Au-pair in Corona-Zeiten:Familien, alleingelassen

Sommerwetter in Berlin

Kinderbetreuung ohne Kita oder Au-pair - wie hier in Berlin Prenzlauer Berg - ist für viele Eltern schwierig, wenn sie beide berufstätig sind.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Die Pandemie durchkreuzt auch die Pläne junger Eltern: Mit der Hilfe von Au-pairs wollten sie Beruf und Kinder vereinbaren - doch wegen Einreisestopps ist das System weitgehend zum Erliegen gekommen.

Von Edeltraud Rattenhuber

Vier kleine Kinder, die jüngsten beiden Zwillinge - im Haus der Familie Ott in Bruchsal bei Karlsruhe herrscht täglich Hochbetrieb. Seit Mai arbeitet Mama Katharina Ott wieder, Papa Christian Ott ist in Elternzeit. "Wir müssen viel improvisieren", sagt der bewundernswert gelassen am Telefon, während er die Zwillinge füttert.

Am Nachmittag wird es stressiger, da kommen die beiden Großen aus der Kita. Und über allem schwebt die Sorge, wie es im Herbst weitergeht, wenn auch Papa wieder arbeitet. Katharina Ott sieht schwarz für die Zukunft. Das Coronavirus hat in die Lebensplanung der Otts entscheidend hineingegrätscht. Denn ihnen ist die Kinderbetreuung abhanden gekommen.

Natürlich hatten die Ärztin und ihr Mann, der als Datenschutzbeauftragter tätig ist, nicht einfach ins Blaue hinein geplant, wie sie den Alltag zu sechst bewältigen. Beide wollten Teilzeit arbeiten, sich die Kinderbetreuung aufteilen, dabei die Kleinen noch nicht in die Kita schicken - aus finanziellen Gründen, aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus.

Ein entscheidender Baustein in diesem Plan war Justine Komi, 27, aus Togo. Doch statt als Au-pair bei den Otts mitzuhelfen, sitzt die Soziologiestudentin seit Monaten in Togos Hauptstadt Lomé auf gepackten Koffern. Wegen Corona darf sie nicht in die EU.

Justine und viele andere sitzen auf gepackten Koffern

Wie ihr geht es vielen jungen Frauen und Männern aus sogenannten Drittländern. Durch die Corona-Beschränkungen ist ihnen die Einreise in die EU verwehrt worden, einen so langen Zeitraum schon, dass sie mittlerweile neue Einreisevisa beantragen müssen. Deren Bewilligung kann drei Monate oder sogar länger dauern.

Zu Gast

Au-pairs sind junge Erwachsene, die bei einer Gastfamilie leben, um Sprache und Kultur des Gastlandes kennenzulernen. Sie bekommen Unterkunft, Verpflegung und ein Taschengeld. Hauptaufgabe ist die Kinderbetreuung, aber auch leichte Hausarbeiten sind Au-pairs zumutbar. Au-pairs aus Nicht-EU-Staaten brauchen ein Visum, 2019 wurden 9146 dieser Visa vergeben. Die meisten dieser Au-pairs kamen aus Kolumbien, Georgien, Ukraine, Russland, Tansania, Indonesien, Mexiko, Brasilien, Tadschikistan, Madagaskar, Togo, Nepal und Elfenbeinküste. Europäische Au-pairs stammen meist aus Spanien, Frankreich, Italien und Großbritannien. edel

Die Folge ist, dass das System Au-pair seit Mitte März in Deutschland weitgehend zum Erliegen kam, dabei steigt die Nachfrage nach Au-pairs kontinuierlich. Einschlägige Foren im Internet sind hoch frequentiert.

"Da ist der Teufel los", erzählt Sofia Richter. Die Juristin aus Franken, die nicht mit ihrem echten Namen zitiert werden möchte, ist alleinerziehend und hat bisher gute Erfahrungen mit Au-pairs gemacht. Derzeit wartet sie auf einen jungen Mann aus Madagaskar, der seit Wochen nicht einreisen darf. Die Mutter von drei Mädchen im Alter von drei, zehn und elf Jahren hat für die Übergangszeit eine Helferin aus der Slowakei gefunden. "Wir hatten Glück, es gibt ja keine Wechsler, die sind alle sofort weg", erzählt sie.

