Süddeutsche Zeitung

Beatmungsgeräte:"Ganz schwierige ethische Entscheidung"

Beatmungsgeräte werden wegen Covid-19 dringend benötigt - doch sie sind überall auf der Welt knapp. Wie die Produzenten entscheiden, wem sie die lebenswichtigen Geräte verkaufen, erklärt die Deutschland-Chefin des Herstellers Resmed.

Interview von Raphael Markert

In Deutschland werden die Beatmungskapazitäten und die Zahl der Intensivbetten erhöht. Aber Experten sind unsicher, ob das für alle Covid-19-Patienten reicht. Neue Beatmungsgeräte zu kaufen, ist derzeitig schwierig - weltweit übersteigt die Nachfrage das Angebot. Die Hersteller entscheiden, wem sie die Geräte verkaufen. Wie das funktionieren soll, warum es keine gute Idee ist, dass auch Autohersteller Beatmungsgeräte bauen wollen und wieso die Lage gerade auch für andere Erkrankte kritisch werden kann, erklärt die Deutschland-Chefin des US-amerikanischen Medizingeräteherstellers Resmed, Katrin Pucknat.

SZ: Frau Pucknat, haben die Verantwortlichen im deutschen Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren den Einkauf von Beatmungsgeräten vergessen?

Katrin Pucknat: Nein, das würde ich nicht sagen. Gerade im internationalen Vergleich hat Deutschland eine sehr hohe Anzahl an Intensivbehandlungs- und Invasivbeatmungsplätzen, sie ist signifikant höher als im europäischen Ausland. Man muss beobachten, wie es sich entwickelt, aber Deutschland ist noch nicht an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen. Wir sind in einer wesentlich besseren Situation als andere Länder dieser Welt.

Trotzdem sucht auch Deutschland händeringend nach weiteren Beatmungsgeräten. Die weltweite Nachfrage hat sich alleine bei Ihnen mehr als verfünffacht. Können Ihre Fabriken in Australien und Singapur das überhaupt stemmen?

Es ist nicht möglich, die derzeitige globale Nachfrage, die aus allen Ländern kommt, kurzfristig zu bedienen. Das kann kein Unternehmen dieser Welt. Aber alle sind gerade dabei, Produktionskapazitäten hochzufahren. Das ist auch bei uns der Fall. Wir sind sehr bemüht, alles zu tun, was wir können, um eine maximale Produktion zu gewährleisten. Damit versuchen wir, so viele Märkte wie möglich zufriedenzustellen.

Wie schnell kann das funktionieren?

Im Vergleich zum Status von vor einem Jahr haben wir unsere Herstellung auf verschiedenen Produktionslinien verdoppelt oder sogar verdreifacht. Und wir planen weitere Kapazitätssteigerungen in den nächsten sechs Wochen. Das Problem ist aber, dass aktuell nicht nur ein Markt nachfragt, sondern die ganze Welt. Im Moment übersteigt die Nachfrage das Angebot bei Weitem. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir innerhalb der nächsten Wochen liefern können.

Wer kommt aktuell zu Ihnen - und welche Szenen erleben Sie?

Grundsätzlich meldet sich wirklich die ganze Welt bei uns: Ob das Südamerika ist, Afrika, Asien oder osteuropäische Länder. Es gibt quasi keine Region, die derzeit nicht versucht, Beatmungsgeräte zu beschaffen. Die Dramaturgie ist unterschiedlich, je nachdem, wie die bereits vorhanden Kapazitäten in den Ländern aussehen. Wenn man die Bilder aus Italien oder Spanien gesehen hat, aber auch aus New York, wo es eine massive Unterversorgung mit Beatmungsgeräten gab und gibt, ist die Verzweiflung und Dringlichkeit natürlich noch wesentlich höher als in Märkten, die eigentlich eine gute Grundausstattung haben und die die Ausbreitung der Erkrankung gut im Griff haben. Das sind zum Beispiel Österreich, Belgien und sicher auch Deutschland. Trotzdem sind auch aus diesen Ländern die Anfragen dringlich, jedes Land dieser Welt versucht gerade, sich maximal gut vorzubereiten.

Die Entscheidung, wem Sie wie viele Geräte verkaufen, müssen Sie treffen. Für wen entscheiden Sie sich am Ende? Für den staatlichen Kunden? Den Stammkunden? Den Meistbietenden?

