Die Biontech-Moderna-Sache ist nicht die erste Kommunikationspanne im Zuständigkeitsbereich des inzwischen nur noch geschäftsführend amtierenden Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU), doch es ist möglicherweise diejenige, für die er am meisten Kritik einstecken muss.
Sicher, auch die Debatte über die sogenannte epidemische Lage nationaler Tragweite, die in dieser Woche tatsächlich ausläuft, ist kommunikativ ein Desaster. Wir haben die Pandemie im Griff, alles unter Kontrolle, signalisiert dieser Schritt, und schon der Blick auf die diversen Inzidenz-Deutschlandkarten, die sich immer großflächiger rot, braun und schwarz färben, zeigt ja, dass dem mitnichten so ist. Spahn wollte das Auslaufen der epidemischen Lage, seine Partei dann plötzlich nicht mehr, die Ampel-Parteien trotz Kritik fast aller Experten schon, Riesenchaos also, aber: An diesem Chaos ist fast das gesamte politische Berlin schuld.
Die Ankündigung jedoch, dass für die Booster-Kampagne in den kommenden Wochen vermehrt das Vakzin von Moderna eingesetzt würde und weniger als bisher Biontech, die haben Spahn und sein Haus allein zu verantworten - und nach Meinung nicht weniger Beobachter völlig verbockt.
Zuletzt hatte sich am Sonntagabend in der Talkshow von Anne Will der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans als Kritiker zu Wort gemeldet, immerhin ein Parteifreund von Spahn. Hans sprach von einem "ganz falschen Signal". Es sei ein riesiges Problem, wenn in der jetzt wieder anziehenden Impfkampagne der in Deutschland beliebteste Impfstoff begrenzt sei in seiner Verfügbarkeit.
Zuvor hatten nicht nur Vertreter anderer Parteien, sondern auch etliche Fachleute Spahns Ankündigung als wenig hilfreich bezeichnet. Von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hieß es etwa, die Impfkampagne sei "empfindlich gestört", weil Ärztinnen und Ärzte in den Praxen nun nicht nur die Impfungen zu stemmen hätten, sondern auch Fragen verwunderter und verunsicherter Patienten beantworten müssten. Nur noch 30 Biontech-Dosen, so heißt es in einem Rundschreiben des Ministeriums von vergangener Woche, könnten Ärzte pro Woche bestellen, Impfzentren etwas mehr als 1000 Dosen pro Woche.
Spahn hat also kommunikativ einiges wiedergutzumachen, als er an diesem Montagmorgen in die Bundespressekonferenz kommt. Der Minister versucht es mit Zahlen: Etwa sechs Millionen Biontech-Dosen würden an diesem Montag und Dienstag aus den Lagern in die Versorgung gehen, für die Zeit danach stünden bis zu drei Millionen Dosen pro Woche zu Verfügung, insgesamt bis Jahresende 24 Millionen Dosen. Vom Moderna-Vakzin stünden ungefähr ebenso viele Dosen zur Verfügung: 26 Millionen bis Jahresende, 16 Millionen Dosen sofort und weitere zehn Millionen bis Jahresende.
Möglicherweise kommen von Biontech kurzfristig noch mehr dazu: Die Bild berichtete am Vormittag von zehn Millionen Extra-Dosen, über die Spahn mit dem Unternehmen im Gespräch sei, eine Zahl, die der Minister allerdings auf Nachfrage nicht bestätigen wollte. Man sei ständig in Kontakt mit allen Herstellern und man bemühe sich, den Umfang der Impfstofflieferungen von kommender Woche an noch weiter zu erhöhen, sagte er nur. Mit 25 bis 30 Millionen in diesem Jahr noch zu verabreichenden Booster-Dosen plant die Bundesregierung derzeit, zusätzlich hofft sie, dass sich im besten Fall noch einige Millionen Menschen erstimpfen lassen.
"Sie können beruhigt nehmen, was gerade da ist"
Spahn hat drei Botschaften an diesem Morgen. Erstens: Es gibt genug Impfstoff für alle. Zweitens: Wir halten keine Biontech-Dosen zurück und liefern alles aus. Und drittens: Der Moderna-Impfstoff ist genauso gut, vielleicht sogar einen ganz kleinen Tick besser als der Biontech-Impfstoff.
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Zur Untermauerung der dritten Botschaft hat sich Spahn zwei Experten an seine Seite geholt, den Immunologie-Professor Leif Erik Sander von der Berliner Charité und Klaus Cichutek, den Präsidenten des Paul-Ehrlich-Instituts, das die Qualität der Impfstoffe überwacht, sämtliche Impfreaktionen dokumentiert und den Überblick über alle Studien hat.
