Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Die Epidemie ist ein Versagen des autokratischen Systems

Die Ausbreitung des Virus hätte besser bekämpft werden können, wäre sie am Anfang in China nicht vertuscht worden. Doch die Autokratie hat ihren Preis.

Kommentar von Lea Deuber

Der Ausbruch des neuartigen Coronavirus in China hat vielerorts antichinesische Stimmung geschürt. Es kommt zu Angriffen auf Menschen aus Asien oder Personen mit einem asiatischen Migrationshintergrund. Solche Übergriffe dürfen nicht toleriert werden. Krankheiten kennen keine Nationalitäten. Es wird immer Krankheitswellen geben. Je vernetzter die Welt ist, desto höher das Risiko, dass sich Krankheiten global ausbreiten.

Wichtig ist, dass die Staatengemeinschaft aus Krisen wie in China lernt und in internationale Strukturen wie die Weltgesundheitsorganisation investiert. Wie wichtig deren Arbeit ist, zeigt sich in diesen Tagen. Nationale Politik darf dabei genauso wenig eine Rolle spielen wie Rassismus und Vorurteile gegen einzelne Völker. Die Menschen in China verdienen Solidarität. Besonders die Ärmeren haben in vielen Regionen des Landes kaum eine Chance auf gute medizinische Versorgung.

Weil die Behörden das Virus vertuschen wollten, konnte es sich ausbreiten

Für die Corona-Krise gilt: Es gibt keine Verantwortlichen für den Ausbruch. Für den Umgang mit der Krankheit aber schon. Die chinesische Regierung hat die Bevölkerung sowie die internationale Gemeinschaft aus politischem Kalkül nicht rechtzeitig über den Ausbruch informiert. Das Virus konnte sich auch deshalb in alle Welt ausbreiten, weil die Lokalregierung zunächst einmal acht Ärzte festnehmen ließ, die den Ausbruch entdeckt hatten, drei Wochen wartete und erst dann reagierte, als sich die Krankheitswelle nicht mehr vertuschen ließ.

Im Ausland hat man die Abriegelung der betroffenen Provinz Hubei im Januar für politische Durchsetzungskraft gehalten. Tatsächlich handelte es sich lediglich um Aktionismus - die Überreaktion eines Politikapparats unter Stress. In Deutschland dürfte man in diesen Tagen nur wenig überrascht sein über das Verhalten Pekings. Man hat sich eingerichtet mit dem autokratischen Partner, nimmt sogar hin, dass er das eigene System als Alternative zu den liberalen Gesellschaften bewirbt. Derweil schöpft man die Gewinne ab, die einem die Partnerschaft mit China bringt. Das ist einfach. Immerhin profitiert man hierzulande, ohne die menschlichen Kosten zu tragen, die die Unfreiheit fordert.

China war die politische Macht wichtiger als das Wohl der Bürger

Die Epidemie hätte möglicherweise sehr viel früher eingedämmt werden können, wenn die Menschen in der betroffenen Region von den Behörden gewarnt worden wären. China hat die Sicherung der politischen Macht über das Wohl seiner Bürger gestellt. Wenn Menschen in Deutschland in diesen Tagen krank werden, dann könnte das auch mit den Kosten zu tun haben, die ein autokratisches System verursacht. Man ist hierzulande nur nicht daran gewöhnt, den Preis zu zahlen.

Schon jetzt deutet sich an, welche Lehren die chinesische Regierung aus der Krise ziehen wird. In diesen Tagen bräuchte das Land unabhängige Berichte, damit die politischen Versäumnisse aufgearbeitet werden. Es bräuchte zivilgesellschaftliche Akteure, denen die Menschen außerhalb der Regierung Vertrauen schenken. Peking indes verschärft die Zensur, hindert Journalisten an ihrer Berichterstattung in der Region und nimmt Bürger fest, die in der Krise auf Missstände und Not aufmerksam machen. Für Parteichef Xi Jinping ist die Krise ein weiterer Beleg, dass seine Macht noch nicht ausreichend, seine Kompetenzen noch nicht umfassend genug sind. Für die nächste Krise sind das keine guten Nachrichten.

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SZ vom 03.02.2020/thba
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