Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie:Wie Le Pen die Wut der Bürger nutzt

In Frankreich macht die extreme Rechte Zuwanderer, Europa und Präsident Macron für die Krise verantwortlich - und präsentiert sich als Fürsprecher all derer, die ihre Jobs verlieren und Angst vor der Zukunft haben.

Von Nadia Pantel, Paris

Es reichte Bürgermeister Robert Ménard nicht aus, dass die Menschen in Béziers ohnehin nur einmal am Tag für eine Stunde vor die Tür durften. Ihm war wichtig, dass sie in dieser einen Stunde ja keinen Hauch von Entspannung verbreiten. Daher ordnete Ménard am 7. April, die französische Ausgangssperre ging gerade in die vierte Woche, die Entfernung aller Parkbänke an. Béziers wurde bekannt in Frankreich als die Stadt, in der niemand mehr sitzen darf.

In Deutschland verbreiten Rechtsextreme eifrig die Lüge, das Coronavirus sei nur ein Vorwand der Regierenden, um die Bevölkerung zu drangsalieren. Doch was tun Rechte, wenn sie selbst entscheiden dürfen, wie sie dem Virus begegnen wollen? Die Antwort fällt uneinheitlich aus. In Ungarn wird die Pandemie von der rechten Regierung genutzt, um die Demokratie weiter zu demontieren. In den USA und in Brasilien weigern sich jeweils zwei Großtuer, den Rat von Wissenschaftlern zu hören. Doch auch in der Opposition verfolgen rechte Politiker keine einheitliche Linie. In Deutschland kämpft die AfD für Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen, in den Niederlanden forderte der rechtspopulistische Geert Wilders das Gegenteil. So widersprüchlich die Ansätze der Neuen Rechten sind, so sehr eint sie doch eines: Sie wollen einfache, radikale Lösungen.

Wie diese aussehen können, zeigt sich unter anderem in Béziers, wo Ménard seit 2014 dank der Unterstützung des rechtsextremen Rassemblement National (RN) regiert. Das Raster, mit dem RN-Chefin Marine Le Pen Frankreichs Lage analysiert, hat die rechtsextreme Politikerin erfolgreich auf die Pandemiephase übertragen. Sie musste sich dafür nicht sonderlich verbiegen. Ihre zentralen Thesen lauten stets: Ausländer sind schuld. Die Regierung verachtet das Volk. Die Europäische Union schadet dem Land. Und mit ein bisschen gesundem Menschenverstand, den Le Pen nach eigener Wahrnehmung gepachtet hat, ist jede Krise locker in den Griff zu bekommen.

In Corona-Zeiten dekliniert Le Pen ihre Weltsicht so durch: Erstens lenkt sie die Aufmerksamkeit ihrer Anhänger auf kleinere Ausschreitungen in den verarmten Vorstädten. Dort leben viele Eingewanderte und deren Kinder. Le Pen unterstellt ihnen, die Ausgangssperre nicht zu respektieren und damit die Gesundheit der Franzosen zu gefährden. Ihr Lieblingsausdruck für Bewohner der Banlieue: "Abschaum".

Zweitens konzentriert sie sich eher auf die Fehler Emmanuel Macrons, als eigene Lösungen anzubieten. Tatsächlich hat Macron erst spät auf den Ausbruch der Pandemie reagiert und scheiterte zudem über Wochen daran, ausreichend Masken, Schutzkleidung und Tests zu beschaffen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Bei ihrer traditionellen Ansprache zum 1. Mai sagte Le Pen in diesem Jahr, die Krise zeige, dass Frankreich die "große Wende" brauche. Damit führt sich das Duell des Präsidentschaftswahlkampfes 2017 fort: entweder er, Macron, oder ich.

Drittens nutzt Le Pen die innereuropäischen Konflikte dazu, um Macrons pro-europäischen Ansätze zu diskreditieren. Es spielt ihr in die Hände, dass Deutschland einseitig die Grenze zwischen Saarland und Elsass geschlossen hat. Le Pen predigt immer, dass man sich auf Deutschland in Krisenzeiten nicht verlassen könne.

Viertens bedient Le Pen die Bedürfnisse, die bei vielen Bürgern durch die rasante Verbreitung des Virus entstanden sind. Zwar betonen auch Macron und seine Minister die Notwendigkeit, die französische Wirtschaft zu stärken und unabhängiger zu machen. Doch bei Le Pen wird diese Forderung zu einem nationalistisch-patriotischen Versprechen. Frankreichs Rechte wollen zwar nicht mehr den Euro abschaffen, doch sie wollen so wenig Europa wie möglich. Ihre Lehre aus der Krise lautet: Frankreich steht alleine besser da. Am 9. Mai, dem Europatag, sagte Le Pen, es sei Zeit "der EU den Rücken zu kehren, um ein Europa der Nationen zu schaffen".

Die aktuelle Schließung der EU-Außengrenzen feiern Frankreichs Rechte als Erfolg. Selbst wenn die Entscheidung von den Regierenden gefällt wurde und nicht von ihnen. Endlich komme die Regierung zur Vernunft, kommentiert Le Pen.

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Auch in Frankreich wird in den nächsten Wochen mit Protesten gerechnet - doch dürften sich diese weniger auf diffuse Art "gegen das Virus" richten, wie bei den sogenannten Hygienedemos in Deutschland, sondern gegen die sozialen Ungleichheiten, die durch die Pandemie noch deutlicher zutage traten als schon zuvor. Durch den Aufstand der "Gilet jaunes" und die sich daran anschließenden wochenlangen Streiks gegen Macrons Rentenreform wurden tragfähige Netzwerke gebildet oder wiederbelebt, die sich radikal gegen die Regierung richten.

Während gerade zu Beginn der Krise in den meisten europäischen Ländern der Rückhalt der Regierung in der Bevölkerung wuchs, hat sich dieser Effekt für Macron inzwischen abgenutzt, von Zusammenrücken ist keine Rede. In zahlreichen Umfragen bewerten die Franzosen das Krisenmanagement ihres Präsidenten äußerst negativ. Marine Le Pen hat sich auf die kommende Wut bereits vorbereitet: Sie präsentiert sich als Fürsprecherin all derer, die ihre Jobs verlieren und Angst vor der Zukunft haben.

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SZ vom 12.05.2020/fie
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