Pandemiepolitik:Streit um die Inzidenzwerte

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Lothar Wieler (li.) vom Robert-Koch-Institut und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sind sich nicht einig, wenn es um den Inzidenzwert geht. (Foto: Christian Mang/AFP)

Zwischen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und RKI-Chef Lothar Wieler ist eine Debatte um die Bedeutung der Inzidenzwerte entbrannt. Soll diese Zahl weiterhin über die Pandemiepolitik in Deutschland entscheiden?

Von Angelika Slavik, Berlin

Jens Spahn (CDU) und Lothar Wieler sind eigentlich ein eingespieltes Duo. Bis vor Kurzem saßen der Bundesgesundheitsminister und der Präsident des Robert-Koch-Instituts Woche für Woche nebeneinander in der Bundespressekonferenz und informierten das Land über die Corona-Lage. Sie hatten meistens schlechte, hie und da auch mal ein paar hoffnungsvollere Nachrichten, aber immer herrschte Einigkeit in der Botschaft: Bitte Masken tragen, bitte Vorsicht, bitte impfen, die Pandemie ist längst nicht zu Ende.

Nun aber scheint es vorbei mit der Harmonie: Zwischen Spahn und seinem wichtigsten Pandemie-Beamten ist ein Streit über die Inzidenzwerte entbrannt. Konkret geht es um die Frage, ob die Inzidenz - also die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen - auch weiterhin für die Pandemiepolitik entscheidend sein soll. Oder ob es nun, da immer mehr Menschen geimpft sind, andere Kriterien geben muss, um über Maßnahmen, Einschränkungen oder Lockerungen zu bestimmen.

Die Überlegung dahinter: Da besonders vulnerable Gruppen, also ältere Menschen oder Vorerkrankte, mittlerweile zu großen Teilen geimpft sind, hat eine hohe Inzidenzzahl nicht mehr die gleiche Anzahl an Krankenhausaufenthalten zur Folge. Derzeit stecken sich vor allem jüngere Menschen an, die im Fall einer Infektion seltener in der Klinik oder gar auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Sollte man also höhere Inzidenzzahlen akzeptieren? Oder sollte man überhaupt nach ganz anderen Kriterien bewerten, wie die Pandemiesituation im Land ist?

Spahn: Inzidenz verliert an Aussagekraft

Der Bundesgesundheitsminister scheint jedenfalls bereit, sich von der Inzidenz als zentralem Parameter zu verabschieden. "Mit steigender Impfrate verliert die Inzidenz an Aussagekraft", findet Spahn. In der Bild-Zeitung teilte er daher mit, es brauche "zwingend weitere Kennzahlen, um die Lage zu bewerten". Als Beispiel nannte er die Zahl der Corona-Patienten in den Krankenhäusern.

Dem RKI-Präsidenten Wieler kann das nicht gefallen: Am Montag erst hatte er in einer Bund-Länder-Schalte eine Niedrig-Inzidenz-Strategie gefordert und eindringlich gewarnt, die vierte Welle habe bereits begonnen. Man dürfe ein steigendes Infektionsgeschehen keinesfalls einfach so akzeptieren. Die Inzidenz bleibe wichtig, um die Situation in Deutschland zu bewerten und frühzeitig Gegenmaßnahmen zu initiieren, argumentierte Wieler.

Unbestritten ist jedenfalls: Die Neuansteckungen haben in Deutschland zuletzt wieder exponentiell zugenommen - wenn auch auf niedrigem Niveau. Der Inzidenzwert lag bundesweit am Donnerstagmorgen bei 16,0. Welche Schlüsse man daraus ziehen sollte, muss das Duo Spahn und Wieler wohl noch einmal diskutieren.

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