Süddeutsche Zeitung

Koalition:Wie die SPD mit Merkels Schuldeingeständnis umgeht

Dass die Kanzlerin einen Fehler eingesteht und sich entschuldigt, spielt der SPD sechs Monate vor der Bundestagswahl in die Hände. Und doch müssen die Genossen aufpassen, dass sie es mit ihren Attacken nicht übertreiben.

Von Mike Szymanski, Berlin

Kanzlerin Merkel zeigt Schwäche. Der 24. März 2021 dürfte im Kalender der Sozialdemokraten als jener Tag vermerkt werden, an dem sie eine große Chance wittern, aber dann nicht so recht wissen, wie sie damit umgehen sollen.

Angela Merkel hatte in der Runde mit den Ministerpräsidenten in der Nacht zu Dienstag den Plan durchgesetzt, die Ostertage quasi zu verlängern und auch den Gründonnerstag zu einem Feiertag zu machen. Nur, wie das funktionieren sollte, konnte danach niemand beantworten. Am Mittwoch nannte Merkel den Plan einen Fehler. Sie sagte: "Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler, denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung."

Es waren Worte, die den Koalitionspartner SPD elektrisierten. An Merkel gab es sonst kein Vorbeikommen. Es geht weitgehend auf ihr Krisenmanagement in der Anfangsphase der Pandemie zurück, dass die Union in Umfragen erst wieder den Sprung über die Marke von 30 Prozent schaffte und dann auf die 40 Prozent zusteuerte. Die SPD dagegen steckte bei Werten von 15 oder 16, ab und zu mal 17 Prozent in den Umfragen fest.

Es schien keine Rolle zu spielen, dass es ihr Finanzminister Olaf Scholz ist, der die zusätzlichen Milliarden für die Bewältigung der Krise bereitstellt. Oder mit Arbeitsminister Hubertus Heil ein Sozialdemokrat für die Kurzarbeit zuständig ist, die sich bewährt hat. Es war übrigens Heil, der in der Anfangszeit der großen Koalitionen unter Merkel einen Ausspruch prägte, der bis heute die Probleme der SPD auf den Punkt bringt. "Wir wollen keine Koalition, wo die SPD mit harten Themen im Maschinenraum schwitzt, die Union dagegen vom Sonnendeck winkt", sagte Heil im Januar 2006, damals noch Generalsekretär. Von einem Sonnendeck kann in dieser Krise natürlich nicht die Rede sein.

Was aber bisher stimmt: Merkel steht oben, im Licht.

Merkels Eingeständnis eines Fehlers, ihre Entschuldigung - nach diesem Mittwoch wird einiges anders sein im politischen Betrieb in Berlin. In einem halben Jahr ist die Bundestagswahl. Die SPD ist längst auf Distanz zum Koalitionspartner Union gegangen. Und plötzlich ist die Kanzlerin angreifbar.

Der berühmte eine Fehler zu viel

Ob Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, Wirtschaftsminister Peter Altmaier oder vor allem Gesundheitsminister Jens Spahn - die Kritik der SPD an deren Arbeit fiel vernichtend aus. Die Botschaft: Die können es einfach nicht. An Merkel hatten sich die Genossen nicht so richtig herangetraut. Plötzlich fehlt nicht viel, um sie gefährlich ins Wanken zu bringen; ein Stück nur.

Die SPD hätte es in der Hand, die Regierung platzen zu lassen. Die Argumentation könnte lauten: Es geht nicht mehr. Der berühmte eine Fehler zu viel - für den diesmal Merkel persönlich die Verantwortung übernommen hat.

Die Stimmung in der SPD ist am Mittwoch so: "Chaos komplett.", twitterte Siemtje Möller, die Vorsitzende des Seeheimers Kreises, dem Zusammenschluss von SPD-Bundestagsabgeordneten, die zum konservativen Flügel der Partei gezählt werden. Malu Dreyer, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, sagte der SZ: "Vertrauen ist das höchste Gut in der Politik." Fehler zu machen, das müsse auch in der Politik möglich sein. Nur: "Wenn jemand wie die Kanzlerin Vorschläge von solcher Tragweite macht, müssen diese geprüft und belastbar sein. Das geht nicht mit Hauruck-Aktionen mitten in der Nacht. Dann ist es besser zu vertagen."

Der Ärger ist groß. Teils herrscht sogar Entsetzen. Aber: Die Eskalation will an diesem Tag niemand.