Das ist richtig, das ist eine ganz schwierige ethische Entscheidung. Aber wir haben uns in unserem Unternehmen schon sehr früh auf Richtlinien geeinigt, die festlegen, wie wir entscheiden. Und diese Richtlinien beinhalten nicht, dass derjenige die Geräte bekommt, der am meisten zahlt. Stattdessen haben wir ein epidemiologisches Modell entwickelt, mit dem wir uns anschauen, wo ist der Bedarf, die Not aktuell am größten? Wo sterben die meisten Menschen? Und versuchen tatsächlich gezielt, diese Märkte dann auch bevorzugt zu bedienen, ohne anderen Märkten Produkte vorzuenthalten. Das ist natürlich sehr schwierig, denn man versucht, mit einer begrenzten Menge an Produkten möglichst viele Kunden und Länder zufriedenzustellen. Neben der Covid-19-Erkrankung ist aktuell aber genauso wichtig, dass wir auch noch Patienten betreuen, die an normalen Lungenerkrankungen leiden. Die sind ja durch die Corona-Pandemie nicht einfach verschwunden und brauchen aktuell ebenso Unterstützung. Deshalb müssen wir gleichzeitig neben dem Fokus auf Corona-Patienten sicherstellen, dass gerade auch hier in Deutschland normal beatmete Patienten weiterhin Zugang zu Beatmungstechnologie haben und nicht hinten herunterfallen.

Und das ist derzeit schwierig?

Ja, sehr schwierig. Wir haben da derzeit viele Abstimmungen, viele Telefonkonferenzen, um sicherzustellen, dass es keine Triage zuungunsten der Nicht-Corona-Patienten gibt: Für sie müssen die Beatmungsgeräte derzeit genauso verfügbar bleiben, obwohl gerade alle Geräte zur Covid-19-Behandlung aufgekauft werden und so ein Lieferengpass für die "normale" Versorgung entsteht. Da haben wir sehr große Bedenken. Genauso muss für meine Mitarbeiter, die diese Geräte unserer Patienten, die zu Hause beatmet werden, betreuen und warten, genügend Schutzausrüstung zur Verfügung stehen, damit wir unsere lebensnotwendige Versorgung durchführen können. Da werden wir aktuell gar nicht berücksichtigt.

Lieferengpässe bereiten Ihnen nicht nur hier Sorgen. Sie sorgen sich schon um die Zulieferung der für die Beatmungsgeräte benötigten Komponenten. Wie groß ist hier das Problem?

Das ist tagesabhängig. Wir sind zum Glück sehr groß und haben gute Kontakte zu Zulieferern auf der ganzen Welt. Aber Einschränkungen wie Exportverbote aus vielen Ländern sind ein Riesenproblem. Viele unserer Zulieferer sind ebenfalls wieder von Zulieferern abhängig, von denen viele beispielsweise in China sitzen. Und auch da kommt es zu Lieferengpässen und Schwierigkeiten. Wir müssen jeden Tag neu bewerten, wo wir stehen. Wir müssen jeden Tag ein Netz und doppelten Boden einziehen, indem wir nicht nur einen Partner haben, der uns beliefert, sondern zwei oder drei, die greifen, wenn einer ausfällt. Das ist ein wahnsinniges logistisches Unterfangen.

Autobauer wie Tesla und Ford wollen helfen und starten in Ihren Fabriken, in denen gerade keine Autos von den Bändern rollen, die Produktion von Beatmungsgeräten. Wie bewerten Sie das?

Grundsätzlich freuen wir uns über jeden, der in der Krise versucht zu helfen. Aber es wäre vermessen zu denken, dass man ein Beatmungsgerät mal so eben am Reißbrett zeichnen und in einer Woche bauen kann. Wir haben in die Forschung und Entwicklung Jahre investiert. Beatmung ist keine einfache Sache, da spielen komplexe Algorithmen eine Rolle, die klinisch validiert werden müssen. Außerdem sorgt der Vorstoß der Autobauer noch für ein anderes Problem: Wenn diese ebenfalls Beatmungsgeräte bauen, führt das zu einer wesentlich höheren Komponentennachfrage auf dem Weltmarkt. Komponenten, von denen nicht nur wir, sondern alle Beatmungsgerätehersteller abhängig sind. Wenn da neue Mitspieler in den Markt eintreten und diese Komponenten auch noch abgreifen, dann macht es das uns umso schwieriger, unsere Kapazitäten zu steigern. Wir appellieren daher an die Autobauer, zu prüfen, ob sie selbst mit dem Bau von Komponenten unterstützen können. Ein Beispiel wäre Tesla, die vielleicht dringend benötigte Batterien und Akkus für Beatmungsgeräte produzieren könnten.

Kann es den Staaten reichen, sich mit Beatmungsgeräten einzudecken, um Leben zu retten?

Nein, es braucht immer auch Personal, das diese Geräte bedienen kann. In Deutschland sind wir gut ausgestattet mit Intensivmedizinern und Beatmungsspezialisten. Der Pflegenotstand hat sich aber auch hier durch Corona nicht zum Besseren gewendet. Man muss genau betrachten, woran es am Ende scheitern könnte, wenn Deutschland bei der Behandlung von Covid-19-Patienten an Grenzen kommen würde. Aber im Ausland ist das sicher ein größeres Problem. Es gibt tatsächlich Märkte, in denen bisher sehr wenig mit Beatmungstechnologie gearbeitet wird. Dort gibt oft es nicht so viele qualifizierte Fachkräfte, die die Erfahrung haben, wie man mit einer solchen Technik umgeht.

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