Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in China:Pekings nächste Belastungsprobe

  • Chinas Präsident Xi Jinping versprach eine schnelle Reaktion auf den Ausbruch des Coronaviruses in Wuhan.
  • Nachdem die ersten Maßnahmen nicht halfen, zeigt sich: Die politische Führung in Peking hat das Ausmaß der Krise unterschätzt.
  • Zum Problem wird auch das ohnehin marode Gesundheitssystem in China.

Von Lea Deuber, Peking

Chefsache sollte die Bekämpfung des neuen Coronavirus in China eigentlich werden. Partei- und Staatschef Xi Jinping hatte sich mit seinem Auftritt vor einer Woche ungewöhnlich früh zum Krisenmanager gemacht. Möglicherweise konnte die Regierung in Peking da aber noch nicht absehen, mit welcher Geschwindigkeit sich das Virus in den Tagen darauf ausbreiten würde. 30 Mal so viele Fälle gibt es inzwischen, 20 Mal so viele Tote. Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Das Virus hat das Milliardenland in weniger als einer Woche zum Stillstand gebracht. Das Staatsfernsehen strahlte am Samstag sieben Minuten lang Bilder eines Krisentreffens des Ständigen Ausschusses des Politbüros aus: Ungewöhnliche Aufnahmen, die die Bevölkerung sonst nur selten zu Gesicht bekommt.

Peking scheint bemüht zu sein, den Fokus von Präsident Xi auf die sechs übrigen Männer der Parteispitze zu lenken. Helfen dürfte das aber wenig. Für Chinas Präsidenten ist der Ausbruch längst zu einer handfesten Krise geworden. Peking dürfte die Bedrohung durch den Ausbruch des neuen Coronavirus bereits auf einer Stufe sehen mit der Sars-Epidemie 2003. Das Vertrauen vieler Menschen in ihre Regierung scheint spätestens nach der Abriegelung der Elf-Millionen-Metropole Wuhan zutiefst erschüttert zu sein. Fast 20 Städte sind inzwischen weitgehend abgeschnitten von der Außenwelt. Hunderttausende Menschen haben ihre Reisen abgesagt, viele trauen sich selbst in den weit entfernten Metropolen Shanghai, Shenzhen und Peking nicht mehr vor die Tür. Präsident Xi Jinping versprach zwar am Wochenende, dass die Partei auf allen Ebenen dem Virus den Kampf ansagt. Doch die Verunsicherung ist groß.

China hat im Umgang mit der Krise maximale Transparenz angekündigt und im Austausch mit der Weltgesundheitsorganisation auch vieles richtig gemacht: Es hat früh über den Ausbruch informiert und Informationen mit anderen Ländern ausgetauscht. Doch je chaotischer es im Land wird, desto härter wird die Regierung gegen Kritiker vorgehen.

Für Peking sind Naturkatastrophen oder eine Krankheitswelle wie das Coronavirus zunächst einmal politisch eigentlich keine Gefahr. Nach dem Erdbeben 2008 in Sichuan, bei dem fast 70 000 Menschen starben, ließ die Regierung zunächst bereitwillig ausländische Nichtregierungsorganisationen ins Land, um bei der Bergung zu helfen. Journalisten berichteten vergleichsweise frei über die Katastrophe. Die Lage änderte sich erst drastisch, als deutlich wurde, dass besonders viele Kinder unter den Opfern waren. Während Amts- und Wohngebäude das Beben oft glimpflich überstanden, stürzten viele Schulen und Kindergärten ein. Aus einer Naturkatastrophe ohne Schuldige wurde in kürzester Zeit ein Debatte über Pfuschbauten, Korruption und Vetternwirtschaft innerhalb der Partei. Die Regierung versuchte, die Aufklärung daraufhin zu vertuschen. Sie verschärfte die Zensur und unterdrückte die Versuche von Journalisten und Aktivisten, die genauen Umstände aufzudecken.

