Coronavirus in Deutschland:Virologe plädiert für neue Einordnung der Infektionszahlen

Der Mediziner weist darauf hin, dass trotz steigender Neuinfektionen die Todeszahlen kaum zunehmen würden. Kanzlerin Merkel verteidigt die staatlichen Corona-Beschränkungen, betont aber zugleich, dass Debatten darüber möglich seien.

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Der Virologe Hendrik Streeck setzt sich im Kampf gegen die Corona-Pandemie für eine neue Einordnung der viel beachteten Infektionszahlen ein. "Wir dürfen uns bei der Bewertung der Situation nicht allein auf die reinen Infektionszahlen beschränken", sagte der Mediziner der Universität Bonn der Welt am Sonntag. Zwar steige die Zahl der positiv getesteten Menschen in Deutschland und Europa signifikant an, gleichzeitig gebe es aber kaum eine Zunahme der Todeszahlen, so Streeck.

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Grundsätzlich sollten Ansteckungen zwar bestmöglich unterbunden werden. Gleichzeitig gelte aber: "Gesellschaftlich betrachtet sind Infektionen mit keinen Symptomen nicht zwangsweise schlimm." Je mehr Menschen sich ansteckten und keine Symptome entwickelten, umso mehr seien - zumindest für einen kurzen Zeitraum - immun. Niemand - kein Politiker, kein Virologe, kein Epidemiologe - kenne den einen, richtigen Weg im Umgang mit der Pandemie. "Wir können nur ausprobieren, und wir müssen auch Fehler machen dürfen."

948 registrierte Corona-Neuinfektionen in Deutschland

Innerhalb eines Tages haben die Gesundheitsämter in Deutschland nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom frühen Sonntagmorgen 948 neue Corona-Infektionen gemeldet. Diese Zahlen sind mit Blick auf das wirkliche Infektionsgeschehen allerdings wenig aussagekräftig - an Sonntagen sind die gemeldeten Fallzahlen nämlich erfahrungsgemäß oft niedriger, weil am Wochenende nicht alle Gesundheitsämter Daten an das RKI übermitteln. Am Samstag hatte die Zahl der Neuinfektionen noch bei 1630 gelegen.

Seit Beginn der Corona-Krise haben sich demnach mindestens 259 428 Menschen in Deutschland nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert (Datenstand 13.9., 0.00 Uhr). Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion liegt nach RKI-Angaben bei 9349. Seit dem Vortag wurden zwei Todesfälle mehr gemeldet. Bis Sonntagmorgen hatten etwa 231 400 Menschen die Infektion nach RKI-Schätzungen überstanden.

Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, lag nach RKI-Schätzungen in Deutschland laut Mitteilung vom Samstag bei 1,15 (Vortag: 1,00). Das bedeutet, dass ein Infizierter im Mittel etwas mehr als einen weiteren Menschen ansteckt. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab.

Zudem gibt das RKI in seinem aktuellen Lagebericht ein sogenanntes Sieben-Tage-R an. Der Wert bezieht sich auf einen längeren Zeitraum und unterliegt daher weniger tagesaktuellen Schwankungen. Nach RKI-Schätzungen lag dieser Wert bei 1,16 (Vortag: 1,11). Er zeigt das Infektionsgeschehen von vor acht bis 16 Tagen.

Kanzlerin betont die Möglichkeit zu demokratischen Debatten

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die staatlichen Corona-Beschränkungen erneut verteidigt, aber ausdrücklich die Möglichkeit zu demokratischen Debatten darüber betont. "Bei uns steht jedem frei, diese Entscheidungen der Regierung offen zu kritisieren", sagte sie in ihrer wöchentlichen Videobotschaft vom Samstag. Jeder könne seine Haltung bei friedlichen Demonstrationen zum Ausdruck bringen.

"Ein Staat, der Meinungsfreiheit, öffentliche Debatte und Teilhabe nicht unterdrückt, sondern garantiert - darum beneiden uns viele Menschen auf der Welt", sagte Merkel im Vorfeld des "Internationalen Tags der Demokratie" der Vereinten Nationen am kommenden Dienstag.

Beschränkungen bei Kontakten, Besuchsmöglichkeiten und im kulturellen Leben in der Corona-Krise seien "wirklich demokratische Zumutungen". Diese Maßnahmen, über die frei berichtet und breit öffentlich debattiert werde, hätten aber gewirkt. "Sie haben uns geholfen, eine unkontrollierte Ausbreitung der Pandemie zu verhindern."

Die Kanzlerin betonte mit Blick auf andere Staaten, dass Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit leider keine Selbstverständlichkeit seien. "Wir sehen in der Welt, wie auch autoritäre Systeme wirtschaftlich erfolgreich sein können und uns auf vielen Gebieten herausfordern - dies aber auf Kosten elementarer Grundrechte."

Datenschutzbeauftragter rügt Lokale für laxen Umgang mit Kontaktdaten

Der Bundesdatenschutzbeauftragte rügt einen zu laxen Umgang mit Corona-Kontaktdaten in der Gastronomie. In einigen Restaurants und Cafés würden einfachste Datenschutzregeln missachtet, sagte Ulrich Kelber der Funke Mediengruppe. "Es gibt offene Listen an den Eingängen, alle Beschäftigten des Betriebes können Einblick nehmen, die Daten der Gäste werden viel zu lange aufbewahrt und es fehlen technische Sicherungsmaßnahmen."

