Coronavirus:Afrika ist auf sich allein gestellt

Coronavirus: Mit Seife gegen die Seuche: Ein Ehrenamtlicher versucht die Bewohner einer Township bei Johannesburg vor den Gefahren der Corona-Epidemie zu schützen.

Mit Seife gegen die Seuche: Ein Ehrenamtlicher versucht die Bewohner einer Township bei Johannesburg vor den Gefahren der Corona-Epidemie zu schützen.

(Foto: Michele Spatari/AFP)

Viele Menschen wohnen dicht gedrängt, es gibt kaum Schutzkleidung: Viele afrikanische Länder sind schlecht gegen die Pandemie gerüstet. Eins aber könnte helfen.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Das sei "eine Krankheit der Weißen", sagt Kenny Tokwe. Er sagt es ohne Bitterkeit, eher als Feststellung. Tokwe trägt ein Trikot des FC Liverpool und sitzt auf einer Bank vor einem Kreisverkehr im Süden Kapstadts. Der Kreisverkehr ist so etwas wie der Sozialäquator, nimmt man die rechte Ausfahrt, fährt man in die schönen Hanglagen und Gated Communities, hinter Elektrozaun verbarrikadierte Wohnsiedlungen. Biegt man nach links ab, dann kommt man in die Township Imizamo Yethu, ein paar Tausend Quadratmeter für 30 000 Menschen, Blechhütten und kleine Steinhäuser dicht an dicht. Nach rechts biegen am Kreisverkehr auch Porsches und SUVs ab. Nach links nur Minibusse und ein paar alte Toyotas.

"Es gibt bei uns das Gefühl, dass die Weißen, die das Geld haben zu reisen, den Virus mitbringen", sagt Tokwe. Er sagt es mit einem Lächeln - woanders fliegen auch mal Steine. In Äthiopien wurden Europäer angegriffen. In Kenia Chinesen verprügelt und in Kamerun Deutsche beschimpft.

Aids, Ebola und Malaria galten vielen Europäern als Krankheiten der Schwarzen. Jetzt ist es einmal andersherum, ein bisschen zumindest. Eine Genugtuung lässt sich bei Tokwe nicht erkennen, wenn er davon erzählt, dass sich die Verhältnisse nun umkehren. Man kann ihn als eine Art kleinen Bürgermeister der Township bezeichnen, einen von der Stadt bezahlten Sozialarbeiter, der auf dem Tisch vor sich einen Stempel liegen hat, mit dem er die Wohnanschriften der Einwohner amtlich bestätigen kann. Neben ihm sitzt ein Mitarbeiter, der Tokwe nach jedem Stempel mit Desinfektionsspray besprüht. Von der Stadtverwaltung hat er noch ein paar Flyer bekommen, die die Bewohner darauf aufmerksam machen sollen, in Zeiten des Coronavirus sich doch bitte die Hände zu waschen und genügend Abstand zu halten. "Aber wie soll man hier bitte Abstand halten?", fragt Tokwe.

Das ist die große Frage, die sich stellt in diesen Tagen, da das Coronavirus auch in Afrika ankommt. In einer der Regionen der Welt, wo viele Millionen Menschen in so engen Slums und Siedlungen leben, in denen der Ratschlag der Virologen und Politiker, doch bitte zwei Meter Abstand zu halten, wie purer Hohn klingt. Wie soll das gehen?, fragt Tokwe noch einmal. Man kann ein paar Meter weiter in die Blechhütten schauen, sieben Menschen auf vielleicht 20 Quadratmetern.

Noch schaut die Welt woanders hin

Dennoch versuchen sie überall ihr Möglichstes, vielleicht, weil viele Einwohner der Slums wissen, dass es ihre einzige Chance ist. Im Millionenmoloch Lagos in Nigeria werden vor den Apotheken auf dem Boden kleine Aufkleber angebracht, die den Abstand der Wartenden kennzeichnen sollen. Der eigentlich muslimisch-alkoholfreie Sudan entdeckt doch ein paar Tausend Liter Alkohol und stellt daraus Desinfektionsmittel her. In Südafrika gilt von diesem Freitag an eine allgemeine Ausgangssperre, die bei geringeren Fallzahlen erlassen wurde als in den meisten Ländern der Welt.

Denn noch sind die Fälle gering in Afrika, noch schaut die Welt woanders hin, knapp 2500 Infizierte sind es am Mittwochmorgen auf dem Kontinent, in Ländern wie Südafrika verdoppeln sich die Zahlen aber knapp alle drei Tage, eine Wachstumsrate etwa wie in Deutschland oder Italien.