Auf einen Arzt in China kommen 7000 Patienten. International liegt der Standard bei 2000 Patienten

Auch für viele Chinesen geht es in diesen Tagen nicht mehr um ein Virus, sondern um die Frage, ob die Regierung alles getan hat, die Situation frühzeitig in den Griff zu bekommen. Im Netz berichten Ärzte aus der Region von überfüllten Krankenhäusern und Panik unter Patienten. Es soll an Masken, Ärzten und Medikamenten fehlen. Auf einem Video, das im Netz tausendfach geteilt wurde, sieht man in einem Krankenhaus drei Leichname, die zwischen wartenden Patienten liegen. Auf einer anderen Aufnahme kollabiert ein Mann auf offener Straße. Hilflos stehen Menschen daneben. Auch wenn die Regierung bereits mehr als 2300 medizinische Helfer in die Region geschickt hat und sogar zwei neue Krankenhäuser bauen lässt, kommen die guten Nachrichten kaum gegen die Wellen der Wut an, die das Netz überschwemmen.

Ein Problem ist auch das Gesundheitssystem. In den vergangenen Jahren hat China viel Geld in die Reform der Krankenversorgung investiert. Trotzdem steckt das System seit Jahren in der Krise. Chinas Lokalregierungen müssen ihre Wachstumszahlen erfüllen. Gleichzeitig sind viele Regierungen schwer verschuldet und verpflichtet, ihre Kosten in den Griff zu bekommen. Krankenhäuser sind daher häufig unterbesetzt und schlecht ausgestattet. Auf einen Arzt kommen in China fast 7000 Patienten. International liegt der Standard zwischen 1500 und 2000 Menschen.

2020 ist zwar das Jahr, in dem China die Armut im Land gänzlich eingedämmt haben will. Nirgendwo zeigt sich die Ungleichheit aber deutlicher als im Gesundheitssystem und zwischen der Versorgung in der Stadt und in ländlichen Regionen, wo die Menschen häufig nicht einmal einen Arzt sehen können. Die Staatsmedien berichten zwar bereits, dass die Situation in Wuhan unter Kontrolle gebracht sei. Jeder erkrankte Patient habe nun ein Bett zur Verfügung. Es ist aber unerheblich, was die Propaganda in den Staatsmedien verbreitet. Jeder Chinese weiß, wie überlastet das System ist. Sie sitzen ja selbst stundenlang in den überfüllten Fluren, wenn sie krank sind. Das Krisenmanagement dieser Tage bestätigt viele in ihrer Meinung, dass die Regierung nicht in der Lage ist, die Epidemie unter Kontrolle zu bringen.

Chinas Zensoren haben wieder angefangen, so viel wie möglich aus dem Netz zu löschen. Jede Kritik an Peking muss verschwinden. Nur, die steigenden Krankheitszahlen lassen sich nicht wegzensieren. Es ist ein fast unlösbares Problem für die Regierung, die in den vergangenen Jahren gut darin war, die Realität nach ihren Wünschen umzubiegen.

Für Präsident Xi Jinping ist es die nächste Belastungsprobe. Seit neun Monaten protestieren die Menschen in Hongkong gegen das Regime, seit fast einem Jahr grassiert die Schweinegrippe im Land. Fast die Hälfte des Schweinebestands musste gekeult werden. Dazu kommt der Handelsstreit mit den USA, der die Wirtschaft zunehmend belastet. Die wirtschaftlichen Folgen des Virus sind da noch gar nicht eingerechnet. Am Samstag, inmitten der wichtigsten Reisezeit, lag die Zahl der Reisen ein Drittel unter dem Vorjahr. Der Verkehr zwischen den Städten im Land wurde zum großen Teil eingestellt.

Bis zu einem Prozent niedriger könnte das Wirtschaftswachstum dieses Jahr ausfallen - wegen des Coronavirus. Für den Krisenmanager Xi sind das keine guten Nachrichten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4771986
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.01.2020/bix
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.