Weiter sagte der SPD-Politiker: "Wer möchte, dass die Leute in diese Listen nicht Micky Maus reinschreiben und als Telefonnummer 123456, der sollte die Datenerhebung auf ihre Kernfunktion - den Infektionsschutz - zurückführen." Zum Beispiel könnten Umschläge auf den Tischen liegen, die sofort verschlossen werden. "Und nach 14 Tagen werden die Daten gelöscht, indem die verschlossenen Umschläge in den Reißwolf kommen." Der Datenschutzbeauftragte riet Bürgern indirekt dazu, Restaurants zu meiden, die unsachgemäß mit Corona-Kontaktdaten umgehen. "Ich halte mich persönlich an Gesetze und trage keine falschen Daten ein. Aber ich habe Gastronomen auch schon gesagt: Wenn die Daten in einer Form erhoben werden, die nicht legitim ist, kann man mit mir als Gast nicht rechnen.""

Aus Kelbers Sicht hätte es den Sicherheitsbehörden gut angestanden, ihren Zugriff auf Kontaktdaten - wenn überhaupt - auf wenige, besonders eklatante Fälle zu beschränken. "Wer diese Daten auch bei Fahrerflucht nach einem Blechschaden benutzt, zerstört Vertrauen. Der Staat kann nicht versprechen, diese Daten zum Infektionsschutz zu verwenden - und dann greift die Polizei im großen Stil darauf zurück."

iPhone-Update verzerrt Corona-Risiko-Meldungen

Wer das Betriebssystem seines iPhone ganz aktuell gehalten hat, den könnte das Gerät zu Unrecht nervös machen. Nutzer der Corona-Warn-App des Bundes bekommen auf iPhone-Modellen mit der neusten System-Version iOS 13.7 unter Umständen ein höheres Risiko angezeigt, als sie tatsächlich hatten. Darauf haben die Entwickler der App am Freitag in einem Blogeintrag hingewiesen. "Unter der am 1. September von Apple veröffentlichten neuen iOS-Version kann es bei einer geringen Zahl von Nutzern zu irreführenden Risiko-Berechnungen kommen." Das Problem sei im Rahmen regelmäßiger Tests der App durch die Entwickler entdeckt worden.

Apple und Google bieten in ihren Betriebssystemen den technischen Rahmen für viele Corona-Warn-Apps. Nutzer der deutschen Anwendung auf Android-Geräten sowie auf iPhones mit einem älteren iOS (bis einschließlich Version 13.6.1) seien von diesem Fehler nicht betroffen, heißt es in der Mitteilung der Entwickler: "Aktuell wird unter Hochdruck gemeinsam mit Apple an einer Lösung gearbeitet, damit auch die betroffenen Nutzer unter iOS 13.7 wieder eine korrekt berechnete Risiko-Ermittlung erhalten." Wann Apple ein Update veröffentlichen wird, in dem der nun entdeckte Fehler beseitigt wird, stand am Freitagvormittag nicht fest. Die App, die vom Robert Koch-Institut (RKI) herausgeben wird, wurde mittlerweile über 18 Millionen Mal heruntergeladen. Seit der Veröffentlichung im Juni waren mehrfach Fehler entdeckt und wieder behoben worden.

Vor einer Woche hatten die Entwickler der App von SAP und Deutscher Telekom den iPhone-Nutzern noch empfohlen, die aktuellste Betriebssystem-Version 13.7 zu installieren, weil Apple in den vergangenen Wochen die technische Schnittstelle (API) erheblich verbessert habe. Das Systemupdate sollte die Covid-19-Kontaktverfolgung eigentlich erleichtern. In iOS 13.7. soll nun aber gar keine App mehr nötig sein, damit auch Gesundheitsbehörden ohne offizielle App teilnehmen. Nutzer sollen einfach die Kontaktverfolgung in ihren Einstellungen aktivieren können. Zunächst sollen einige US-Bundesstaaten das Feature nutzen.

Neue Reisewarnungen für Gebiete in Europa

Das Auswärtige Amt hat Reisewarnungen für weitere Regionen in Europa ausgesprochen. Betroffen sind den Mitteilungen vom Mittwochabend zufolge etwa Genf, Prag, Dubrovnik oder die Insel Korsika.

So wurden bereits bestehende Reisewarnungen für Teile von Frankreich ausgeweitet. Demnach wird nun wegen der hohen Infektionszahlen auch vor Reisen nach Korsika sowie in die Regionen Île-de-France, Provence-Alpes-Côte-d'Azur, Auvergne-Rhônes-Alpes, Occitanie und Nouvelle-Aquitaine gewarnt. Zuvor galten wegen der gestiegenen Zahl der Corona-Neuinfektionen bereits Reisewarnungen für die Île-de-France mit der Hauptstadt Paris sowie die Region Provence-Alpes-Côte d'Azur an der Mittelmeerküste.

Ebenso warnt das Auswärtige Amt nun vor Reisen in die Schweizer Kantone Genf und Waadt. Auch die tschechische Hauptstadt Prag steht jetzt mit auf der Liste. Zudem kamen weitere Gebiete in Kroatien hinzu: Dubrovnik-Neretva und Požega-Slawonien. Zuvor waren bereits die Regionen Zadar, Šibenik-Knin sowie Split-Dalmatien betroffen.

Eine Reisewarnung ist zwar kein Reiseverbot, aber eine abschreckende Wirkung ist beabsichtigt. Die Warnung ermöglicht es Reisenden, Buchungen kostenlos zu stornieren.

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