Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Chinas Führung in Not

Staatschef Xi wusste früh von der Gefährlichkeit des Erregers, äußerte sich aber nicht öffentlich. Fast 70 000 Menschen sind in der Volksrepublik erkrankt. Ein Tourist stirbt in Frankreich.

Von Lea Deuber

Die Epidemie des Coronavirus bringt Chinas Machthaber in Erklärungsnot. Die Zentralregierung wusste offenbar deutlich früher als bisher angenommen von der Gefährlichkeit des neuartigen Erregers. Wie eine am Samstag veröffentlichte Rede von Anfang Februar zeigt, schätzte Staats- und Parteichef Xi Jinping bereits zwei Wochen bevor er sich zum ersten Mal öffentlich geäußert hat, den Ausbruch in der zentralchinesischen Stadt Wuhan als bedrohlich ein. Schon Anfang Januar soll er deshalb Anweisungen gegeben haben, um die Seuche zu bekämpfen. Zu diesem Zeitpunkt spielten die Lokalbehörden die Gefahr noch herunter. Erst Ende Januar teilten sie mit, das Virus könne sich von Mensch zu Mensch ausbreiten.

Angeblich soll Xi auch die strengen Reisekontrollen in der besonders stark betroffenen Region Hubei angeordnet haben. Diese hatten fast 60 Millionen Menschen de facto unter Quarantäne gestellt. Erst in der vergangenen Woche hatte Xi als Reaktion auf die andauernde Krise mehrere hochrangige Politiker in Hubei entlassen und eigene Vertraute entsandt. Die anfängliche Vertuschung und die späte Reaktion waren bisher als Versagen der Lokalregierung dargestellt worden. Unmut hatte zuletzt der Tod eines Arztes ausgelöst, der den Ausbruch entdeckt hatte. Die Polizei hatte ihn zum Schweigen gezwungen.

Die Zentralregierung scheint mit der Veröffentlichung von Xis Rede zu versuchen, den Parteichef nun als Krisenmanager der ersten Stunde zu inszenieren. Xi war zuvor in die Kritik geraten, nachdem er tagelang nicht in der Öffentlichkeit aufgetreten war. Zudem hatte er Ministerpräsident Li Keqiang nach Wuhan geschickt und war selbst nur in einem Pekinger Krisenzentrum aufgetreten. Die Rede liest sich nun fast wie eine Verteidigung.

Die neue Strategie ist nicht ungefährlich für den Parteichef, den die Epidemie in die schwerste Krise seiner Amtszeit gestürzt hat. Seit Wochen steht das Leben in China still. Firmen, Schulen und Universitäten sind aus Angst vor Neuansteckungen weiterhin in den meisten Teilen des Landes geschlossen. Die wirtschaftlichen Schäden werden schon jetzt auf bis zu einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts geschätzt. Sollte es Peking nicht gelingen, die Lage bald unter Kontrolle zu bringen, dürfte das Kritiker in der Frage bestärken, ob die Zentralregierung im Angesicht der Krise möglicherweise zu spät oder nicht umfassend genug reagiert hat.

Die Zahl der Todesopfer stieg am Sonntag auf 1665 Menschen. Mindestens 68 500 Menschen sind in China erkrankt. Experten vermuten noch eine deutlich höhere Dunkelziffer. In Europa ist am Wochenende erstmals ein Mensch am Coronavirus gestorben. Dabei handelt es sich um einen älteren chinesischen Touristen, der in einem französischem Krankenhaus behandelt worden sei, teilte die französische Gesundheitsministerin Agnès Buzyn mit. Die Lage in Deutschland hat sich eher entspannt. In Bayern wurden Corona-Patienten als geheilt entlassen. Der chinesische Außenminister Wang Yi gab sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Samstag optimistisch: "Der Morgen naht und wir sehen das Licht", sagte Wang.

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SZ vom 17.02.2020
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