Demokratie und Corona:Wo Populisten regieren, herrscht meist erschütternde Inkompetenz

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Menschen im amerikanischen Culver City warten in einer langen Schlange vor einem Waffenladen - in Corona-Zeiten steigen die Waffenkäufe im Land. (Foto: Patrick Fallon/REUTERS)

Das Ausmaß der Gefahr für die Bürger hängt auch ab vom System, in dem sie leben. Zensur, Einschüchterung, Staatsbrutalität - antidemokratische Systeme werden in Corona-Zeiten noch rigoroser.

Kommentar von Joachim Käppner

Auf Youtube grassiert ein Film, in dem sich die Weltgesundheitsorganisation WHO bis auf die Knochen zu blamieren scheint. Millionen Menschen haben angesehen, wie eine junge Fernsehreporterin einen führenden WHO-Vertreter per Videoschalte fragt, wie er die erheblichen Fortschritte Taiwans im Kampf gegen Corona einschätzt. Der Inselstaat Taiwan gehört nicht zur Volksrepublik China, wird von ihr aber beansprucht. Der Mann schweigt erst eine kleine Ewigkeit, behauptet dann, die Frage nicht verstanden zu haben, möchte lieber "zu einer anderen Frage übergehen" und schaltet schließlich hektisch den Bildschirm ab. Es ist derselbe Experte, der erklärte: Würde er an Covid-19 erkranken, eine Klinik in China wäre seine erste Wahl.

Offenbar kriecht die WHO, deren Unabhängigkeit jetzt doch so wichtig ist, zu Kreuze, um bloß kein Wort zu äußern, welches das Regime in Peking als Hauch von Kritik auslegen könnte. Die Volksrepublik, die ökonomisch einen Raubtierkapitalismus und innenpolitisch einen spätkommunistischen Überwachungsstaat betreibt, nimmt übergroßen Einfluss auf die Organisation. Sie tut dies auch, um ihre Version der Corona-Krise zu verbreiten: Die Volksrepublik habe die Pandemie besiegt und sei nun der Helfer und beste Freund aller betroffenen Staaten.

Die Botschaft, die gerade von autoritären Regierungen nur zu gern aufgenommen wird: Unser Gesellschaftsmodell ist das effizientere, besser geeignet, die Bürger vor Krisen zu schützen. Es ist eine direkte Kampfansage an die Demokratien, ob sie eine solche Systemkonkurrenz nun wünschen oder nicht.

Auch Demokratien beschränken die Rechte der Staatsbürger

Winston Churchill sagte einst über die Demokratie, die er 1940 in einer sehr viel größeren Krise vor Nazideutschland zu retten half: Sie sei eine wirklich unvollkommene Staatsform, nur habe ihm leider noch niemand eine bessere gezeigt. Die Corona-Krise bestätigt, wie wahr dieser Satz geblieben ist.

Ja, auch die Demokratien beschränken die Rechte der Staatsbürger in einer Weise, die noch vor Wochen unvorstellbar war. Sie sind dabei vor Fehlern und obrigkeitsstaatlichen Versuchungen alles andere als gefeit; schon haben, zum Beispiel, die Verfassungsrichter von Mecklenburg-Vorpommern Verbotsexzesse der Landesregierung verhindern müssen. Aber es ist ein fundamentaler Unterschied, ob Demokratien Rechte auf Zeit beschneiden, weil sich die Seuche anders nicht eindämmen lässt, ob sie dabei von Verfassungsgerichten kontrolliert und von Wählern kritisch beobachtet werden und ob auch der größte Mahner und Warner selbstverständlich sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit wahrnimmt - oder eben nicht.

Zensur, Einschüchterung, Staatsbrutalität dagegen - die DNA antidemokratischer Systeme - werden unter den verschärften Bedingungen nur noch rigoroser, autoritäre Regime werden noch autoritärer.

So hat in China die digitale Überwachung unter dem Banner der Seuchenbekämpfung ein dystopisches, an George Orwells Schreckensvision "1984" gemahnendes Ausmaß erreicht. Und es ist auch eine Mär, dass die harte Hand wirksamer regiert als etwa die Demokratie des besonders schlimm getroffenen Italien: Wer, wie in China, wo die Seuche zuerst ausbrach, Mediziner kriminalisiert, die frühzeitig warnten, und den Informationsfluss und Austausch medizinischer Erkenntnisse begrenzt, macht die Bekämpfung der Seuche sogar deutlich schwerer. Zu Recht kritisiert Amnesty International: Hätte die Regierung in Peking die Gefahr nicht so lange verharmlost, wäre der Welt mehr Zeit geblieben, sich auf die Pandemie vorzubereiten.

Die Krise wird mit Wucht den ärmeren Teil der Welt treffen

Vor dem Virus sind eben nicht alle Menschen gleich. Das Ausmaß der Gefahr hängt auch ab vom System, in dem sie leben. In den absurdesten Fällen haben Staatsführungen wie in Nordkorea oder Turkmenistan Corona per Dekret als im Land für nicht existent erklärt, Weißrusslands Autokrator verordnet Wodka gegen das Virus. Aber auch Iran und andere Staaten halten die wahren Zahlen der Pandemie geheim, selbst aus Russland fehlen genaue Informationen. Und es ist kein Zufall: Wo alte Demokratien von Populisten regiert werden, herrscht in der Krise meist erschütternde Inkompetenz wie in den USA, deren irrlichternder Präsident herumprahlt, während die Menschen in New York Massengräber ausheben.

Die USA sind gelähmt durch einen wirren Isolationismus, internationale Institutionen wie G 7 und G 20 sind auch deswegen wenig handlungsfähig. Dies wäre die Stunde für Europa, seine Zaghaftigkeit zu überwinden und den Wert der einzigen Staatsform zu beweisen, für welche die Menschenwürde oberstes Gebot und nicht eine Gefahr für den Machterhalt ist. Denn noch eine monumentale Aufgabe wird kommen: Die Krise wird mit Wucht den ärmeren Teil der Welt treffen. Er wird unsere Hilfe brauchen, viel Hilfe sogar. Wenn die Demokratien sie nicht leisten, werden andere das tun - zu einem politischen Preis, der am Ende sehr hoch sein würde, auch für die Welt des Westens.

© SZ vom 14.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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