Süddeutsche Zeitung

Seehofer zu geplanten Einreisebeschränkungen:"Deshalb bereiten wir das jetzt national vor"

Deutschland plant Innenminister Seehofer zufolge einen weitgehenden Einreisestopp aus Ländern, die von Corona-Mutanten betroffen sind. Mit einer europäischen Regelung rechnet er nicht. Doch auch andere EU-Staaten reagieren bereits auf die Gefahr.

Von Constanze von Bullion, Berlin, und Matthias Kolb, Brüssel

Um den Eintrag hochansteckender Corona-Mutanten nach Deutschland zu begrenzen, plant die Bundesregierung einen weitgehenden Einreisestopp aus Großbritannien, Portugal, Südafrika und Brasilien. Zudem arbeitet sie an einer Einigung auf einen Mechanismus, wann weitere Länder zu sogenannten Mutationsgebieten erklärt werden. Das teilte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vor einem virtuellen Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag mit.

Anders als zunächst angekündigt, werde die Bundesregierung ihre Entscheidung über Reisebeschränkungen nicht von einer Einigung auf europäischer Ebene abhängig machen, so Seehofer. "Wir können nach allem, was wir bisher an Informationen haben, nicht damit rechnen, dass es zu einer europäischen Regelung kommt. Deshalb bereiten wir das jetzt national vor", sagte er.

In einer ersten Reaktion forderte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson die Bundesregierung zur Zurückhaltung auf. Auch ihre Behörde empfehle, auf nicht notwendige Reisen zu verzichten, sagte die Schwedin: "Aber ich denke auch, dass wir nicht zu drastische Maßnahmen ergreifen sollten."

Bis Freitag wollten die Ressorts der Bundesregierung sich auf eine Vorlage einigen, die im Umlageverfahren, also ohne Treffen des Kabinetts, beschlossen werden soll. "Es geht schlicht und einfach um das große Ziel, das ist das Einmaleins des Infektionsschutzes, den Eintrag eines hochinfektiösen Virus nach Deutschland einzudämmen", sagte Seehofer.

Zu klären sei bis Freitag aber noch, für welche Personengruppen, die aus Mutationsgebieten einreisen wollen, Ausnahmen vom Einreiseverbot gelten sollen. Zum einen dürfte deutschen Staatsbürgern die Rückkehr aus dem Ausland weiter erlaubt werden. Zum anderen soll der Warenverkehr nicht eingeschränkt werden, weshalb auch Beschäftige im Transportwesen ausgenommen werden dürften. Von Sonderregelungen für binationale Paare etwa war zunächst keine Rede.

Stationäre Grenzkontrollen soll es nicht geben

Seehofer betonte, es werde zwischen den Ressorts derzeit noch ausgehandelt, wie umfangreich die Ausnahmeregelung werde. Gehe es nach seinem Haus, bleiben sie eng begrenzt. Angesichts der ernsten Lage müsse präventiv gehandelt werden. Erst zu reagieren, wenn mutierte Viren bereits im Land seien, sei aus seiner Sicht "ungenügend".

Nicht ausgeschlossen sei aus seiner Sicht, dass die Einreisebeschränkungen auf weitere Mutationsgebiete ausgedehnt würden. "Möglicherweise kommen in den nächsten Wochen noch andere Länder dazu. Aber das ist derzeit noch reine Spekulation", sagte er. Man arbeite an einer Definition, bei welchen Inzidenzen und Mutanten Einreisebegrenzungen gelten sollen. Dabei sei nicht nur auf Verhältnismäßigkeit, sondern auch auf juristischen Bestand vor Gerichten zu achten.

Die geplanten Einreisebeschränkungen betreffen Land-, Luft- und Seegrenzen. Vermieden werden soll aber eine Wiederholung des Szenarios vom Frühjahr. Damals hatten sich an der deutsch-polnischen Grenze Lastwagen über viele Kilometer gestaut. Zwar seien die Grenzkontrollen bereits verstärkt worden. Es bleibe aber bei Stichproben im Rahmen der Schleierfahndung, die "erheblich verdichtet" worden sei, sagte Seehofer. "Es ist nicht an stationäre Kontrollen gedacht, wie wir sie zwischen April und Juni hatten."

