Öffentlicher Dienst:Streiken? Jetzt?

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Beschäftigte eines Potsdamer Klinikums demonstrieren für die Rückkehr in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. (Foto: Martin Müller/imago images)

Krankenpfleger, Erzieherinnen, Müllwerker, Busfahrer: Für die 2,3 Millionen Arbeitnehmer bei Bund und Kommunen beginnt die Tarifrunde. Die Verhandlungen dürften besonders knifflig werden.

Von Benedikt Peters

Wer in diesen Tagen mit Krankenpflegern und -pflegerinnen spricht, hört immer wieder sehr ähnliche Sätze. Stolz schwingt darin mit: darüber, dass das deutsche Gesundheitssystem bisher doch recht gut durch die Corona-Pandemie gekommen sei, dass vergleichsweise wenige Menschen an dem Virus gestorben sind. Was auch noch mitschwingt: Frust. Über die Arbeitsbedingungen in den Kliniken, den Personalmangel, die vergleichsweise niedrige Bezahlung.

Auch das Stichwort "Applaus" fällt immer wieder - den habe es ja von vielen Menschen in den zurückliegenden Monaten gegeben, mehr dann aber auch nicht. "Das ganze Geklatsche ist schön und gut", so sagt es eine, die nicht mit Namen in der Zeitung stehen möchte. "Aber irgendwann brauchen wir auch mal etwas Zählbares."

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Die Gewerkschaften Verdi und Beamtenbund unternehmen in diesen Tagen den Versuch, dem Applaus nun dieses Zählbare folgen zu lassen. Am 1. September beginnen die Verhandlungen für die 2,3 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen. Indirekt geht es zudem um 225 000 Bundesbeamte - auf sie wird ein Abschluss in der Regel übertragen.

An diesem Dienstag wollen die Gewerkschaften ihre Forderung bekannt geben. Verdi-Chef Frank Werneke sagt, er strebe eine "Reallohnsteigerung" an, also ein Plus oberhalb der Inflationsrate - die im Juli minus 0,1 Prozent betrug. Viele Beschäftigte des öffentlichen Dienstes dürften eine Lohnsteigerung auch verlangen. Denn es sind ja nicht nur die Krankenschwestern, die das Gefühl haben, während der Pandemie besonders viel leisten zu müssen.

"Was die Beschäftigten in diesen Monaten leisten, ist außerordentlich"

Zu den Arbeitnehmern, für welche die Gewerkschaften verhandeln, zählen neben den bei Kommunen angestellten Krankenpflegern und Erziehern etwa auch die Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit, die sich um das Kurzarbeitergeld kümmern müssen; die Beschäftigten der Gesundheitsämter, die in Extraschichten Corona-Tests organisieren; die Mitarbeiter der Ordnungsämter, die die Einhaltung der Maskenpflicht kontrollieren.

Verhandelt wird auch für Müllwerker sowie Straßenbahn- und Busfahrer, die auch zu den Hochzeiten der Pandemie nach draußen mussten; Busfahren im Home-Office geht nun mal nicht. "Was die Beschäftigten in diesen Monaten leisten, ist außerordentlich", sagt Ulrich Silberbach, der Vorsitzende des Beamtenbunds, der Süddeutschen Zeitung. "Die öffentliche Wertschätzung muss sich nun auch endlich finanziell bemerkbar machen."

Verdi wollte die Gespräche verschieben, die Arbeitgeber lehnten dies ab

An diesem Punkt wird es allerdings heikel. Denn aus Sicht der Arbeitgeber macht sich die Corona-Pandemie in ganz anderer Hinsicht bemerkbar, nämlich in Form klammer Kassen in den Städten und Kreisen. "Selbst die Kommunen, die vor der Krise finanziell gut aufgestellt waren, müssen nun auf jeden Cent schauen", sagt Ulrich Mädge, Oberbürgermeister von Lüneburg und neuer Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), der SZ. Steuereinnahmen seien weggebrochen, und bei vielen kommunalen Unternehmen, etwa Flughäfen oder im öffentlichen Nahverkehr, seien die Probleme "riesig". "Finanziellen Spielraum für Entgelterhöhungen sehe ich da nicht", sagt der SPD-Politiker.

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(Foto: Ulrich Perrey/dpa)

Was sie leisten, merken die Leute besonders dann, wenn sie auf einmal nicht da sind: Erzieherinnen und Erzieher...

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(Foto: Daniel Karmann/dpa)

...Busfahrer...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...Müllwerker...

