Nach Berichten von Süddeutscher Zeitung und Zeit über Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND) zur Entstehung des Coronavirus haben sich mehrere Politiker geäußert – dennoch bleiben wesentliche Fragen offen. Wie Recherchen ergaben, vertrat der BND schon 2020 die Ansicht, dass ein Laborunfall im chinesischen Wuhan vermutlich die Ursache für die Pandemie gewesen sei. BND-Chef Bruno Kahl habe die damalige Kanzlerin Angela Merkel über entsprechende Erkenntnisse unterrichtet und das Kanzleramt erneut informiert, als Olaf Scholz Ende 2021 die Regierungsgeschäfte übernahm. Merkel wie auch Scholz hätten diese Erkenntnisse sowie die Einschätzung des BND unter Verschluss gehalten, wonach die Laborthese mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 bis 95 Prozent zutreffe.
Eine Sprecherin Merkels wies auf Anfrage des Tagesspiegels den Vorwurf zurück, sie habe relevante Erkenntnisse vor der Öffentlichkeit vertuscht. Die ehemalige Kanzlerin werde sich zu der Sache nicht äußern. Für die Beantwortung von Sachfragen sei das Kanzleramt zuständig. Von der jetzigen Bundesregierung hieß es, man wolle sich nicht zu nachrichtendienstlichen Erkenntnissen äußern.
China lehnt „jegliche Form politischer Manöver entschieden ab“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) teilte auf SZ-Nachfrage mit, sein Ministerium kenne „den Inhalt der berichteten Untersuchungen nicht, war in den Vorgang und die Entscheidungen nicht einbezogen und kann sie daher auch nicht kommentieren“. Sein Vorgänger im Amt, Jens Spahn (CDU), sagte den Sendern RTL und n-tv, er habe nichts von dem Geheimdienstbericht gewusst. Die Debatte um die Laborthese habe es schon vor fünf Jahren gegeben, der Ursprung des Virus habe jedoch ohnehin keinen Einfluss auf die Corona-Maßnahmen in Deutschland gehabt. Was nun bekannt werde, habe lediglich Folgen für Schutzmaßnahmen in Laboren und die Außenpolitik.
FDP-Politiker Wolfgang Kubicki bewertet den Vorgang als „Vertuschung und Verschweigen von Geheimdienstinformation“, die „im höchsten Maße besorgniserregend“ seien. Auf der Plattform X forderte er, der deutsche Staat müsse sich bei seinen Bürgerinnen und Bürgern entschuldigen. Das Auswärtige Amt müsse den chinesischen Botschafter einbestellen und Aufklärung einfordern.
Peking mahnt indes zur Zurückhaltung. Laut einer Sprecherin des Außenamts lehnt China „jegliche Form politischer Manöver entschieden ab“. Auch eine Expertengruppe der Weltgesundheitsorganisation WHO, die bei einer Untersuchung 2021 mit Forschern in Wuhan sprechen konnte, sei zum Schluss gelangt, dass ein Entweichen des Virus aus den dortigen Labors „höchst unwahrscheinlich“ sei.