Einreisebeschränkungen bringen die Lebensplanung durcheinander

Coronabedingt verlagert sich die Nachfrage wieder mehr auf Au-pairs aus EU-Ländern. Die brauchen keine Visa. Doch auch da läuft es nur schleppend wieder an. Au-pairs aus Europa haben zudem neben vielen Vorteilen - zum Beispiel dem europäischen kulturellen Hintergrund - aus Sicht vieler Gasteltern einen Makel: Viele wollen nicht ein, sondern nur ein halbes Jahr bleiben und sind auch anspruchsvoller als Au-pairs aus Drittstaaten. Die Otts befürchten, dass sie mit ihren vier Kindern hier nur wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Sandrine Link, die bei Karlsruhe eine Au-pair-Agentur betreibt, kann aus dem Stand von vielen Familien erzählen, denen die Lebensplanung wegen der Einreisebeschränkungen gehörig durcheinander geraten ist. Link hat E-Mails geschrieben an die deutschen Botschaften in Togo, der Elfenbeinküste, Nepal und Madagaskar, die weiteren Formalitäten wenigstens zu beschleunigen. "Aber es werden keine Termine vergeben", so Link, die als Vorsitzende der Aupair-Society für 26 Vermittlungsagenturen deutschlandweit spricht.

Aktuelles zum Coronavirus - zweimal täglich per Mail oder Push-Nachricht

Alle Meldungen zur aktuellen Lage in Deutschland und weltweit sowie die wichtigsten Nachrichten des Tages - zweimal täglich im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Newsletter bringt Sie auf den neuesten Stand. Kostenlose Anmeldung: sz.de/morgenabend. In unserer Nachrichten-App (hier herunterladen) können Sie den Nachrichten-Newsletter oder Eilmeldungen auch als Push-Nachricht abonnieren.

Aussicht auf Besserung der Lage sei nicht in Sicht. Für Familien, die sich auf ein Au-pair aus Drittländern als Unterstützung verlassen haben, eine Katastrophe, auch weil die Bewerbungsfristen für Kitas bereits abgelaufen sind. "Agenturen, Gastfamilien und die Mädchen werden mit dem Problem total alleingelassen", sagt Link. "Wenn der Antrag neu gestellt werden muss, kann das drei Monate oder länger dauern, dann hat die Familie Pech gehabt. Das ist sehr ärgerlich."

Link hofft darauf, dass bereits bewilligte Visa, die unverschuldet wegen der Einreisebeschränkungen abliefen, wenigstens ohne großen Aufwand erneut erteilt werden. Wenigstens könnten die Botschaften ja jetzt Termine vergeben, um die Zeit zu nutzen, wenn die Grenzen wieder geöffnet seien, meint Link. Doch die Hoffnung ist gering.

Die FDP-Bundestagsfraktion hat das Problem erkannt und unter dem Titel "Au-pair-Programme stärken - Verfahren beschleunigen und Klarheit schaffen" im Ausschuss für Inneres und Heimat einen Antrag gestellt, der aber mit der Mehrheit der großen Koalition abgelehnt wurde. Dabei, so Pascal Kober, sozialpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, seien Au-pairs für viele Familien eine wichtige Unterstützung bei der Kinderbetreuung und unabdingbare Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Familien in der Bredouille

Er hält es dringend für notwendig, dass Au-pairs aus Drittstaaten zügig nach Deutschland einreisen können, "ohne sich aufgrund eines abgelaufenen Visums erneut durch den Bürokratiedschungel in den deutschen Botschaften schlängeln zu müssen", sagt Kober. Auch will er erreichen, dass Au-pairs, die bereits ein Jahr in Deutschland sind, vorübergehend weiter beschäftigt werden können.

Die Verzögerungen bringen nicht nur die Familien in die Bredouille und die Lebensplanungen der Au-pairs durcheinander, sie können existenzbedrohend sein für die Agenturen. Ins Stocken kommt auch der Gedanke der Völkerverständigung. Dem wollten die Otts gerne Raum geben. Seit Monaten chatteten sie mit Justine auf Deutsch über Whatsapp zwischen Lomé und Bruchsal hin und her, tauschten Bilder aus. Die älteren Kinder wurden auch einbezogen. Alles perfekt. "Wir dachten, es ist ein schöner Beitrag, auch mal Menschen aus Afrika eine Chance zu geben", sagt Christian Ott.

Und Justine? Die muss bangen, ob sie überhaupt noch nach Deutschland kann. Die Studentin hat die Altersgrenze überschritten, bis zu der ein Au-pair-Visum vergeben wird.

Zur SZ-Startseite
1. Mai - Berlin

SZ PlusMeinungCorona und die Folgen
:Das Maß aller Dinge

Unsere krasse Fokussierung auf Zahlen, Fakten und Statistiken verengt den Blick. Ein Plädoyer für eine neue Form des Erzählens und der Auseinandersetzung.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: