Süddeutsche Zeitung

Debatte um Maskenpflicht:Kampf den Tröpfchen

Lesezeit: 4 min

Von Kristiana Ludwig, Berlin, Ulrike Nimz, Leipzig, und Lisa Schnell

Thomas Nitzsche (FDP) ging mit Beispiel voran, als er sich vor wenigen Tagen mit einer Videobotschaft an die Einwohner Jenas wandte. Der Oberbürgermeister saß in seinem Büro, sprach über Fahrplanänderungen im Nahverkehr, Mindestabstand, Solidarität. Unter dem bärtigen Kinn klemmte eine Atemschutzmaske. "Es ist wichtig, dass wir alle anderen schützen im Moment, das wissen Sie", sagte Nitzsche. Nachdem er sich verabschiedet hatte, zog er das Stück Stoff wie selbstverständlich zurück über Mund und Nase.

Von kommender Woche an soll eine solche Maske nun für alle in Jena verpflichtend werden. Beim Betreten des Supermarkts, in Bus und Bahn, überall dort, wo Mindestabstände oft nicht eingehalten werden können. Auch Tücher oder Schals werden, sofern sie Mund und Nase bedecken, als Schutz anerkannt.

Die Universitätsstadt ist die erste Kommune in Deutschland, die eine solche Maßnahme ergreift. Die Maskenpflicht sei vom Fachdienst Gesundheit angemahnt worden, hieß es am Dienstag von der Stadt. Es gehe vor allem darum, die Sicherheit von Personal im öffentlichen Leben zu erhöhen.

Die Bürger sollen selber nähen

Dabei ist Schutzkleidung - so wie in ganz Deutschland und im Grunde auf der ganzen Welt - auch in Thüringen knapp. Masken und Einweghandschuhe sind in vielen Apotheken und Drogerien ausverkauft. Die Stadt Jena verfügt nach eigenen Angaben über eine Grundausstattung für Pflegekräfte, Ärzte, Fahrer im Nahverkehr, könne aber nicht auf einen Schlag 110 000 Menschen versorgen.

An die Bevölkerung erging deshalb der Aufruf: "Nähen Sie sich selbst und anderen Menschen den wichtigen Mund-Nasen-Schutz, um die Verbreitung des Virus einzudämmen." Bis Ende der Woche sollen Stoffläden und Änderungsschneidereien in Jena wieder geöffnet sein. Übergangsweise könnten auch zweilagige Geschirrtücher oder Bettlaken aus dicht gewebter Baumwolle zurechtgeschnitten und vor das Gesicht gebunden werden, heißt es auf der Internetseite der Stadt.

Jena schließt sich mit dieser Maßnahme Österreich an, wo Bundeskanzler Sebastian Kurz angekündigt hat, dass die Supermärkte voraussichtlich von Mittwoch an mit der Verteilung von Masken an den Eingängen beginnen. Beim Einkaufen soll dann eine Maskenpflicht gelten, und Kurz deutete an, dass der Mund-Nasen-Schutz in Österreich auch bald am Arbeitsplatz vorgeschrieben sein könnte.

Wird dieses Vermummungsgebot nun bald auch für Deutschland gelten? In Berlin reagierte die Koalition am Dienstag zunächst zurückhaltend auf die Idee einer bundesweiten Mundschutzpflicht. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, "in der jetzigen Lage" sehe er "keine Notwendigkeit für eine Verpflichtung". Dass Menschen freiwillig ihren Mund schützten, nannte er aber "ein gutes Signal".

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte zwar der Bild-Zeitung, er könne nicht ausschließen, dass auch eine solche Maßnahme je nach Entwicklung einmal nötig werden könnte - man müsse aber "nicht jede Stunde einen neuen Vorschlag bringen", sondern erst einmal die getroffenen Beschlüsse wirken lassen.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag, sagte, dass dort, wo die Menschen genügend Abstand voneinander halten könnten, "eine Maskenpflicht nicht notwendig" sei. In beengten Räumen könne aber "über eine Maskenpflicht nachgedacht werden". Allerdings habe für sie das Gesundheitswesen jetzt den Vorrang bei der knappen Schutzausrüstung. Erst, wenn die Versorgung von allen Krankenhäusern, Zahnärzten, Physiotherapeuten, Pflegediensten und Rehakliniken mit Mundschutz sichergestellt sei, "reden wir über weitere Maßnahmen", sagte Maag.

Auch Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) wiegelte ab. Schon jetzt gebe es "sehr massive Einschränkungen", die eine Ausbreitung des Virus verhindern sollen. "Erst mal das umsetzen, was wir haben", sei deshalb seine Devise, sagte Scholz bei einem Besuch des bayerischen Kabinetts in München. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stimmte ihm zu, betonte aber: "Man kann nichts ausschließen." Bayern orientierte sich in seinem Krisenmanagement bisher stark an Österreich.

Dass diese Maßnahme in Deutschland derzeit nicht geplant wird, liegt offenbar auch daran, dass unklar ist, woher all die Masken kommen sollen. Die Schutzkleidung, die es gebe, werde für Ärzte oder Pflegepersonal gebraucht, sagte Scholz. Eine allgemeine Maskenpflicht könne zudem zu Hamsterkäufen führen, ein eh schon knappes Gut würde also noch knapper, sagte Söder: "Es herrscht ein Engpass bei guten Masken, zum Teil ein Notstand", und warnte: "Da läuft die Zeit davon." Die Produktion müsse auf eine "Notfallwirtschaft" umgestellt werden, Schutzkleidung, aber auch Beatmungsgeräte sollten wieder in Deutschland hergestellt werden.

Bund will Unternehmen unterstützen, die ihre Produktion umstellen

Söder hatte diese Forderung bereits am Montag gestellt - nun aber bekam er eine Antwort von Finanzminister Scholz. "Wir werden das ermöglichen", sagte Scholz. Es gebe schon "eine ganze Reihe von Herstellern, die dazu bereit sind". Der Bund werde Geld geben, damit Unternehmen das finanzielle Risiko einer Produktionsumstellung auf sich nähmen. "Das kann jetzt ganz schnell geschehen", versicherte Scholz in Richtung Söder, der hochzufrieden wirkte: "Genau so stell' ich mir das vor."

Zurzeit, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, buhlten Bund, Länder und viele einzelne Pflegeheime und Kliniken um die wenigen Masken auf dem Markt - und trieben damit die Preise nach oben. In dieser Lage eine Mundschutzpflicht einzuführen, würde den "Run auf alle Anbieter" noch verschärfen, sagt sie. Für soziale Einrichtungen wäre das fatal. Auch Gesundheitsminister Spahn verglich den Wettlauf um Masken "mit dem Goldmarkt".

Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, warnte unterdessen davor, einen einfachen Mund-Nasen-Schutz mit einer medizinischen Atemschutzmaske zu verwechseln. Professionelle Masken müssten dem medizinischen Personal vorbehalten bleiben. Ein einfaches Tuch vor dem Mund diene dagegen dem Schutz der Umwelt. Wer nach einer Infektion hustet und schnupft, halte so die Tröpfchen zurück. "Das ist sinnvoll, das empfehlen wir von Anfang an, und das empfehlen wir natürlich auch weiterhin", sagte er. Wer einen selbst genähten Mund-Nasen-Schutz trage, sei umgekehrt jedoch eines nicht: vor Viren geschützt.

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SZ vom 01.04.2020
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