Reaktionen auf die Corona-Beschlüsse:"Wir alle können jeden Tag einen Unterschied machen"

Gesundheitsminister Jens Spahn, Coronavirus

"Wir haben es selbst in der Hand", sagt Gesundheitsminister Jens Spahn.

(Foto: Getty Images)

Gesundheitsminister Spahn appelliert vor allem an die Eigenverantwortung der Bürger. Auch Kanzleramtschef Braun fordert die Menschen auf, nicht zu fragen: "Was darf ich jetzt?" - sondern selbst mehr zu tun.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) appelliert an die Bevölkerung, die verschärften Corona-Schutzmaßnahmen wegen der sprunghaft gestiegenen Infektionszahlen mitzutragen. "Wir haben es selbst in der Hand, diese Entwicklung zu stoppen", sagte er im Deutschlandfunk.

Das Signal des Treffens von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Regierungschefs der Länder, bei dem für Regionen mit hohen Infektionszahlen etwa Kontaktbeschränkungen vereinbart wurden, sei wichtig. Spahn betonte, Ziel sei es, die Pandemie in eine zu bewältigende Größenordnung zu bringen, "damit Schule und Kita und Einzelhandel geöffnet bleiben können". Gelinge dies, seien keine weiteren Verschärfungen oder gar ein zweiter Lockdown nötig, schätzte er.

Das beschlossene Stufenmodell, wonach auch bei durchschnittlich 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen schon Einschränkungen etwa bei privaten Feiern gelten können, sei ein wichtiger Schritt nach vorn, sagte Spahn. "Es ist nicht nur die Großveranstaltung. Es ist auch das gesellige Zu-Hause-Sein." Der Gesundheitsminister betonte, heute werde entschieden, ob Weihnachten "in gewohnter Weise stattfinden kann, oder ob wir eine Situation haben werden wie an Ostern, (...) wo wir empfehlen mussten, nicht die Verwandtschaft zu besuchen".

Angesprochen auf die Skepsis Merkels, ob die Maßnahmen ausreichen, meinte er: "Das werden wir in den nächsten Tagen sehen. Was ich wichtig finde: Wir alle können jeden Tag einen Unterschied machen."

Kanzleramtsminister Helge Braun rief die Bevölkerung dazu auf, mehr zu tun als nun von Bund und Ländern vereinbart. Die Beschlüsse seien ein wichtiger Schritt, würden aber vermutlich nicht ausreichen, sagte der CDU-Politiker im ARD-"Morgenmagazin". "Und deshalb kommt's jetzt auf die Bevölkerung an. Dass wir nicht nur gucken: Was darf ich jetzt? Sondern wir müssen im Grunde genommen alle mehr machen und vorsichtiger sein als das, was die Ministerpräsidenten gestern beschlossen haben."

Es könne überhaupt keine Frage mehr geben, "dass das jetzt der Beginn einer sehr großen zweiten Welle ist", führte Braun aus. "Und am Anfang dieser zweiten Welle haben wir es in der Hand, diese Infektionen aufzuhalten." Er warnte, wenn die Infektionen hochgingen, leide am Ende auch die Wirtschaftskraft.

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller appellierte an die Eigenverantwortung der Bürger. Es werde gerade im privaten Bereich darauf ankommen, dass die Menschen den Ernst der Lage wieder erkennten: "Wer seine Oma, seinen Opa oder andere Familienmitglieder nicht gefährden will, der macht jetzt einfach auch keine Feiern mit 30, 40 Leuten im privaten Raum bei sich zu Hause", sagte der SPD-Politiker im RBB-Inforadio. Man könne und wolle nicht vor jede Wohnungstür einen Polizisten stellen.

Man dürfe sich nicht in Sicherheit wiegen, sondern müsse die Entwicklung in Ländern betrachten, "die sich erst mal zurückgelehnt haben", betonte Müller. Dort seien die Zahlen explodiert. "Das darf uns nicht passieren, wenn wir alle miteinander weiter einschneidende Maßnahmen verhindern wollen. Es kommt jetzt auf jeden und jede Einzelne an."

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus dringt darauf, dass nun auch der Bundestag über nötige Corona-Maßnahmen diskutiert. Dies soll in der kommenden Sitzungswoche stattfinden, teilte der CDU-Politiker mit. Brinkhaus hatte bereits im Vorfeld des Treffens von Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten ein Ende der "Kleinstaaterei" gefordert.

Auch FDP-Chef Christian Lindner fordert, nicht länger die Parlamente zu umgehen. Dafür seien die Lage und die Entscheidungen zu ernst, sagte er der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. "Die Regierungen entscheiden allein über weitgehende Beschneidungen der Freiheit. Eine Debatte findet im Parlament zuvor nicht mehr statt. Der Deutsche Bundestag ist in eine Beobachterrolle geraten. In Grundrechte darf aber nur durch das Parlament eingegriffen werden."

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Stefanie Hubig, verlangte in der ARD, die Gesellschaft müsse auf die Schulen Rücksicht nehmen. Erklärtes Ziel der Kultusministerkonferenz sei es, die Schulen möglichst offen zu halten. Die Schulen gingen nach den bisherigen Erfahrungen gut mit den vorgeschriebenen Hygienekonzepten um, sagte die SPD-Politikerin, die zugleich Kultusministerin von Rheinland-Pfalz ist.

Die Kommunen begrüßen die Beschlüsse von Bund und Ländern. "Die Fokussierung der Maßnahmen auf die Risikogebiete, die sogenannten Hotspots, ist richtig", sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, der Düsseldorfer Rheinischen Post. Die verschärfte Maskenpflicht dort sowie die Kontaktbeschränkungen in der Öffentlichkeit und bei privaten Veranstaltungen könnten die notwendige Wirkung erzielen.

Man habe im Verlauf der Pandemie gelernt, dass es private Veranstaltungen und die Missachtung von Abstands-, Masken- und Hygienevorschriften seien, die das Infektionsgeschehen treiben, sagte Landsberg. Dabei spiele der Alkohol und die damit verbundene Enthemmung und Gleichgültigkeit gegenüber bestehenden Regeln eine wichtige Rolle. Deshalb begrüßte Landsberg die vorgesehene Sperrstunde. "Das ist allemal besser, als wenn man am Ende - wie jetzt in den Niederlanden - Restaurants und Bars schließen muss", argumentierte er.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bemängelte, dass es keine Entscheidung zu den umstrittenen Beherbergungsverboten gab. Auch der FDP-Fraktionschef im niedersächsischen Landtag, Stefan Birkner, zeigte sich enttäuscht: "Leider haben die Ministerpräsidenten die Gelegenheit versäumt, das Beherbergungsverbot wieder zurückzunehmen."

Baden-Württembergs Tourismusminister Guido Wolf (CDU) bekräftigte seine Kritik am Beherbergungsverbot. "In Baden-Württemberg ist uns kein Infektionsgeschehen durch Beherbergungen bekannt", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. "Daher ist das Beherbergungsverbot nicht verhältnismäßig." Er habe auch Zweifel, ob die jetzige Regelung vor Gericht Bestand hätte.

Gesundheitsminister Spahn sagte dazu, es sei "ohne Zweifel so", dass eine Nichtunterbringung von Menschen aus Risikogebieten wenig akzeptiert werde. Nötig sei ein einheitlicher Rahmen, der sich aber an die lokale Lage anpassen lasse: "In Regionen mit hohen Infektionszahlen müssen Maßnahmen ergriffen werden."

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