Die Frage ist, was Afrika dem entgegenzusetzen hat. Südafrika ist bisher nicht einmal in der Lage, die Zahl seiner Intensivbetten zu zählen, vielleicht sind es nur tausend, vielleicht aber auch drei Mal so viel. In Ländern wie der Zentralafrikanischen Republik oder dem Tschad stellt sich die Frage, ob es überhaupt mehr als eine Handvoll Beatmungsgeräte gibt.

"Bei uns kann man sich noch nicht einmal testen lassen"

Sicher ist in Südafrika zumindest, dass die allermeisten davon in privaten Kliniken stehen und keines in der Township Imizamo Yethu. "Bei uns kann man sich noch nicht einmal testen lassen", sagt Sozialarbeiter Tokwe. Zwei Kliniken hat die Township, von denen derzeit nur eine geöffnet ist, ein Flachbau, vor dem zwei Wachmänner stehen, die jedem Besucher etwas Desinfektionsmittel in die Hände versprühen, viel mehr kann man hier derzeit nicht tun gegen Corona. Wer sich testen lassen will, fährt über die Ausläufer des Tafelberges in ein größeres Krankenhaus, wo es vielleicht einen Test gibt, vielleicht aber auch nicht.

Manchmal hat auch Tokwe über den Hügeln zu tun, dann sieht er Nachbarn in der Klinik einen Aids-Test machen oder sich Medikamente holen. "Sie wollen zu Hause nicht erkannt werden, das Stigma ist zu groß", sagt Tokwe. Mindestens jeder Zehnte in der Township ist HIV-infiziert, eine Zahl, die man in vielen Ländern im südlichen Afrika findet, dazu kommen Millionen, die an Tuberkulose erkrankt sind, an Malaria oder Dengue-Fieber. Ist ihr Immunsystem imstande, der Krankheit standzuhalten? Ja, sagen Forscher, was diejenigen HIV-Kranken angeht, die regelmäßig Medikamente nehmen. Verschiedene Malaria- und Ebola-Präparate könnten womöglich sogar erfolgreich gegen Corona eingesetzt werden, gerade haben verschiedene Tests begonnen. Nur haben Millionen Afrikaner überhaupt keinen Zugang zu diesen Medikamenten.

Und Hilfe scheint auch nicht zu nahen. In normalen Zeiten vergeht kaum eine Woche, in der internationale Organisationen nicht um Spenden für Afrika bitten, um Geld, mit dem der Hunger bekämpft werden soll, zu viel Wasser bei Überschwemmungen oder zu wenig bei einer Dürre.

Nun aber, in einer der größten Krisen der jüngeren Geschichte, gibt es kaum jemanden, der zu Spenden aufruft. Der eine Idee hat, wie man dem Kontinent helfen kann. Jedes Land ist sich erst einmal selbst am nächsten. "Lasst die Ärmsten nicht im Stich", sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus fast jeden Tag. Er stammt selbst aus Äthiopien und sorgt sich um die Länder, die kein wirkliches Gesundheitssystem haben.

Was kann also helfen?

Ausgerechnet das, was sonst so oft als Nachteil des Kontinents beschrieben wird. Die häufig tropischen Temperaturen und die Millionen jungen Menschen.

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Während Italien, das Land mit den bisher meisten Corona-Toten, ein Durchschnittsalter von mehr als 46 Jahren hat, liegt es in vielen afrikanischen Ländern bei etwa einem Drittel: in Mali bei 15,8 und in der Demokratischen Republik Kongo bei 16,2 Jahren, das macht nicht unverwundbar, steigert aber die Chancen massiv, dass nur ein geringer Teil der Bevölkerung schwere Symptome entwickelt. "Ich denke, dass Afrika nicht mal annähernd so unter der Pandemie leiden wird wie Europa und Nordamerika", sagte Paul Hunter von der University of East Anglia der Financial Times. Manch einer seiner Kollegen ist da aber deutlich skeptischer.

Dann ist da noch das Wetter. Der Himmel über der Township in Kapstadt ist mal wieder himmelblau, die Sonne brennt auf die Blechhütten. Was diesmal kein Nachteil sein muss. "Nach unseren bisherigen Aufzeichnungen fällt es dem Virus schwerer, sich zwischen den Menschen zu verbreiten, die in wärmeren Klimazonen leben", sagt Mohammad Sajadi von der Universität von Maryland. Auch hier gibt es Wissenschaftler, die es ganz anders sehen. Die Realität ist der Test.

In Kapstadt, sagt Sozialarbeiter Kenny Tokwe, werde es jetzt ohnehin Winter, und der könne ziemlich kalt und ungemütlich werden.

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