"Beide Impfstoffe zeichnen sich durch hohe Wirksamkeit aus und durch ein besonders niedriges Nebenwirkungsprofil", sagt Cichutek. Beide Impfstoffe schützten mit einer Wirksamkeit von mehr als 90 Prozent vor schweren Verläufen, auch bei der Deltavariante. Bei beiden Impfstoffen gebe es nur in extrem wenigen Fällen schwerwiegende Impfreaktionen. Und bei beiden Impfstoffen lasse der Immunschutz nach etwa fünf bis sechs Monaten allmählich nach. Beide Impfstoffe seien "äquivalent" und "heterolog verwendet", in einfachen Worten ausgedrückt: Es sei völlig unproblematisch, für die Grundimmunisierung den einen und für die Booster-Impfung den jeweils anderen zu verwenden.
"Wir sitzen in Deutschland im Schlaraffenland"
Auch Sander betont die Gleichwertigkeit der beiden Impfstoffe: "Sie können beruhigt nehmen, was gerade da ist. Beide Impfstoffe werden sie hervorragend schützen." Studien aus Israel legten sogar nahe, dass das Moderna-Vakzin einen leichten Vorteil in der Wirksamkeit haben könnte, allerdings sei dieser Unterschied eher von akademischem Interesse und nicht entscheidend für die Praxis. Der Charité-Professor erklärt auch noch mal, dass sich das Infektionsrisiko durch die Booster-Impfung im Vergleich zu einer zweifachen Impfung noch einmal um das Zehn- bis Zwanzigfache heruntersetzen lasse.
Um den Bürgerinnen und Bürgern die Sorgen vor einem Mix der Impfstoffe zu nehmen, bedient sich der Gesundheitsminister eines Vergleichs: "Biontech ist der Mercedes, Moderna der Rolls-Royce unter den Impfstoffen", sagt Spahn. Doch das Problem ist ja nicht die Vergleichbarkeit der Impfstoffe und das dabei Zweifel entstanden wären. Spahn, Cichutek und Sander wiederholen an diesem Montag im Grunde nur Dinge, die längst bekannt sind. Das Problem war Spahns missglücktes Rundschreiben.
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Was die Gründe für die Bestellbegrenzung bei Biontech angeht, so erklärt er nun, sei in diesem Schreiben und in den Aussagen danach ein falscher Eindruck entstanden. Dass eine große Menge an Moderna im ersten Quartal des Jahres 2022 verfällt, sei zwar ein Grund dafür gewesen, aber nicht der entscheidende. Entscheidend sei die zuletzt stark gestiegene Nachfrage nach Biontech gewesen und die Sorge, dass die Lagerbestände dieses Impfstoffs auf null sinken könnten und dadurch die Impfkampagne ins Stocken gerate. Zu den Irritationen, die durch seine Ankündigung entstanden seien, sagt Spahn: "Das bedauere ich. Das hätten wir klarer kommunizieren müssen." Er wisse um den zusätzlichen Erklärungsbedarf in den Praxen und die zusätzliche Belastung der Ärztinnen und Ärzte.
Entscheidend sei aber, dass die Impfkampagne vorangehe. Einer Impfpflicht stehe er nach wie vor skeptisch gegenüber, so Spahn, jeder in Deutschland habe nach seiner Ansicht jedoch "die moralische Verpflichtung", sich impfen zu lassen. Die Entscheidung für eine Impfung sei nie allein persönlich, sondern wirke sich stets auf die Gesundheit anderer Menschen aus. Und dann, als stehe er nicht ohnehin für seine Worte in der Kritik, traut sich Spahn einen gefährlichen Satz zu sagen, einen Satz, der zynisch, makaber und fatalistisch rüberkommt. Spahn sagt das auch, es sei "ein zynischer Satz", der öfter zu hören sei, aber er wiederholt ihn trotzdem, vielleicht, um den Appell für die Impfung eindringlicher zu machen: Am Ende dieses Winters werde angesichts der hochansteckenden Deltavariante jeder in Deutschland "geimpft, genesen oder gestorben" sein.
Spahns Kommunikationsverhalten hin oder her, Klaus Cichutek, der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, versucht die Debatte am Ende dann dennoch zu relativieren, indem er den Vergleich mit anderen Ländern zieht, denen es nicht so gut geht wie Deutschland. Er halte die Debatte hierzulande für unangemessen. "Wir sitzen in Deutschland im Schlaraffenland. Wir haben zwei gute, gleichwertige mRNA-Impfstoffe. Viele andere Länder sehnen sich danach ", sagt Cichutek.
In einfache Worte übersetzt: Es gibt schlimmere Schicksale, als zwischen Mercedes und Rolls-Royce wählen zu müssen.