheitspolitik versammeln, weil sie aus der Pandemie-Bekämpfung eben gerade keinen Kulturkampf machen, also weder "den Ausländern" noch "der Globalisierung" oder einem anderen imaginären Feind die Schuld geben.

So kann ausgerechnet diese Krise helfen, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Pragmatisch einen Gesichtsschutz anzulegen, ist ein erster mutiger Schritt. Die Maske lässt sich neu erfinden: Vom Symbol der Abschottung wird sie zur Hoffnungsträgerin, zur Vorbotin eines Sieges über die Seuche.

© SZ vom 17.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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