Pandemien:Dieser Seuche könnte bald die nächste folgen

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Der Mensch trägt mit seiner zunehmenden Mobilität, dem Vordringen in unberührte Gebiete und dem Klimawandel zur Ausbreitung der Erreger bei. (Archivbild) (Foto: AFP)

Neue Infektionsleiden und die Mutation zum "Super-Virus" gelten als große Bedrohung. Aber auch längst bekannte Erreger könnten wieder gefährlich werden.

Von Werner Bartens

Die nächste Seuche kommt bestimmt. Die Aussage klingt so kenntnisreich wie naheliegend. Zudem verwechseln die Menschen den Moment, den sie überblicken können und für die Gegenwart halten, oft mit der Normalität, und da ist es in Zeiten der Pandemie nur verständlich, an die nächste Pandemie zu denken. Doch ob sie tatsächlich kommt und wenn ja, wann, kann kein Forscher seriös vorhersagen. Eine Glaskugel wäre genauer. Ob es für die nächste Seuche ausreicht, kurzfristig zu reagieren, und welcher Schutz nötig ist, bleibt ebenfalls ungewiss. Schaden kann es nicht, wenn Gesundheitsminister Jens Spahn die Lagerbestände (Masken? Handschuhe?) durchgehen würde. Um das Risiko einer nächsten Seuche zu ermitteln, gibt es rechnerisch zu viele Unbekannte. Allerdings tragen verschiedene Faktoren zur wachsenden Gefahr bei.

Erstens haben es in jüngster Zeit zwar hauptsächlich "neue" Seuchen wie Covid, Mers und Sars aus dem Jahr 2003 in die Schlagzeilen geschafft. Auch Ebola und Aids sind relativ neu. Doch traditionelle Infektionskrankheiten sind erstaunlich anhänglich, und ihr Bedrohungspotenzial ist hoch. Größere Ausbrüche von Tuberkulose, Diphtherie, Cholera, Typhus und sogar von biblischen und mittelalterlichen Plagen wie Lepra und der Pest kommen rund um den Globus immer wieder vor, auch wenn sie in industrialisierten Ländern nicht so stark wüten. Malaria, Dengue-, Chikungunya- und Gelbfieber fordern in subtropischen und tropischen Regionen mehr Todesopfer als jede andere Krankheit; auch die Masern sind dort oft ein immenses Gesundheitsproblem.

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Obwohl Hilfsorganisationen immer wieder darauf hinweisen und Medien regelmäßig, wenn auch oft nur pflichtschuldig, berichten, werden diese Krankheiten kaum beachtet. Zu wenig überraschend, zu wenig neu, kein Gruselfaktor. Dabei sind diese Leiden nicht nur nicht verschwunden, sondern breiten sich bedrohlich aus. Aus Unachtsamkeit wird die Gefahr unterschätzt. Zudem bilden sich Resistenzen gegen konventionelle Medikamente. Manchmal fehlt auch medizinische Hilfe, hinzu kommen Unterversorgung und Mangelernährung, sodass vermeintlich harmlose Erkrankungen zahlreiche Todesopfer fordern.

Zweitens haben alle Erreger, ob Bakterien, Würmer oder Einzeller, besonders aber Viren die Eigenschaft, sich permanent zu verändern. Was die Evolution vorantreibt, weil andere, oft besser angepasste Arten entstehen, kann die Mikroben für Menschen zum Problem machen. Viele Viren geben ihr Erbgut extrem schlampig weiter, und dass die Grippeimpfung jedes Jahr auf neue Influenza-Erreger adjustiert werden muss, liegt in diesem genetischen Wechselspiel begründet. Nun führen zwar nicht alle Mutationen zum bedrohlichen Killer-Virus. Im Gegenteil, die meisten Veränderungen im Erbgut bewirken, dass die Erreger eingehen. Manchmal werden sie auch harmloser, wie das beim "alten" Sars-Virus von 2003 der Fall war.

Niemand weiß, ob und wann das Super-Virus kommt

Seit Jahren warnen Forscher allerdings vor dem "Super-Virus". Das wäre ein Virus, das sowohl leichter von Mensch zu Mensch übertragen wird als auch für sich genommen gefährlicher, sprich tödlicher ist. Die britische Sars-CoV-2-Variante B.1.1.7 ist bisher vermutlich "nur" ansteckender, nicht per se gefährlicher. Führen Mutationen dazu, dass beides zutrifft, also mehr Infektiosität und höhere Letalität, droht höchster Alarm. Diese Bedrohung muss nicht vom Coronavirus ausgehen, auch Erkältungsviren oder andere Erreger könnten vom harmlosen Keim zur tödlichen Zeitbombe werden. Allerdings ist unklar, ob eine solche Kombination sich in einer Woche, einem Monat, einem Jahr, in 100 Jahren oder nie entwickelt. Mit der Zunahme an zirkulierenden Viren - und anhaltend hohen Infektionszahlen wie derzeit - steigt allerdings schon rechnerisch die Wahrscheinlichkeit.

Drittens trägt der Mensch mit seiner - in Vor-Corona-Zeiten - zunehmenden Mobilität, dem Vordringen in unberührte Gebiete und dem Klimawandel zur Ausbreitung der Erreger bei. Der Übergang vom Tier auf den Menschen - wohl der Ursprung der Corona-Pandemie - wird erleichtert, wenn unwegsame Dschungelgegenden mit ihrem immensen Artenreichtum erschlossen werden. Auch bisher unbekannte Erreger können auf den Menschen übergreifen. Die steigenden Temperaturen rund um den Globus führen neben anderen negativen Begleiterscheinungen zudem dazu, dass sich in Europa die Tigermücke ausbreitet und "tropische" Krankheiten wie Dengue- oder Gelbfieber im südlichen Europa drohen. Auch die Malaria breitet sich weltweit aus und fordert jährlich bis zu zwei Millionen Todesopfer.

Ein Irrtum in der Pandemie-Prognose wäre übrigens fatal: Zwar kann niemand sagen, ob und wann wieder eine Pandemie droht. Dass die Mikroben zunächst innehalten, um der Menschheit nach dem Seuchenjahr 2020 eine Pause zu gönnen, zeugt jedoch von anthropozentrischer Ignoranz.

Anm.: In einer früheren Version wurde die missverständliche Formulierung "vor dem Schwarzen Mann das Weite zu suchen" verwendet, wir haben das korrigiert.

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