Süddeutsche Zeitung

Italiens Kampf gegen das Coronavirus:Beruhigen, aber nicht verharmlosen

Das Coronavirus verunsichert und terrorisiert die Italiener - ein jungenhafter Mann versucht im Fernsehen, ihnen Ratschläge zu geben, und Hoffnung: Gesundheitsminister Roberto Speranza, der den Kampf gegen das Virus leitet.

Von Oliver Meiler, Rom

Manchmal will es der Zufall, dass der Name eines Amtsträgers zur Funktion passt. Der italienische Gesundheitsminister trägt so einen Namen, er heißt Roberto Speranza. Speranza ist das italienische Wort für Hoffnung. Und Hoffnung ist in Italien gerade die begehrteste Währung.

Das Coronavirus beschäftigt und besorgt, verunsichert und terrorisiert die Italiener, je nach Empfindlichkeit und Wohnort. Bei manchen schlägt das in Hysterie um, sie machen Hamsterkäufe, zahlen absurde Preise für Gesichtsmasken skrupelloser Händler. Andere sind lockerer und verweisen auf die Thesen und Theorien unaufgeregter Virologen.

Aber alle nennen die Epidemie eine Krise, "una crisi". Im Fernsehen tritt ihnen nun oft ein jungenhafter Mann mit "englischen Manieren" entgegen, wie eine Zeitung einmal schrieb, das Publikum kannte ihn bisher kaum. Roberto Speranza, 41 Jahre alt, aus der süditalienischen Region Basilikata, gibt Ratschläge, wie man sich verhalten soll, er erzählt von den drastischen Maßnahmen, die die Regierung in langen Krisensitzungen beschließt. An manchen Tagen sieht man ihm die Übernächtigung an. Er will beruhigend wirken, aber gleichzeitig nichts verharmlosen. Krisenmanager ist ein harter Job.

Gesundheitsminister wurde Speranza überraschend im vergangenen Spätsommer. Als das erste Kabinett von Premier Giuseppe Conte wegen des Ausstiegs des Lega-Chefs Matteo Salvini zerbrochen war, brauchte Conte Stimmen für eine neue Mehrheit im Parlament. Die wäre zwar auch ohne die linke Kleinpartei Liberi e Uguali möglich gewesen, zu der wiederum Speranzas Minipartei Articolo 1 gehört. Doch die paar Stimmen mehr versprachen einen besseren Halt. Damit Speranza Gesundheitsminister werden konnte, musste die größte Regierungspartei, die Cinque Stelle, Platz machen. Fachlich war er nicht sonderlich prädestiniert für das Ressort, aber es ging schließlich um das große Gleichgewicht.

"Politik kann Berge versetzen"

Im Netz gibt es ein hübsches Video von der Vereidigung des Kabinetts im Quirinalspalast: Alle neuen und alten Minister lesen ihren Eid auf Verfassung und Republik von einer Vorlage ab, nur Speranza nicht, der hat ihn auswendig gelernt. Wie ein Klassenbester steht er da, stolz und bewegt, und schaut dem Staatspräsidenten beim Schwur gerade in die Augen. Auf seiner Homepage schreibt Speranza, er habe früh zur Politik gefunden, denn Politik sei das schönste Werkzeug, man könne damit die Welt verbessern. "Politik kann Berge versetzen und Mauern zerstören." Aber was ist mit Viren?

Geradlinig verlief sein Weg nicht. 2013 wurde Speranza Abgeordneter. Obschon er Novize war, machte ihn Matteo Renzi, der damalige Chef des sozialdemokratischen Partito Democratico, zum Fraktionschef. Er war selbst überrascht, sagte er einmal. Nach zwei Jahren gab er das Amt ab, weil er die liberalen Reformen Renzis am Arbeitsmarkt nicht mittragen wollte. Speranza gehörte dem linken Flügel der Partei an, der sich später abspaltete. Es entstanden Kleingruppierungen mit geringem Wählerpotenzial.

Der Sommer 2019 brachte eine unverhoffte Wende, man war plötzlich wieder im Spiel. Der neue Minister Speranza verhieß als Erstes, er werde das "Superticket" abschaffen, eine Steuer auf Behandlungskosten im Krankenhaus. Die Reform würde 600 Millionen Euro im Jahr kosten und wäre natürlich populär. Die Finanzierung ist aber alles andere als gesichert.

Doch jetzt steht alles im Zeichen von Corona. Als vergangene Woche 40 Italiener, die im chinesischen Wuhan lebten, in die Heimat zurückkehrten, postete Speranza auf Twitter ein Gruppenfoto. Eine "bella emozione" sei das, schrieb er, ein schönes Gefühl. "Unsere Landsleute können nun in totaler Sicherheit ins Leben zurückkehren." Der Post ist vom 20. Februar. Weniger als 24 Stunden später wurde bekannt, dass das Virus den Norden Italiens erreicht hatte - und zwar lange vor den Rückkehrern.

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SZ vom 27.02.2020
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