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(Foto: Martin Schutt/dpa)

...und Pfleger. In der anstehenden Tarifrunde müssen die Gewerkschaften eine Antwort auf die Frage finden, was sie den Bürgern zumuten wollen, um fürs Personal etwas durchzusetzen.

Bei den Gewerkschaften will man das aber nicht gelten lassen. Beamtenbund-Chef Silberbach verweist auf Finanzüberschüsse in Milliardenhöhe, welche die Kommunen in den Jahren vor der Pandemie erzielt hätten. Unter Berufung auf die Bundesregierung beziffert er sie für 2019 auf 4,5 Milliarden Euro, für die beiden Jahre davor auf 8,7 und 9,4 Milliarden Euro. Nicht zu vergessen sei, dass der Bund den Kommunen die coronabedingten Ausfälle der Gewerbesteuer teilweise erstattet. Silberbach spricht vom "Jammerlied der Kommunen" und sagt, das wolle er nicht gelten lassen.

Im Juni hatten Verdi und der Beamtenbund versucht, eine Verschiebung der Tarifrunde um ein halbes Jahr zu erreichen, bis Ende Februar. Weil der bisherige Tarifvertrag Ende August ausläuft, sollte es für die Beschäftigten für die sechs Monate keine Tariferhöhung, sondern eine Einmalzahlung geben. Die VKA aber lehnte ab. "Die Arbeitgeber haben unsere ausgestreckte Hand ausgeschlagen", sagte danach Verdi-Chef Frank Werneke - was für Niklas Benrath, den Hauptgeschäftsführer der VKA, das ganz und gar falsche Sprachbild war.

Die vorgeschlagene Einmalzahlung sei "völlig überzogen" gewesen, sagt er der SZ. "Sie hätte mehr als drei Milliarden Euro Mehrkosten für die kommunalen Arbeitgeber verursacht. Eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Situationen der Kommunen und der kommunalen Unternehmen" sei von den Gewerkschaften "kategorisch" abgelehnt worden.

Die Frage ist: Wer soll die Arbeit niederlegen, ohne dass sich die Öffentlichkeit zu sehr empört?

Die Tarifrunde steht also stark unter dem Eindruck der Pandemie, und das wird auch so bleiben. Eine offene Frage ist, wie sich die Gewerkschaften verhalten sollen für den Fall, dass sie nicht erreichen, was sie mindestens erreichen wollen. Ein Streikaufruf während einer Pandemie will sorgfältig erwogen sein. Kaum vorstellbar erscheint auch vielen Gewerkschaftern, dass das Pflegepersonal den Krankenhäusern fernbleibt, wenn möglicherweise eine zweite Infektionswelle heraufzieht.

Auch ein Streik von Erziehern und Erzieherinnen dürfte nach all den Monaten der Kita-Schließungen Hunderttausenden Eltern schwer vermittelbar sein. Allerdings, andere Branchen könnten sehr wohl wirksame Nadelstiche setzen, zum Beispiel die Busfahrer von ohnehin halb leeren Bussen. Die Gewerkschafter betonen, wie stets, dass sie vor einem Streik als Ultima Ratio nicht zurückschrecken würden. Dass Arbeitskämpfe unter Corona-Bedingungen grundsätzlich möglich sind, haben die Kollegen von der IG Metall gezeigt. Im Mai bestreikten sie einen Maschinenhersteller in Sonthofen im Allgäu. Aber Maschinen betreuen ja auch keine Kranken und Kinder.

Im öffentlichen Dienst stehen die beiden Verhandlungsführer indes noch aus einem anderen Grund unter großem Druck. Sowohl für Verdi-Chef Werneke wie auch für VKA-Präsident Mädge ist es die erste große Tarifrunde, in der sie die Verantwortung tragen. Werneke wurde vor knapp einem Jahr Nachfolger des langjährigen Verdi-Chefs Frank Bsirske, der Lüneburger Mädge folgte auf den ebenso langjährigen VKA-Präsidenten Thomas Böhle aus München. Bsirske und Böhle kannten sich gut, wussten, was sie einander zumuten konnten, und hatten, zumindest in ihren letzten Jahren, auch ihre eigenen Leute im Griff; was manchmal der schwierigere Teil bei Tarifrunden ist. Werneke und Mädge hingegen müssen sich erst noch kennenlernen - und vor den eigenen Leuten bewähren.

© SZ vom 25.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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