Corona-Krise:Laschet und die Phase 2

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Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, im Plenum des Landtages. (Foto: dpa)

Die ersten Studienergebnisse zum Corona-Hotspot Gangelt in Heinsberg stimmen den NRW-Ministerpräsidenten optimistisch. Er fordert bereits die "Rückkehr in die verantwortungsvolle Normalität".

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Eine knappe Stunde hat Armin Laschet gebraucht, um seine Schlüsse zu ziehen. Um sich zu überlegen, was denn nun folgt aus all den Erkenntnissen, die der Bonner Virologe Hendrik Streeck aus dem Landkreis Heinsberg, dem Corona-Epizentrum des Landes, nach Düsseldorf getragen hat.

Bis 11.35 Uhr hatte Streeck in der Staatskanzlei die ersten Zwischenergebnisse seiner weltweit beachteten Feldstudie präsentiert. Etwa die gute Nachricht, dass die Sterblichkeit unter den gezählten Infizierten in der Stadt Gangelt mit 0,37 Prozent nur ein Fünftel des Wertes sei, den die renommierte Johns Hopkins University verbreitet (1,98). Und dann hat Streeck noch den so klugen wie arg allgemeinen Satz angefügt: "Wir müssen lernen, mit Sars-2 zu leben."

Was das bedeutet, kann kein Wissenschaftler entscheiden. Das ist Aufgabe der Politik. Von Menschen wie Armin Laschet, dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. Um 12.20 steht der Landesvater im Plenarsaal des Düsseldorfer Landtags hinter dem Pult. Die Wissenschaftler, so Laschet, hätten "die hohe Verantwortung" gelobt, die die Bevölkerung im Umgang mit dem Virus zeigt. Und deshalb könne man nun "zum nächsten Schritt übergehen - zur Rückkehr in die verantwortungsvolle Normalität."

Übergang in "die Phase 2"

Genau das will Laschet auch der Kanzlerin empfehlen. Nach den Feiertagen steht eine nationale Schicksalskonferenz an. Am nächsten Mittwoch beraten die 16 Ministerpräsidenten mit Angela Merkel per Videokonferenz, ob ein Anfang vom Ende der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen gemacht werden kann. Laschet ist dafür: "Dass wir diesen Versuch nach Ostern wagen sollten, davon bin ich überzeugt."

Das klingt, als schimmere Licht am Ende des Corona-Tunnels. Und so etwas wie der Übergang in eine neue Phase unter Covid-19. Genau das, "die Phase 2", hatte auch Streeck eine gute Stunde zuvor empfohlen. Der Virologe sprach sich für eine "beginnende Rücknahme der Qurantänisierung" aus, allerdings sei gleichzeitig eine "Beibehaltung der hygienischen Rahmenbedingungen und Verhaltensweisen" erforderlich. Zu Deutsch: Schritt für Schritt könne man Läden, Restaurants, vielleicht sogar Kitas und Schulen wieder öffnen - aber die besonderen "Rahmenbedingungen" für "vulnerable Gruppen" (Kontaktsperren zu Menschen mit Vorerkrankungen, Zugangsverbote für Senioren in Alten- und Pflegeheimen) müssten strikt bleiben.

Und auch die "Verhaltensweisen" müssten bleiben: 1,50 Meter Abstand wahren, immer wieder Händewaschen, Husten nur in die Armbeuge usw. Bleiben also die Großeltern bis Weihnachten weggesperrt? "Das können wir nicht ausschließen", antwortete Streecks Kollege Martin Exner, der Bonner Professor für Hygiene und öffentliche Gesundheit.

Sensationen hatten die Bonner Wissenschaftler nicht mitgebracht in ihrem Bericht aus dem Kreis Heinsberg. Sie lobten die Politik, die dort nach Ausbruch der Epidemie sofort Schulen und Kitas geschlossen und tausend Mitbürger ohne Tests unter "freiwillige Quarantäne" gestellt hatte. Landrat Stephan Pusch glaubt bis heute, nur deshalb sei seine Bevölkerung "an einer Riesenkatastrophe vorbei geschlittert." Heinsberg liege im Corona-Verlauf etwa zwei Wochen vor dem Rest der Republik, inzwischen sinke die Zahl der Neuinfektionen: "Wir haben eine fallende Kurve."

