Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Deutschland macht Grenzen dicht

Von Montagmorgen an gelten strikte Beschränkungen für die Einreise aus mehreren Nachbarländern. Bayern will Kinos, Bars und Schwimmbäder schließen. Inseln in der Nord- und Ostsee werden für Touristen gesperrt.

Von Kristiana Ludwig, Robert Roßmann und Rainer Stadler

Das Leben in Deutschland steht vor radikalen Einschnitten. Von diesem Montag an soll die Grenze zu den Nachbarländern Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg und Dänemark für Reisende ohne triftigen Reisegrund geschlossen werden. Lediglich für Berufspendler und den Warenverkehr sollen sie passierbar bleiben. Darauf verständigten sich am Sonntag Bundeskanzlerin Angela Merkel, Innenminister Horst Seehofer und die Ministerpräsidenten der betroffenen Bundesländer. "Die Ausbreitung des Coronavirus schreitet schnell und aggressiv voran", sagte Innenminister Seehofer am Sonntagabend. Die Lage sei "sehr ernst". Am Montag will der Krisenstab unter Leitung der Kanzlerin weitere Maßnahmen beraten. In Bayern und einigen anderen Bundesländern sollen Bars, Clubs und Schwimmbäder geschlossen und der Betrieb von Restaurants und Geschäften begrenzt werden. In Berlin gilt das bereits seit Samstag. Die Deutsche Bahn will wegen der sinkenden Nachfrage den Regionalverkehr bundesweit einschränken. Schleswig-Holstein hat angekündigt, Inseln in Nord- und Ostsee von Montag an für Touristen zu sperren. Zu ihnen gehören Sylt, Amrum, Föhr, Fehmarn und die Halbinsel Nordstrand. Wichtigste Aufgabe sei nun die Unterbrechung der Infektionsketten, sagte Bundesinnenminister Seehofer. "Dazu müssen nicht nur soziale Kontakte, sondern auch Reisebewegungen eingeschränkt werden". Deutsche Staatsangehörige hätten "selbstverständlich das Recht, wieder in ihr Heimatland einzureisen". Sollten bei der Einreise Krankheitssymptome festgestellt werden, würden die Gesundheitsbehörden kontaktiert. Eine Einreise kranker Personen sei nicht möglich. Touristen würde durch die Bundespolizei verschärft kontrolliert oder zurückgewiesen. "Wir schließen keine Grenzen. Wir kontrollieren an den Grenzen", betonte Bundespolizeipräsident Dieter Romann am Sonntagabend. Dafür würden nun weitere Einheiten der Bundespolizei aktiviert. Vier Beamte seien bereits infiziert, 240 befänden sich in Quarantäne. Wann die verstärkten Grenzkontrollen wieder aufgehoben würden oder ob sie auf andere Grenzabschnitte auszuweiten seien, sei derzeit noch nicht absehbar.

Aus bayerischen Regierungskreisen hieß es am Sonntag, im Freistaat würden Supermärkte und Lebensmittelläden, Apotheken, Tankstellen und Banken von den geplanten Schließungen ausgenommen werden. Ziel sei es, die Grundversorgung aufrechtzuerhalten. Laut einer Sprecherin der Deutschen Bahn werden am Montag bundesweit die regionalen Verkehrsbetriebe neue Fahrpläne mit weniger Zugverbindungen bekannt geben, die dann von Dienstag an gelten sollen. Die Fahrkartenkontrolle soll auf den regionalen Strecken entfallen, um das Bahnpersonal zu schützen und zu entlasten. Der Fernverkehr soll von den Kürzungen nicht betroffen sein.

Neben den Maßnahmen gegen eine rasche Verbreitung des Coronavirus beschäftigte die Bundesregierung am Wochenende auch eine Auseinandersetzung über einen möglichen Impfstoff. Denn offenbar hat US-Präsident Donald Trump dem Tübinger Pharmaunternehmen Curevac, das derzeit zusammen mit dem staatlichen Paul-Ehrlich-Institut an einem Impfstoff gegen Corona arbeitet, Geld geboten - damit es den Impfstoff exklusiv an die USA liefert. Aus dem Bundesgesundheitsministerium hieß es, die Regierung stehe "in intensivem Austausch" mit der Firma. Auch das Wirtschaftsministerium betonte ein "hohes Interesse, Wirkstoffe und Impfstoffe in Deutschland und Europa zu produzieren". Nach einem Bericht des Mannheimer Morgen kommt für das Unternehmen selbst ein Exklusivvertrag mit den USA nicht in Frage. "Wir wollen einen Impfstoff für die ganze Welt entwickeln und nicht für einzelne Staaten", wird der Geschäftsführer des Hauptinvestors von Curevac zitiert.

Weltweit verstärken die Regierungen den Kampf gegen das Virus, mit teilweise dramatischen Maßnahmen. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz verkündete ein Versammlungsverbot im ganzen Land: An keinem Ort sollen sich mehr als fünf Menschen auf einmal treffen. In Tschechien wird die Regierung wahrscheinlich eine landesweite Quarantäne anordnen, teilte Ministerpräsident Andrej Babiš mit. Frankreich schränkt den Flug-, Bahn- und Busverkehr ein. In Paris werden mehrere Flughafen-Terminals geschlossen, die Zahl von Langstrecken-Verbindungen auf der Schiene wird halbiert. Großbritannien plant eine Schutzisolierung von Menschen über 70 Jahren für die Dauer von bis zu vier Monaten. Griechenland verbietet Flüge von und nach Spanien, um die Coronavirus-Pandemie einzudämmen.

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SZ vom 16.03.2020
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