Justiz und Corona:Viel hilft viel

Coronavirus - Bayern - FFP2-Maskenpflicht

Eine Frau trägt an einer Münchner Tram-Haltestelle eine FFP2-Maske.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Warum weitere Verschärfungen wie Ausgangssperren oder Fahrgastlimits vor den Gerichten Bestand haben dürften.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Nun werden die Schrauben zur Eindämmung der Pandemie noch stärker angezogen. Die Freiheiten werden kleiner, und mancher fragt sich, wann der Punkt erreicht ist, an dem die Grundrechte so gequetscht sind, dass sich nichts mehr herauspressen lässt an Bewegungsfreiheit und selbstbestimmtem Leben, ohne sie zu beschädigen. Anders gefragt: Schlägt nun die Stunde der Gerichte?

Schaut man sich die wechselvolle, bald ein Jahr währende Geschichte der juristischen Antworten auf Corona an, dann lässt sich eher die umgekehrte Regel aufstellen: Je härter die Maßnahmen, desto geringer deren gerichtliche Beanstandung - und umgekehrt. Im ersten Lockdown des Frühjahrs waren die Gerichte regelrecht gelähmt und nahmen fast alles hin. Nur vereinzelt wurden allzu rigide Demonstrations- oder Gottesdienstverbote gekippt.

Im Sommer dagegen, als die Zahlen sanken, nahmen Gerichte die Verbote bisweilen sehr genau unter die Lupe. Nach den Infektionen im Schlachtbetrieb Tönnies kassierte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster am 6. Juli einen befristeten Lockdown für den gesamten Kreis Gütersloh - weil die Infektionszahlen zwar in Rheda-Wiedenbrück sehr hoch, 30 Kilometer weiter aber sehr niedrig seien. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde zum Präzisionsinstrument. Wenn schon Freiheiten beschränkt werden, dann aber nur punktgenau, hieß das. So ähnlich war es noch im Herbst, als landauf, landab die Beherbergungsverbote fielen. Die Ansage lautete: Bitte nur da verbieten, wo es wirklich etwas bringt.

Eine Ausweitung der Maskenpflicht gilt als unproblematisch

Liest man die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte nach den Verschärfungen vom Dezember, so stellt man fest, dass auch in der Juristenwelt jede Wahrheit zu dieser so dynamischen wie komplexen Pandemie ein kurzes Verfallsdatum hat. Nächtliche Ausgangssperre? Kein Problem, fand das Verwaltungsgericht (VG) Minden Ende Dezember, denn damit könnten "gesellige Zusammenkünfte" unterbunden und die Einhaltung der Verbote effektiver kontrolliert werden. Auch der vormals als unbedenklich geltende Drang ins Freie kann inzwischen mit gerichtlicher Billigung gestoppt werden. Laut OVG Berlin Brandenburg ist die 15-Kilometer-Regel für Gebiete mit hohen Inzidenzen der Eindämmung des Virus "förderlich", auch wenn unter freiem Himmel nur eine geringe Ansteckungsgefahr bestehe. Das OVG Münster hielt das Verbot für Golfplätze für rechtens, obwohl das Golfen "nicht in hohem Maße infektionsbegünstigend" sei.

Die breitflächige Corona-Bekämpfungsstrategie "Viel hilft viel" hat vor Gericht also gehalten. Eine weitgehende Kontaktbeschränkung sei konsequent, weil die Infektionswege nicht mehr lokalisierbar oder auf bestimmte Ereignisse eingrenzbar seien, schrieb das VG Düsseldorf vor ein paar Wochen. Vielleicht waren sie das nie, aber im Sommer und Herbst glaubte man noch, Partys seien schuld oder Reiserückkehrer. Heute dagegen argumentiert etwa das OVG Berlin-Brandenburg zur Rechtfertigung der im Herbst so umstrittenen Übernachtungsverbote, angesichts des diffusen Infektionsgeschehens könne die Pandemiebekämpfung nicht mehr nur bei vermeintlichen Haupttreibern ansetzen.

Bei dieser juristischen Ausgangslage ist zu erwarten, dass auch die nun diskutierten Verschärfungen vor den Gerichten im Wesentlichen Bestand haben dürften, seien dies nun striktere nächtliche Ausgangssperren oder ein Fahrgastlimit für Straßenbahnen. Und die Auflage, Masken zu tragen, lässt sich als eher milde Beschränkung vermutlich ohne juristisches Risiko ausweiten. Es gilt eben für die Justiz, was auch für die Politik richtig ist. Beide operieren in einer nebulösen Sphäre zwischen Nichtwissen und Gewissheit. Nichtwissen über die exakten Verbreitungswege des Virus - und Gewissheit über dramatisch hohe Infektionszahlen.

Behörden und Homeoffice

Sollen Firmen dazu verpflichtet werden, Mitarbeiter ins Home-Office zu schicken? Entsprechende Bestimmungen würden sicher vor Gericht landen.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

In einem Punkt könnten die diskutierten Maßnahmen sogar für ein Quäntchen mehr Gerechtigkeit sorgen. Da die Industrie und einige andere Branchen von all den Schließungen verschont wurden, könnte eine nachdrückliche Pflicht zum Home-Office die Ungleichbehandlung zumindest ein wenig glätten, die zwischen dem produzierenden Gewerbe auf der einen sowie Handel und Dienstleistern auf der anderen Seite besteht. Nach dem Motto: Wenn sie schon weiter arbeiten dürfen, dann zumindest unter größtmöglichen Anstrengungen, ihren Beitrag zur Pandemie-Bekämpfung zu leisten.

Eine gewisse Rolle könnten die Gerichte aber womöglich beim Thema Impfen spielen. Dass die Reihenfolge der zu impfenden Gruppen nicht durch ein Gesetz geregelt wurde, sondern nur per Verordnung, verstößt nach Meinung zahlreicher Verfassungsjuristen eindeutig gegen das Grundgesetz. Wesentliche Fragen müssen nun mal vom Parlament geregelt werden - und eine Impfung kann eine Frage von Leben und Tod sein. Erste Klagen gibt es bereits. Eine Hamburgerin, die vor einer Krebstherapie stand, hat laut Spiegel.de kürzlich auf dem Klageweg durchgesetzt, dass sie vorrangig geimpft wird.

Zur SZ-Startseite
Coronavirus - Supermarkt - FFP2-Masken

SZ PlusStrengere Corona-Maßnahmen
:Was soll jetzt noch helfen?

FFP2-Masken, Pflicht zum Home-Office oder Schweigen in der Bahn: Berlin diskutiert mit den Ländern weitere Maßnahmen, um die Pandemie zu stoppen. Dabei tun sich allerdings Probleme auf.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: