Bundeswehr in der Coronakrise:Wie die Truppe hilft

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Eine Bundeswehrsoldatin trägt Schutzausrüstung in ein Testzelt für ein Corona-Screening. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Aufspüren von Kontaktpersonen Infizierter, Unterstützung in Pflegeheimen - in der Coronakrise wollen Hunderte Kommunen und Behörden Hilfe von der Bundeswehr. Die stellt mehr als 30 000 Leute bereit - und sieht den Einsatz auch als Chance.

Von Mike Szymanski, Berlin

Es ist kurz vor 7.30 Uhr in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin. Draußen kündigt sich ein sonniger Frühlingstag an. Davon werden die Soldatinnen und Soldaten, die zur Frühschicht angetreten sind, in den nächsten Stunden jedoch nicht viel mitbekommen. "Operationszentrale" steht draußen an dem flachen Gebäuderiegel. Drinnen wird ihr Blick auf Karten und Computer gerichtet sein. Sie werden am Telefon hängen, E-Mails lesen und die Nachrichten verfolgen, bis die Ablösung kommt. Denn wer weiß schon, wo in Deutschland es bald wieder losgeht - und wann?

In der Berliner Julius-Leber-Kaserne ist das Kommando Territoriale Aufgaben untergebracht, das die Krisenhelfer der Bundeswehr zu Corona-Zeiten befehligt. Ein Tag im nationalen Lagezentrum der Bundeswehr beginnt. Die Frische, die der Kommandeur, Generalmajor Carsten Breuer, mit seinem kraftvollen "Guten Morgen" mit ins Gebäude trägt, wird aber schnell verfliegen. Denn dieser Einsatz ist anders, viel fordernder.

Die Truppe hilft, wenn sie darum gebeten wird. Artikel 35 Grundgesetz regelt die Amtshilfe. Wenn Hochwasser kommt, schleppen die Soldaten Sandsäcke. Wenn es nicht aufhört zu schneien, befreien sie Dächer von der Last. Die Bundeswehr kommt sogar, wenn der Borkenkäfer zu seinem zerstörerischen Werk ansetzt. Aber dieser Gegner ist neu und er ist anders. Er ist unsichtbar und vor allem: Er kann überall gleichzeitig auftauchen. Die Bundeswehr kämpft gegen ein Virus.

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Wie gerade die Lage ist?

Breuer, 55 Jahre alt und von zupackender Natur, biegt in den Besprechungsraum ab. Mit Krisen kennt er sich aus. Beim Elbehochwasser 2002 hatte er eine Panzergrenadierbrigade unter sich und war im Gummistiefel-Einsatz. Links im Raum hängt bis hoch zur Decke eine Deutschlandkarte, an der Stirnseite steht eine Projektionswand für Grafiken und Tabellen.

Breuers Führungsleute sitzen an Pulten so weit auseinander, als hätte jeder eine wichtige Prüfung abzulegen und dürfte nicht schummeln. Auf einem Plakat an der Tür steht: "Wir sind mit Abstand am besten." Jetzt darf nicht mehr geplaudert werden. In Raum 105, gleich neben der Operationszentrale, beginnt das Briefing: "Herr General - ich melde die Einsatzlage."

Gerade sind wieder neue Anträge auf Amtshilfe eingetrudelt. Sonthofen etwa wünscht sich Unterstützung für einen Amtsarzt. In Düsseldorf sollen Jodtabletten ausgelagert werden, um Platz für medizinische Güter zu schaffen. Neuwied will eine mobile Abstrichstation aufbauen und schafft es nicht alleine.

Bei der Ausstattung gerät die Bundeswehr schnell an Grenzen

Im ganzen Jahr 2019 landeten bei der Bundeswehr etwa 240 Anträge auf Amtshilfe. An diesem Tag im Mai steuert die Zahl für 2020 bereits auf insgesamt 500 zu. Jeden Tag kommt eine Handvoll neuer Anträge hinzu. In den ersten Wochen der Krise waren es täglich manchmal mehr als 20.

Aus Sachsen kam der Wunsch, 75 Soldaten vier Wochen lang im Kampf gegen den Borkenkäfer einzusetzen, aber das muss jetzt wegen Corona warten: "Abgelehnt". Anfangs ging es oft um Masken, Schutzkittel und Beatmungsgeräte der Bundeswehr, die angefragt worden waren, sowie um Truppenärzte und Sanitäter, die aushelfen sollten. Da gelangte die Bundeswehr aber schnell an ihre Grenzen.

Jahrzehntelang wurde an der Bundeswehr gespart, das zeigt sich heute. "Viele haben die Vorstellung, dass die Bundeswehr das Warenhaus der Nation ist. Das ist aber nicht der Fall", sagt Breuer. "Die Bundeswehr hat in der Vergangenheit das angeschafft, was sie für den Eigenbedarf braucht." Mehr nicht.