Die Erkenntnissuche geht weiter

Streeck und seine 40 studentischen Mitarbeiter haben mittlerweile 509 Interviews, Rachen-Abstriche und Bluttests von Bürgern aus Gangelt ausgewertet. Ihre erste Erkenntnis: 15 Prozent der per Stichprobe ausgewählten Personen waren mit dem Coronavirus infiziert. Was zweitens zugleich bedeute: 15 Prozent der Bevölkerung in Gangelt seien vorerst immun. Wie lange? "Sechs bis 18 Monate," schätzte am Donnerstag Gunther Hartmann, Professor in Bonn für Klinische Chemie und Pharmakologie. Will sagen: Nichts Genaues weiß man nicht. Noch nicht.

Die dritte Erkenntnis der Forscher zu Heinsberg ist eine erstaunlich niedrige Dunkelziffer - die man jedoch wohl kaum auf das gesamte Land hochrechnen kann: Denn im Kreis Heinsberg sind besonders viele Infektionen registriert worden, und es wurde auch sehr viel häufiger getestet als anderswo - schon bevor Streecks Team angekommen war. Was bedeutet: Da, wo bisher weniger nach dem Virus gesucht wurde, könnte die Dunkelziffer deutlich höher liegen.

Unterm Strich deuten die Wissenschaftler vieles also an, konkrete Empfehlungen riskieren sie nicht. Die Erkenntnissuche geht weiter. Und das ist, wie die Reaktionen anderer Experten zeigen, dringend notwendig. So äußerte etwa Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin, Zweifel an der Validität der Ergebnisse.

Abgewatscht für einen lausigen Gesetzentwurf

Armin Laschet hat am Donnerstag dazu gelernt. Auch im Landtag, der wegen Corona eilig ein neues Landesinfektionsschutz-Gesetz beriet. Zwar gelang ein Allparteien-Kompromiss zwischen der Regierungskoalition aus CDU und FDP mit der rot-grünen Opposition. Zuvor jedoch hat sich Laschet abwatschen lassen müssen für einen zunächst lausigen Gesetzentwurf, den unabhängige Verfassungsrechtler sowie SPD und Grüne öffentlich zerrissen.

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Zwischenzeitlich waren die Quarantäne-Regelung für Menschen, die aus dem Ausland nach Deutschland zurückkehren, gelockert worden. Nun hat die Regierung in Hannover sie wieder verschärft.

Nun also darf der Gesundheitsminister keinen Arzt und keine Krankenschwester zwangsrekrutieren, stattdessen soll es ein "Freiwilligen-Register" für medizinisches Fachpersonal geben. Auch käme die Ausrufung des Notstands wie bei Covid-19 nur für zwei Monate infrage. Und drakonische Maßnahmen beschließt das Parlament, nicht wie zunächst geplant die Regierung per Verordnung.

Laschet ertrug die Schmach. Und er konnte sogar mitlachen, als ihm SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty (ohne Vorwarnung oder Zitier-Hinweis) mit eigenen Merksätzen über den Schutz von Grundrechten und dem allzeit gültigen Prinzip der Verhältnismäßigkeit die Leviten las.

"Wir als Politiker sind gut beraten, nicht dem Rausch des Ausnahmezustands und der Tatkraft zu verfallen, sondern auch in dieser Stunde der Exekutive Maß und Mitte zu wahren," las Kutschaty eine Laschet-Weisheit vom Blatt. Weil viele Abgeordnete das Manöver nicht sofort durchschauten, klatschte ausgerechnet die SPD Laschets Zitaten Beifall, während die CDU knorrig schwieg.

Der Landesvater feixte derweil auf der Regierungsbank, ihn amüsierte die Verwirrung. Laschet, seit drei Wochen Krisen-Manager, wirkte, als wiege seit diesem Gründonnerstag das Kreuz von Corona weniger schwer.

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