Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Uneinigkeit über die Dauer der Einschränkungen

  • Wirtschaftsverbände und erste Politiker fordern, die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus schon bald wieder zu lockern.
  • In Deutschland und Europa wachsen die Differenzen darüber, unter welchen Bedingungen die Einschränkungen des öffentlichen Lebens aufgehoben werden können.
  • Die Bundesregierung bemüht sich dabei um eine einheitliche Linie.

Von Markus Balser, Karoline Meta Beisel, Brüssel, Constanze von Bullion und Kristiana Ludwig, Berlin

Bei der Bekämpfung der Corona-Krise bemüht sich die Bundesregierung um eine konsequente Linie. Allerdings wachsen in Deutschland und Europa die Differenzen darüber, unter welchen Bedingungen die Einschränkungen des öffentlichen Lebens wieder aufgehoben werden können. Wirtschaftsverbände warnten vor einem langfristigen Stillstand in Unternehmen. Auch in Brüssel gibt es inzwischen Überlegungen, wie eine sogenannte Exit-Strategie aussehen könnte. Am Donnerstagabend forderte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), die Einschränkungen von Grundrechten wegen der Corona-Epidemie auch wieder zu überprüfen. "Wir können nicht ein halbes oder dreiviertel Jahr mit einer solchen Art Notstandsgesetzgebung leben", sagte Laschet. Bundeskanzlerin Angela Merkel hingegen wandte sich klar gegen Überlegungen, die Beschränkungen des öffentlichen Lebens bald wieder aufzuheben. "Es ist im Augenblick nicht der Zeitpunkt, über eine Lockerung der Maßnahmen zu sprechen", sagte Merkel nach einer Video-Schaltkonferenz der EU-Staats- und Regierungschefs. Es gehe darum, das Gesundheitssystem in die Lage zu versetzen, mit den Anforderungen durch die Corona-Krise fertig zu werden. Es sei zu früh, um zu beurteilen, ob die verhängten Beschränkungen schon die gewünschte Wirkung auf die Zahl der neuen Infektionen habe. "Deshalb muss ich die Menschen in Deutschland noch um Geduld bitten." Auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) erteilte allen Erwägungen eine Absage, die Sicherheitsmaßnahmen aus ökonomischem Interesse vorzeitig zu lockern. "Solange das Virus so wütet, ist der Schutz der Menschen alternativlos", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Die Funktionsfähigkeit wiederherzustellen unter Inkaufnahme von vielen Toten oder auch Kranken, die geheilt werden, aber bleibende Schäden haben, scheidet für mich aus." Für solche Maßnahmen stehe er nicht zur Verfügung: "Nicht mit mir."

Abzulehnen seien auch Vorschläge einer schrittweisen Lockerung der Ausgangsbeschränkungen. "Es ist eine Illusion zu glauben, man könne ein Virus schrittweise steuern, sodass nur die 90-Jährigen oder 80-Jährigen oder 70-Jährigen betroffen sind", so der Minister. "Ich halte nichts davon, solche Parolen in die Welt zu setzen: Die Wirtschaft muss bald wieder flottgemacht werden. Das ist alles schönes Gebrüll." Er plädiere für "die strengsten Maßstäbe, wenn es um die Unterbrechung der Infektionsketten geht". Nötig sei "große Disziplin etwa bis zur Osterzeit".

Nach der Schließung von Geschäften und Ausgangsbeschränkungen waren die Stimmen lauter geworden, bald eine "Exit-Strategie" zu finden. "Langfristig können wir nicht das gesamte Land lahmlegen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der Funke-Mediengruppe. Auch die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, Hildegard Müller, warnte vor den Folgen eines dauerhaften Lockdowns: "Wir können das öffentliche Leben in Deutschland und die Produktion der Industrie nicht über viele Monate vollkommen runterfahren und zum Stillstand bringen." Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) verwies auf die Nationalakademie Leopoldina in Halle, die derzeit verschiedenen Ausstiegsstrategien untersuche. Man brauche jetzt "solide Grundlagen". Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte zeitweilig sogar den Eindruck erweckt, die Regierung bereite die Rückkehr zur Normalität bereits vor. Die Frage, "wie wir diesen Krisenmodus verlassen, wird jeden Tag wichtiger", sagte er in einem Interview mit der Zeit. "Bis spätestens Ostern will ich darauf eine gute Antwort geben können." Denkbar sei, dass man Ältere bitten werde, über mehrere Monate zu Hause zu bleiben. Am Donnerstag, nach Seehofers Intervention, war von einer Strategie bis Ostern allerdings keine Rede mehr.

Die Bürger erlebten die stärksten Einschnitte in die bürgerlichen Freiheitsrechte in der Geschichte der Bundesrepublik, sagte Spahn in Berlin. Es gehe darum, "das, was Länder und Kommunen an Maßnahmen beschlossen haben und durchsetzen, jetzt auch durchzuhalten".

Aktuelles zum Coronavirus - zweimal täglich per Mail oder Push-Nachricht

Alle Meldungen zur aktuellen Lage in Deutschland und weltweit sowie die wichtigsten Nachrichten des Tages - zweimal täglich im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Newsletter bringt Sie auf den neuesten Stand. Kostenlose Anmeldung: sz.de/morgenabend. In unserer Nachrichten-App (hier herunterladen) können Sie den Nachrichten-Newsletter oder Eilmeldungen auch als Push-Nachricht abonnieren.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4858162
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.03.2020/swi
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.