Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Kaserniert im Flüchtlingslager

Lesezeit: 3 min

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Ausgerechnet Ellwangen, ausgerechnet jenes Flüchtlingslager im württembergischen Ostalbkreis, das im Mai 2018 schon einmal Schlagzeilen gemacht hat. Damals hatten sich etwa 150 Geflüchtete zusammengetan, um die Abschiebung eines Mannes zu verhindern, woraufhin die Polizei zu einem umstrittenen Großeinsatz ausrückte. Nun stehen wieder Polizisten vor der ehemaligen Kaserne am Ortsrand, und das rund um die Uhr.

Diesmal müssen die Beamten allerdings niemanden abschieben - ganz im Gegenteil. Sie sollen darüber wachen, dass keiner der Bewohner das Gelände verlässt. Denn das Landratsamt hat eine Ausgangssperre für die sogenannte Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) mit ihren fast 600 Bewohnern verhängt. Mindestens bis 19. April dürfen die Asylbewerber das Gelände nicht verlassen, weil sich das neuartige Coronavirus unter ihnen ausgebreitet hat.

Mehr als 250 Bewohner und 19 Mitarbeiter wurden bisher positiv getestet. Und in dieser Woche werden alle, bei denen der Test beim ersten Mal negativ ausfiel, noch einmal untersucht. Sollten dabei neuere Infektionsfälle nachgewiesen werden, könnte die Ausgangssperre verlängert werden.

Es ist nicht das erste Mal in der Coronakrise, dass eine große Flüchtlingsunterkunft unter Quarantäne steht. Ende März hatten die Behörden eine zweiwöchige Ausgangssperre für eine Erstaufnahmeeinrichtung in Thüringen mit etwa 500 Bewohnern verhängt, weil sich einer von ihnen infiziert hatte. Dort war die befürchtete Infektionswelle letztlich ausgeblieben.

In Ellwangen hat sich das Virus entweder lange unbemerkt oder extrem schnell verbreitet. Am 2. April hatte das Regierungspräsidium Stuttgart, das die LEA im Auftrag des Landes betreibt, zunächst einen Infizierten gemeldet. Der Mann wurde damals sogleich isoliert, drei Tage später waren dann aber schon sechs weitere Bewohner erkrankt, weshalb das Landratsamt am 5. April eine Ausgangs- und Kontaktsperre anordnete. Es veranlasste außerdem, dass sämtliche Mitarbeiter und Bewohner getestet werden.

Als schließlich am Osterwochenende auch die letzten Testergebnisse vorlagen, war klar: Etwa 250 Bewohnern tragen das Virus in sich. Die meisten der Infizierten zeigen laut den Behörden bisher keine oder nur milde Symptome. Ein Bewohner sei mit Fieber in eine Klinik verlegt worden. Von den 204 Beschäftigten waren 19 positiv getestet worden.

Um genau solch ein Szenario zu verhindern, werden neu ankommende Flüchtlinge seit einigen Wochen auf das Virus getestet und vorsorglich separiert. In Ellwangen erkrankte jedoch ein Mann, der schon länger in der Einrichtung lebt. Dort lässt sich enger Kontakt nicht vermeiden: Zwei bis sechs Geflüchtete teilen sich in den Mannschaftsgebäuden der ehemaligen Kaserne ein Zimmer. Pro Stockwerk gibt es nur ein Bad, gegessen wird in der Kantine.

Auch wenn nicht klar ist, ob die zunächst negativ getesteten Bewohner wirklich frei vom Virus sind, versucht das Regierungspräsidium nach eigenen Angaben weiterhin, sie von Infizierten zu separieren. Einige Häuser wurden zum Quarantänebereich erklärt und ein kurzfristiger Zimmertausch veranlasst. Eine zweite Essensausgabe wurde eingerichtet.

Ursprünglich wollte Baden-Württemberg infizierte Asylbewerber in einer neu geschaffenen Isolierunterkunft unterbringen, ein ehemaliges Freizeitzentrum, in dem sie die Quarantäne in Einzel- oder Doppelzimmern mit eigenem Bad verbringen können. Sie ist jedoch zu klein, um all die Infizieren aus Ellwangen aufzunehmen. Nur zwei Frauen mit ihren drei Kindern wurden dorthin verlegt.

Schlecht informiert und verunsichert

Eine Gruppe ehemaliger Flüchtlinge, die sich für die Rechte von Asylbewerbern einsetzt, beobachten die Vorgänge kritisch. Sie fordert, dass Journalisten und unabhängige Kontrolleure das Lager besuchen dürfen. Sprecher Rex Osa steht nach eigener Aussage in Kontakt mit mehreren Bewohnern, die nicht selbst mit den Medien sprechen wollen. Die Geflüchteten würden nicht ausreichend informiert und seien stark verunsichert, sagt Osa. Das Regierungspräsidium räumt ein, dass sich einige Bewohner möglicherweise "zunächst nicht vollumfänglich informiert gefühlt" haben könnten. Die Mitarbeiter würden jedoch viel kommunizieren und seien in der Lage, das in mehreren Sprachen zu tun.

Dass Externe das Lager derzeit nicht besuchen dürfen, ist aus Sicht des Comboni-Ordensbruder Manfred Bellinger kein Anlass zur Beunruhigung. Seit Jahren bietet er als einer von vielen Ehrenamtlichen, die sich in der LEA engagieren, Fußballtraining an. Momentan muss auch er draußen bleiben. Seiner Erfahrung nach gehen die Mitarbeiter und die privaten Sicherheitskräfte sehr wertschätzend mit den Bewohnern um. Auch die Informationspolitik habe er bisher als gut erlebt. So gebe es in normalen Zeiten monatlich eine Generalversammlung, bei der Dolmetscher für Französisch, Englisch und Arabisch anwesend seien.

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Quelle:
SZ vom 16.04.2020
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