Wo die Bundeswehr aber mit Personal, mit Händen und Muskelkraft sowie ihrer Infrastruktur aushelfen könne, da tue sie das nach Kräften. Die Bundeswehr hat in der Krise ein eigenes "Coronahilfe-Kontingent" aufgestellt, bis zu 15 000 Soldatinnen und Soldaten stehen bereit. Hinzu kommen noch einmal 17 000 Leute aus dem Sanitätsbereich. Zusammen sind das deutlich mehr als die 20 000 Soldaten, welche die Bundeswehr beim großen Hochwassereinsatz 2013 mobilisiert hatte.

Im Lagezentrum arbeiten ansonsten vier Leute. Heute sind es 40, für die zur großen Herausforderung gehört, sich nicht zu nahe zu kommen. So ergibt sich für Oberst Armin Schaus, 48, ein interessantes Anschauungsobjekt. Er ist Dozent an der Führungsakademie in Hamburg und dort Spezialist für die nationale Operationsführung. Nur, jetzt wird er in Berlin gebraucht und baut Strukturen mit auf, die es vorher so nicht gab. "Was ich hier lerne, das nehme ich später mit nach Hamburg", sagt er.

Am Anfang der Krise war die Sorge groß, dass die zivilen Strukturen in Deutschland in die Knie gehen könnten. Die Bundeswehr stelle sich auf den "schlimmsten Fall" ein, hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) im März erklärt, als sich die Lage von Tag zu Tag zuspitzte. Es gehe darum, die "Durchhaltefähigkeit" der zivilen Strukturen sicherzustellen.

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In Baden-Württemberg hatte das Virus schon bedrohlich unter Polizisten um sich gegriffen. Es wurde überlegt, Soldaten zu deren Unterstützung einzusetzen. Das Grundgesetz setzt dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren aber enge Grenzen - über technische Amtshilfe wäre dieser Wunsch wohl hinausgegangen, weil die Soldaten womöglich hoheitliche Aufgaben übernommen hätten. Aber so weit kam es dann nicht.

Die Rechtsberater waren auch gefragt, als Gesundheitsämter Soldaten einsetzen wollten, um Kontaktpersonen von Infizierten nachzuspüren. Wie weit dürfen diese gehen? Leute anrufen, sie zu weiteren Kontaktpersonen befragen, das ginge in Ordnung. Aber ob Quarantäne veranlasst wird, diese Frage muss das Personal des Gesundheitsamtes klären, keinesfalls Soldaten.

Seit ein paar Wochen sieht es nun so aus, als sei das Virus vorerst unter Kontrolle. Die staatlichen Strukturen hätten sich zudem als sehr robust erwiesen, sagt Breuer. Er schaut auf seine Zahlen. Allein an diesem Tag könnte er noch 12 922 Kräfte seines Kontingentes in den Kampf gegen das Virus schicken, lediglich 693 leisteten bereits Amtshilfe. "Es hätte auch anders kommen können", sagt er. Aber auch er könne natürlich nicht sagen, was noch komme.

Wenn die Bundeswehr hilft, geht es nicht allein um die Fragen: Kann sie das leisten, was von ihr verlangt wird? Darf sie das? Die Corona-Krise bietet ihr auch die seltene Möglichkeit, mal wieder anders auf sich aufmerksam zu machen als bloß als Kostenfaktor.

Von starker symbolischer Kraft ist der Einsatz von Soldaten in Altersheimen, jene Orte also, wo früher ausgerechnet Wehrdienstverweigerer anzutreffen waren. In etwa 20 Einrichtungen ist die Truppe im Einsatz, nimmt den Pflegekräften das Tragen von Tabletts ab, hilft beim Desinfizieren und Brotschmieren.

So macht sich die Bundeswehr sichtbar

Musiker vom Stabsmusikkorps, die nahe der Operationszentrale ihr Hauptquartier haben und sonst vor dem Kanzleramt für Staatsgäste spielen, touren jetzt in kleiner Besetzung durch Heime. Dort spielen sie Stücke von Ernst Mosch, Udo Jürgens und den Beatles. "Das ist etwas ganz Neues für uns", sagt Alexander Kalweit, der Zweite Musikoffizier des Stabsmusikkorps. Wochenlang hatten sie Zwangspause. "Keine Musik mehr zu machen, fühlte sich leer an", sagt er. Aber jetzt spielen sie wieder.

Mehr als 30 000 Kräfte gegen das Virus im Einsatz: Blick in die Operationszentrale der Bundeswehr in Berlin. (Foto: Mike Szymanski)

Vor allem Ministerin Kramp-Karrenbauer dürfte das gefallen. "Vielen ist nicht bewusst, was die Bundeswehr für uns alle leistet und wo sie überall im Einsatz ist", klagte die Ministerin noch im Herbst vergangenen Jahres. Um das zu ändern, hatte sie sich nach jahrelanger Pause für ein öffentliches Gelöbnis vor dem Reichstag in Berlin eingesetzt. Soldaten in Uniform dürfen seit Jahresbeginn kostenlos Bahnfahren. Die größte Chance liegt aber jetzt darin, in der Corona-Krise zu bestehen.

Welches Bild von der Bundeswehr in Erinnerung bleibt, dürfte wichtig werden für später, wenn der Haushalt saniert werden muss und die Frage aufkommt: Wo wird gespart? Im besten Fall erinnert man sich an die Helfer. Breuers Leute stehen bereit.

© SZ vom 18.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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