Jetzt ein vorzeitiges Ende der Regierung herbeizuführen, das kann nicht im Interesse der SPD liegen. Deutschland befindet sich inmitten der dritten Welle der Pandemie. Eine Regierungskrise auszulösen, würde die Probleme nur verschärfen. Dafür dürfte im September bei der Wahl niemand belohnt werden.

Die SPD könnte sich auch nicht glaubhaft freimachen vom gemeinsamen Regierungshandeln. Sie scheint ja jetzt schon für die Probleme beim Impfen, womöglich sogar für die dubiosen Provisionsgeschäfte für Schutzmasken einiger Unionsabgeordneter in Mithaftung genommen zu werden. Anders können sich die Sozialdemokraten nicht erklären, dass die Union in Umfragen regelrecht abschmiert, die SPD aber kaum davon zu profitieren scheint. "Die Entrüstung geht gegen die Politik an sich", warnt ein Stratege aus der SPD-Führung vor der Vorstellung, die SPD könnte sich als die einzig gute Partei im Bündnis mit der Union absetzen.

Es sei auch etwas anderes, Spahn anzugreifen und Altmaier. Bei denen könnte man noch erklären, worin deren Versäumnisse lägen. Bei Merkel sei das schon bedeutend schwieriger. Bei der Kanzlerin sei auch für viele Bürger erkennbar, was sie im Handeln antreibe: Sie kümmere sich gerade weniger um das Wohl ihrer Partei. Ihr großes Anliegen sei es, die Zahl der Infizierten und Todesopfer so gering wie möglich zu halten. Sie wolle Leben retten.

Im Moment, so schätzt es der Stratege ein, kenne er niemanden in der SPD, der angesichts dieser Lage, sagen würde: Jetzt müsse sofort Schluss mit Merkel sein.

Scholz spricht von "Respekt"

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schont Merkel, wo er kann. Sie kennen sich. Als er in Schwierigkeiten war, als es unter ihm als Ersten Bürgermeister der Stadt Hamburg Krawalle beim G-20 Gipfel gab, nutzte Merkel seine Schwäche auch nicht aus. Sie sind schon durch manche Krise zusammen gegangen. Als Kanzlerkandidat greift er in letzter Zeit immer häufiger und härter die Union an. Wo er nur kann hinterlegt er den Gedanken, dass eine Regierung ohne CDU und CSU nach dem Wahltag möglich sei. Aber am Mittwoch sagt er, Merkels Entscheidung verdiene "Respekt", und dass die nun gekippte Osterruhe am Ende auch eine "gemeinsame Entscheidung" gewesen sei. "Ich hoffe, dass niemand vergisst, dass es so war", sagte er am Abend im Heute-Journal.

Auch SPD-Ko-Chef Norbert Walter-Borjans verzichtet auf den direkten Angriff auf die Kanzlerin. Sie bindet ihn und seine Partnerin an der Parteispitze, Saskia Esken, regelmäßig mit ein. Sie haben ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis entwickelt. Walter-Borjans sagte am Mittwoch der Süddeutschen Zeitung: "Wir befinden uns in einem wirklich kritischen Stadium der Pandemie." Dies liege auch daran, dass die Impfstoff-Beschaffung "ein Desaster" sei. "Das verlorene Vertrauen kommt aber nicht durch Schuldzuweisungen zurück, sondern durch Taten, die helfen, die entstandene Lücke beim Impfen zu überbrücken." Also: Nach vorne blicken.

Merkel muss sich nichts vormachen. Für sie ist die Lage mit diesem Mittwoch nur schwieriger geworden. Dass sie sich in der Runde mit den Länderchefs am Ende oft durchsetzen konnte, lag auch daran, dass sie den Eindruck vermittelte, sie wisse oft besser, was nun zu tun sei. In mancher Runde zwang sie die Länderchefs regelrecht auf ihren Kurs. Nun dürfte ihre Autorität schwinden. Und nun muss jeder neuer Vorschlag sitzen.

Der nächste Konflikt zieht schon auf. In der Regierung wird geprüft, ob man doch noch Auslandsreisen über Ostern verbieten könne, damit Urlauber nicht massenhaft das Virus mitbringen. Dass dies nicht längst passierte, ärgerte etliche Ministerpräsidenten. Urlaub bei sich im Land dürfen sie nicht erlauben.

Aber auch dieser Vorschlag dürfte sich nicht lange in der Diskussion halten. Die SPD-Fraktion hat am Mittwochabend erklärt, einem solchen Verbot keinesfalls zuzustimmen.

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