Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Melde-Chaos bei Gesundheitsämtern

Die Behörden sollen dem RKI eigentlich mitteilen, ob bei ihnen "die vollständige Kontaktnachverfolgung gewährleistet ist". Doch bislang haben dies weniger als die Hälfte der Landkreise getan.

Von Christian Baars, Markus Grill und Georg Mascolo

Im Kampf gegen Corona gilt für Bund und Länder eine einfache Leitlinie: Die "vollständige Kontaktnachverfolgung" von Infizierten sei "die Grundvoraussetzung für weitere Öffnungsschritte" - hierauf einigten sich am 30. April Kanzlerin Angela Merkel und die Regierungschefs der Länder. Im Beschluss der Konferenz heißt es, dass seit dem 24. April alle Gesundheitsämter in Deutschland an das Robert-Koch-Institut (RKI) melden, ob bei ihnen "die vollständige Kontaktnachverfolgung gewährleistet, gefährdet oder bereits aktuell nicht mehr möglich ist".

Doch tatsächlich haben dies nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR bis Anfang Mai weniger als die Hälfte der Landkreise getan. So steht es in einem Lagebild "Corona" von Innen- und Gesundheitsministerium aus dieser Woche. Danach haben von den insgesamt 401 Landkreisen 158 gemeldet, dass ihre Kapazitäten ausreichten. Nur zwei Landkreise teilten mit, dass sie Unterstützung für die Kontaktnachverfolgung benötigten. 241 Landkreise haben gar nichts gemeldet.

Laut dem Beschluss vom 30. April sollen die Bundesländer dafür sorgen, dass die Meldungen übermittelt werden. Doch bis zum 1. Mai haben dies laut dem Lagebild Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Berlin, Niedersachsen und Hamburg nicht getan. Die Länder haben offensichtlich unterschiedliche Auffassungen darüber, was konkret verabredet worden ist.

So erklärte Baden-Württemberg auf Anfrage, die Meldung der Zahlen ans RKI sei "mittlerweile erfolgt". Niedersachsen sagt, aufgrund "der sehr hohen Arbeitsbelastung der Gesundheitsämter vor Ort" sei das Meldesystem "noch nicht vollständig etabliert". Andere Länder erklärten, auch weiter nicht melden zu wollen, solange keine Probleme abzusehen seien. Hamburg erklärte, dass es keine generelle Pflicht zur Meldung sehe. Es sei bereits zuvor verabredet worden, dass nur gemeldet werden müsse, wenn Probleme bei der Kontaktverfolgung der Corona-Infizierten bestünden, teilte die Gesundheitsbehörde mit. Auch das RKI sagt nun, dass dies so im geplanten Infektionsschutzgesetz vorgesehen sei.

Pro Infiziertem müssen fünf bis zwanzig Kontaktpersonen abtelefoniert werden

Die Aufgabe der Gesundheitsämter ist es, die Isolation von Infizierten zu überwachen und Kontaktpersonen zu ermitteln. Dies sei ein "wesentliches Element der Infektionskontrolle", so der Bund-Länder-Beschluss. Allerdings ist die Aufgabe arbeitsintensiv. Nicht nur die Infizierten, auch alle Kontaktpersonen müssen aufgefordert werden, 14 Tage lang in Quarantäne zu bleiben. Da jeder Infizierte im Schnitt fünf bis zwanzig Kontaktpersonen hat, die abtelefoniert werden müssen, können die Gesundheitsämter schnell an ihre Kapazitätsgrenzen geraten.

Laut RKI haben mittlerweile fünf Landesbehörden "aktuelle beziehungsweise absehbare Kapazitätsengpässe" mitgeteilt. Dazu gehört unter anderem der Landkreis Ilm. Das dortige Gesundheitsamt bestätigte, dass es um Unterstützung gebeten habe. Der Grund seien die aktuell zusätzlich anstehenden Einschulungsuntersuchungen. Vier Ärzte und vier Schwestern aus dem Kreis seien damit befasst. Deshalb würden zusätzlich sogenannte "Containment-Scouts" eingesetzt.

Auch im Landkreis Harz in Sachsen-Anhalt sind sie bereits im Einsatz. Das dortige Gesundheitsamt ist überlastet, weil im Landkreis auch die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge liegt, die sich laut Landratsamt "in der Zeit der Coronavirus-Pandemie zu einem Hotspot entwickelt" hat. Die kreisfreie Stadt Gera hat ebenfalls Unterstützungsbedarf angemeldet. Hier sei der Grund, dass das Gesundheitsamt seit Beginn der Pandemie mit Personal aus anderen Bereichen der Stadtverwaltung aufgestockt worden sei, das aber nun an den ursprünglichen Arbeitsplatz zurückkehren solle, teilte das Amt mit. Gleichzeitig erwartet es, dass es durch die am 6. Mai beschlossenen Lockerungen wieder mehr Kontakte geben werde, "die es im Fall einer Infektion nachzuverfolgen gilt".

Das Gesundheitsministerium hat für solche Fälle die Finanzierung von 500 zusätzlichen "Containment-Scouts" versprochen, die das RKI auswählt und den Gesundheitsämtern zuteilt. Als das RKI im März die Scout-Stellen ausgeschrieben und bei einem Bruttogehalt von 2325 Euro vor allem Studenten im Visier hatte, meldeten sich mehr als 11 000 Bewerber. Bis Mitte dieser Woche seien bereits 362 dieser Scouts eingestellt worden, teilte das Robert-Koch-Institut mit.

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SZ vom 09.05.2020
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