Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Söder: Die Infektionszahlen sind zu hoch

Für den Freistaat sollen von kommender Woche an erneut Ausgangssperren gelten. In Schulen soll teilweise wieder digital unterrichtet werden. Die Lockerung an Silvester ist gestrichen.

Von Cerstin Gammelin, Andreas Glas und Matthias Köpf

Um die Corona-Pandemie einzudämmen, will Bayerns Staatsregierung von Mittwoch an das öffentliche Leben herunterfahren. In einer kurzfristig angesetzten Videokonferenz beschloss das Kabinett am Sonntag Ausgangsbeschränkungen für den Freistaat. Der "sanfte Lockdown" habe das exponentielle Wachstum gebremst, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Die Infektionszahlen seien aber weiterhin zu hoch und das Gesundheitssystem bereits überlastet. "Wir müssen handeln", sagte Söder. Wie im Frühjahr ruft Bayern den Katastrophenfall aus.

Was zuletzt nur in Corona-Hotspots galt, kommt nun flächendeckend: Die Menschen dürfen ihre Häuser und Wohnungen nur noch "aus triftigem Grund" verlassen - etwa, um einkaufen oder arbeiten zu gehen. Allerdings gelten zahlreiche Ausnahmen, so bleiben private Treffen in Grenzen möglich. In Hotspots mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 200 wird es eine nächtliche Ausgangssperre geben, dies betrifft nach den Zahlen von Sonntag mehr als drei Millionen Menschen und damit fast jeden vierten Einwohner des Freistaats. Über alle Maßnahmen soll am kommenden Dienstag der Landtag abstimmen. Stimmt dieser zu, treten die Maßnahmen am Mittwoch in Kraft. Sie sollen zunächst bis 5. Januar gelten.

Zusätzlich kündigte Söder an, die beschlossene Lockerung der Kontaktbeschränkungen an Silvester wieder zu streichen. Lediglich um die Weihnachtstage, von 23. bis 26. Dezember, dürfen sich bis zu zehn Personen aus unterschiedlichen Haushalten treffen, Kinder nicht mitgerechnet. Unmittelbar danach wird der Freistaat zu den derzeit geltenden Kontaktregeln zurückkehren: maximal fünf Personen aus zwei Haushalten. Auch für Schülerinnen und Schüler hat das Kabinett neue Regeln vereinbart. Der Wechsel aus Präsenz- und Digitalunterricht gilt nun für alle Jahrgangsstufen ab der achten Klasse, Abschlussklassen ausgenommen. Berufsschulen wechseln komplett in den Distanzunterricht. Da sich das Virus zuletzt in Alten- und Pflegeheimen wieder stark ausgebreitet hat, kommen auch dort in Bayern strengere Auflagen.

Weitere Neuerungen gibt es in Bayern beim Grenzverkehr. Nur noch Berufspendler dürfen ohne negativen Corona-Test aus den Nachbarländern einreisen, dazu Menschen, die enge Familienangehörige besuchen. Insbesondere die Nähe zu Österreich und Tschechien sieht Söder als eine der Ursachen für die schwierige Lage in einigen Regionen des Freistaats. In beiden Nachbarländern sind die Inzidenzwerte überdurchschnittlich hoch.

Der Zeitpunkt der neuen Beschränkungen kommt überraschend. Zwar hatte Söder zuletzt mehrmals angedeutet, zusätzliche Maßnahmen seien notwendig. Doch noch am vergangenen Donnerstag hatte er gesagt, er wolle die Wirkung des Teil-Lockdowns weitere zehn Tage lang abwarten. Bayernweit ist die Sieben-Tage-Inzidenz seit Mitte November nahezu stabil. Am Sonntag verzeichnete das Robert-Koch-Institut (RKI) für Bayern 175 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen, bundesweit lag dieser Wert bei 142. Doch in einzelnen bayerischen Regionen hat sich die Lage zuletzt verschärft.

Drei der bundesweit derzeit am stärksten betroffenen Regionen befinden sich in Bayern. An der Spitze liegt der niederbayerische Landkreis Regen, der am Sonntag laut RKI einen Inzidenzwert von 581 verzeichnete. Dort gelten nun auch tagsüber Ausgangsbeschränkungen. Einen Wert über 500 registrierte das RKI sonst nur noch für den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge mit 536. In Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern gab es am Sonntag noch einzelne Regionen mit einstelligen oder niedrigen zweistelligen Inzidenzen.

Angesichts der Entwicklungen plädiert Söder für eine weitere Ministerpräsidentenkonferenz noch vor Weihnachten. Man müsse noch einmal abstimmen, was an Weihnachten und insbesondere an Silvester stattfinde. Auch die Ministerpräsidenten einiger anderer Bundesländer äußerten sich am Sonntag besorgt. So erklärte Sachsens Landeschef Michael Kretschmer im ZDF, im Laufe der Woche solle über neue Maßnahmen entschieden werden. "So geht das nicht weiter", sagt der CDU-Politiker zur Lage. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier plädierte für strengere Kontaktbeschränkungen und eine Ausgangssperre bei einer Inzidenz von 200 und mehr. In Thüringen stellte Bodo Ramelow (Linke) die Entlastungen für Weihnachten und Silvester in Frage. Darüber werde das Kabinett am Dienstag diskutieren, hieß es aus der Staatskanzlei Thüringens.

Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) forderte am Sonntag ein Krisentreffen von Bund und Ländern. "Wir brauchen eine Konferenz der Länderchefs in dieser Woche. Sonst sterben uns bis Ende Januar 25 000 Menschen. So ein Fest will keiner", sagte er der SZ. "Die Geschäfte sollten nach Weihnachten geschlossen werden, mindestens für zwei Wochen", schlug Lauterbach vor. Er sprach sich zudem gegen verkaufsoffene Adventssonntage wie soeben in Berlin aus. "Die Öffnung am Wochenende gibt das falsche Signal. Besser wäre es, die Menschen zu bitten, sich selbst und anderen Gesundheit zu schenken als maximal zu konsumieren. Das hat Zeit bis nach den Impfungen. Da sollte man lieber jetzt Geld oder Gutscheine schenken." In Berlin waren am Sonntag zahlreiche Geschäfte geöffnet - und überfüllt.

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