Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Afrika steht allein am Abgrund

Während der Rest der Welt mit sich selbst beschäftigt ist, wartet Afrika auf die Katastrophe. Noch lässt sich das Schlimmste verhindern, doch der Kontinent braucht die Hilfe der internationalen Gemeinschaft.

Kommentar von Bernd Dörries, Kapstadt

Es klingt wie ein Witz. Auf Postern, Zetteln und per Internet werden Millionen Afrikaner gerade dazu aufgerufen, die Ausgangssperre zu beachten, doch bitte mindestens zwei Meter Abstand zu halten zu ihren Mitmenschen und sich mindestens alle 20 Minuten die Hände zu waschen. Viele lesen die Nachrichten in den engen Gassen ihrer Slums oder in den kleinen Blechhütten, in denen sie zu sechst oder auch zu acht leben. Sie sehen die Poster auf dem Weg zu den wenigen Wasserhähnen, die es in ihren Slums gibt und vor denen sie in einer Schlange anstehen müssen. Sie denken sich, das ist doch ein Witz. Manche sagen es laut: Das ergibt keinen Sinn. Wir werden sterben wie die Fliegen.

In diesen Tagen kann Afrika wie in Zeitlupe dabei zusehen, wie die Gesundheitssysteme von Ländern zusammenbrechen, die immer als das Paradies galten. Dort, in den Industrienationen, ließen sich ihre korrupten Präsidenten gerne behandeln, nachdem sie die Krankenhäuser in der Heimat zugrunde gerichtet hatten. Es sind Tage und Wochen, in denen Millionen Afrikaner Zeit haben, sich zu überlegen, wie schlimm es denn kommen könnte. Der Virologe Christian Drosten warnt, bald werde es in ärmeren Ländern "Szenen geben, die wir uns heute noch nicht vorstellen können". Bill Gates geht von bis zu zehn Millionen Toten in Afrika aus. So vielen wie sonst nirgends auf der Welt.

Der Rest der Welt ist derweil mit sich selbst beschäftigt, um etwa für die eigene Bevölkerung möglichst viele Masken und Beatmungsgeräte zu besorgen. Für Afrika wird nichts übrig bleiben. Ein Land wie Malawi hat 30 Intensivbetten für 18 Millionen Einwohner. Für Solidarität ist wenig Platz, mit Afrika schon gar nicht, dort wird eh immer gestorben. Rechnet man zusammen, was die Bundesregierung bisher an Hilfen für Deutschland angekündigt hat, kommt man auf bis zu 1,2 Billionen Euro. Für Afrika sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes bisher fünf Millionen Euro vorgesehen, die als Unterstützung an die WHO gehen.

Der Ansatz, das öffentliche Leben einzufrieren, könnte in Afrika sogar kontraproduktiv sein

Es ist schwer, an andere zu denken, wenn man selbst gerade den Boden unter den Füßen verliert. Aber das Denken in Staaten und Grenzen wird die Welt auf lange Sicht nicht gesund machen, weil das Virus sich nicht an Grenzen halten wird. Nicht mal an Kontinente. Die Welt wird nur zur Normalität zurückfinden, wenn Corona auch in Afrika besiegt wird.

Die meisten Regierungen des Kontinents haben bisher in beeindruckender Konsequenz gehandelt und Ausgangssperren verhängt - zu einem Zeitpunkt, da in Köln bei deutlich mehr Infizierten noch Corona-Partys gefeiert wurden. Populär war dieser Schritt nicht, Corona gilt in vielen Ländern Afrikas als Krankheit der reichen Weißen und der lokalen Elite, die das Geld haben, um zu reisen und das Virus einzuschleppen. Und die auch die Mittel haben, um sich in jenen teuren Privatkliniken behandeln zu lassen, die über Beatmungsgeräte verfügen. Dementsprechend gering ist die Motivation einiger, sich dem Virus entgegenzustellen. Hilft ja alles nichts, sagen manche.

Für alle anderen aber gilt: Sie wollen ihren Beitrag leisten, dass Corona in Afrika nicht so schlimm wütet, wie es prophezeit wird - sie können aber nicht. Der Ansatz, das öffentliche Leben einzufrieren, stößt schon in Europa an seine Grenzen. In Afrika könnte er sogar kontraproduktiv sein. Menschen in den Großstädten auf engstem Raum einzusperren, erleichtert dem Virus das Vorankommen. Während sich in Europa viele Arbeitnehmer bequem ins Home-Office zurückziehen können oder Staatshilfen bekommen, stehen Millionen Afrikaner am Abgrund: Sie haben sich tagsüber als Händler, Friseure, Touristenführer und Fahrer das verdient, was gerade zum Essen reichte. Abstand ist für sie etwas, das man sich leisten können muss.

Noch lässt sich das Schlimmste verhindern

Reiche Staaten sollten dabei helfen, den Armen eine Art Grundeinkommen zu ermöglichen. Die meisten afrikanischen Länder haben in der Theorie ein System sozialer Hilfe, aber nicht das Geld dafür. Andere drohen das zu verlieren, was in den vergangenen Jahren mühsam aufgebaut wurde, eine wachsende Mittelschicht, Industrieproduktion und Tourismus. Ethiopian Airlines war für viele Afrikaner ein Symbol dafür, was möglich ist auf diesem Kontinent, wenn es einen Plan gibt und wenig Korruption; innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich die Fluglinie nach Anzahl der angeflogenen internationalen Ziele zur viertgrößten der Welt. Jetzt steht sie vor dem Ruin und mit ihr Äthiopiens Wirtschaft, die von den Devisen der Airline abhängig ist. Forscher haben errechnet, dass nie zuvor so schnell so viel Kapital den Kontinent verlassen hat.

Die internationale Gemeinschaft muss nun einen Teil dieses Kapitals zurückschicken, um die Gesundheitssysteme der Länder zu stützen, von denen viele schon Erfahrung haben im Umgang mit Epidemien, aber zu wenig Material. Noch lässt sich das Schlimmste verhindern. Ob der Wille dazu da ist, wird darüber entscheiden, wie Afrika künftig aussieht - und wie das moralische Gerüst des Westens.

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SZ vom 03.04.2020/saul/odg
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