In Belgien gilt Reiseverbot bis 1. März

Verworfen hat die Bundesregierung lauf Seehofer die Idee, auch Ausreisen in Hochrisiko- und Mutationsgebiete zu unterbinden. In einigen EU-Ländern sieht man das anders. Beim virtuellen Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs waren bereits vergangene Woche weitgehende Reiseeinschränkungen diskutiert worden. Damals wurde vereinbart, den Reiseverkehr soweit wie möglich auszubremsen und eine neue "dunkelrote" Kategorie für Hochrisikogebiete einzuführen; die Grenze gilt bei mehr als 500 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern. In der Videokonferenz hatte Belgiens Premierminister Alexander De Croo angekündigt, dass nicht notwendige Reisen aus und nach Belgien bis zum 1. März nicht mehr erlaubt sind.

Durch das Verbot von Urlaubs- sowie Freizeitreisen möchte die belgische Regierung verhindern, dass neue Virus-Varianten in das Land kommen. Kontrolliert werden sollen Straßen-, Flug-, Schiffs- und Schienenverkehr. Nicht betroffen ist der Austausch von Waren. Ausnahmen gelten nicht nur für Besuche bei einem Ehe- oder Lebenspartner: Wer aus beruflichen Gründen oder fürs Studium reisen muss, darf dies ebenso wie Teilnehmer an einer Beerdigung naher Verwandter. Nötig ist neben einer Online-Registrierung auch eine "ehrenwörtliche Erklärung", deren strikte Überprüfung jedoch fraglich erscheint.

"Wir bauen keine Mauer um unser Land", betonte De Croo. In Belgien waren im Oktober zwischenzeitlich 20 000 Neuinfektionen pro Tag registriert worden, bei einer Einwohnerzahl von 11,5 Millionen. Seither hat sich die Lage beruhigt, in der vergangenen Woche wurden täglich 2163 neue Fälle registriert.

Erst am Montag hatte EU-Innenkommissarin Johansson bei der Vorstellung der neuen Empfehlungen der Brüsseler Behörde für Koordination unter den 27 Mitgliedstaaten geworben und den Bürgerinnen und Bürgern zugerufen: "Die erste Empfehlung ist: Reisen Sie nicht." An diese Appelle glaubt man in Belgien nicht mehr - auch anhand der jüngsten Erfahrungen, wie De Croo erklärte: Zuletzt hätte man die Bürger "freundlich gebeten", nicht zu verreisen, und trotzdem seien zwischen Weihnachten und Neujahr 160 000 Menschen verreist. "Reiserückkehrer können das Virus in ihrem Koffer mitbringen", warnte der Premierminister.

Um die Verbreitung der gefährlicheren Virusmutanten einzudämmen, greifen auch die Niederlande zu drastischen Mitteln. Seit einer knappen Woche dürfen dort keine Passagierflugzeuge aus Großbritannien, Südafrika und Kap Verde mehr landen. Gleiches gilt für 15 Länder aus Südamerika: von Argentinien und Bolivien bis Uruguay und Venezuela.

Strengere Maßnahmen hat am Mittwoch auch die Schweiz beschlossen. Bei der Einreise mit dem Flugzeug muss nun ein negativer Corona-Test vorgelegt werde, der vor dem Einsteigen kontrolliert werden soll. Künftig sollen die Kontaktdaten zudem aller Personen erfasst werden, die in die Eidgenossenschaft einreisen - egal ob dies per Flugzeug, Schiff, Bus oder Zug geschieht. Zuvor galt dies nur für jene, die aus Risikoregionen kamen. Wer aus diesen "Gebieten mit einem erhöhten Ansteckungsrisiko" in die Schweiz kommt, muss künftig bei der Einreise einen negativen PCR-Test vorweisen, der nicht älter als 72 Stunden ist. Danach gelte weiterhin eine zehntägige Quarantäne.

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