Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie:Italien fühlt sich allein gelassen

Die EU hat sich anfangs schwer getan, auf die Hilferufe aus Italien zu reagieren. Die Italiener selbst fürchten eine lang anhaltende, vor allem wirtschaftliche Krise. Doch aus vielen Ecken kommt nun Unterstützung.

Von Leo Klimm, Paris, Oliver Meiler, Rom, Karoline Meta Beisel, Brüssel, und Frank Nienhuysen

Manche Überschriften in den italienischen Zeitungen wirken gerade wie historische Sentenzen: "La brutta Europa", schreibt La Repubblica nach dem Europagipfel über ihre erste Seite: Hässliches Europa. Und wenn das römische Blatt so über die Solidarität in der Union urteilt, muss man befürchten: die Stimmung wankt gefährlich. Die Italiener fühlen sich alleingelassen in der Not.

Der Corriere della Sera erklärt, Angela Merkel mache, was sie am besten könne, nämlich "merkeln". Gemeint sei die unvergleichliche Kunst der Kanzlerin, Entscheidungen zu verzögern. Merkel habe für die Videokonferenz nicht einmal ihre Webcam eingeschaltet. "Die mächtigste Frau Europas machte sich unsichtbar." So sieht es die Mailänder Zeitung. Vermutlich tut sie Merkel unrecht: Sie ist ja gerade zuhause in Quarantäne. Doch Gefühl ist Gefühl.

Italiens Premier Giuseppe Conte erlebt einen heiklen Moment. Er ist zwar populär, sein Krisenmanagement, der Lockdown der Bürger und der Shutdown der Wirtschaft, wird von fast allen mitgetragen. Doch bald sind drei Wochen vergangen, und die Zahlen sind weiterhin verheerend: 969 Corona-Tote meldete die Regierung am Freitagabend, so viele wie an keinem Tag zuvor, und 4401 Neuinfektionen. Um die Italiener zu motivieren, braucht es Gewissheiten für die Zukunft. Die Sorge ist groß, nach der Viruskrise in eine noch viel größere Wirtschaftskrise zu geraten.

Conte gibt zu bedenken, dass Rom das Defizit zuletzt in Schach gehalten habe und diese Krise ja keine italienische sei und deshalb auch die Solidarität aller erforderte. Wenn nun manche europäische Partner sich querstellen, hilft das in erster Linie der antieuropäischen Propaganda der italienischen Opposition: vor allem Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega. Um Salvini war es sehr still geworden, nun hat er wieder ein Thema.

Contes Klage über Europas Zögern hat auch einen anderen Grund. Mario Draghi, der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank, wird bereits als "Premier der nationalen Einheit" gehandelt für die Zeit, wenn Corona überstanden sein wird und die Wirtschaft saniert werden muss. Draghi gilt vielen als der beste Mann, bekannt wurde er mit seiner Devise in der Finanzkrise nach 2008: "Whatever it takes", was auch immer nötig ist. Die legte er nun in der Financial Times neu auf für diese "Tragödie von potenziell biblischem Ausmaß". In Italien las man den Artikel wie eine Empfehlung in eigener Sache.

Doch auch wenn in Italien der Bundeskanzlerin und der EU Vorhaltungen gemacht werden, ist Brüssel keineswegs untätig. So versucht die EU-Kommission beim Beschaffen von medizinischer Ausrüstung zu helfen, indem sie Aufträge der Mitgliedstaaten bündelt, um auf dem Weltmarkt stärker auftreten zu können. Offenbar mit Erfolg: Man wisse seit Dienstag, dass die bestellten Masken, Handschuhe, Schutzbrillen und Gesichtsschilde geliefert werden könnten, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dies seien "gute Nachrichten". Die EU-Kommission legt aber auch einen eigenen Vorrat an diesem Material an, aus dem Mitgliedstaaten beliefert werden können.

Außerdem werden in Brüssel Wettbewerbs- und Budgetregeln gelockert, Gelder aus dem EU-Budget umgeleitet, Rückholflüge für EU-Bürger mitorganisiert. Auf die Frage, ob Italiens Vorwürfe dennoch berechtigt seien, die EU lasse das Land hängen, antwortete der Sprecher der EU-Kommission am Freitag, niemand wisse derzeit, was der richtige Weg aus der Krise sei. Es sei normal, dass Mitgliedstaaten und EU-Institutionen darum rängen: "Das ist, was die EU ausmacht, so löst sie Krisen, so kommt sie weiter".

Thüringen schickt Ärzte Richtung Süden, Tschechien bietet Schutzanzüge an

Solidarität ist aber auch nicht nur eine Frage der EU. Die Europäer zeigen sich zupackend auf vielen Ebenen, einzelne Staaten, Regionen, Firmen helfen einander, jenseits der eigenen Grenzen wollen sie insbesondere Italienern helfen, Spaniern, Franzosen. Beispiel Deutschland: Mehrere Bundesländer haben bereits italienische Corona-Erkrankte aufgenommen. Es gibt eine Zusage, Dutzende weitere Patienten intensivmedizinisch zu betreuen. "Wir stehen an der Seite unserer Freundinnen & Freunde", twitterte das Bundesaußenministerium und versah den Tweet mit Italiens Flagge.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche Hilfsprojekte, hier von einem Bundesland, dort von Unternehmen. Thüringen etwa schickt Mitarbeiter der Uni-Klinik Jena nach Italien, um Patienten zu betreuen. Die Lübecker Firma Drägerwerk, nach eigenen Angaben ein international führendes Unternehmen der Medizin- und Sicherheitstechnik, erklärte auf SZ-Anfrage, dass es allein vergangene Woche mit Hilfe der Bundeswehr mehr als 100 Beatmungsgeräte nach Italien geflogen habe.

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Auch Tschechien setzt sich für Italien ein und für Spanien. Es hat 10 000 Schutzanzüge angeboten, die für das medizinische Personal bestimmt sind. "Wir können uns das im Moment leisten, und sie brauchen sie verzweifelt", sagte der tschechische Innenminister Jan Hamáček.

Frankreich hat Italien ebenfalls geholfen: Ehe das Land selbst voll von der Pandemie erfasst wurde, hatte es italienische Patienten in Nizza und Marseille aufgenommen. Die Franzosen spendeten dem Nachbarn auch 200 000 Schutzanzüge sowie eine Million Schutzmasken für Ärzte und Krankenpfleger - obwohl in den eigenen Krankenhäusern akuter Mangel an Masken herrscht. Auch Frankreich selber erhält Nachbarschaftshilfe. Deutsche Bundesländer nehmen aus dem Elsass Dutzende französische Patienten auf. Und die Schweiz und Luxemburg entlasten die französischen Intensivstationen. Europäische Solidarität, es gibt sie doch.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2020/cku
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