Corona-Bekämpfung durch Bund und Länder:Machtfrage oder Sachfrage

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Sollte der Bund eine größere Kontrolle im Kampf gegen das Coronavirus übernehmen - und geht das überhaupt? (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Der Kanzlerin zufolge könnte der Bund das vielstimmige Konzert der Ministerpräsidenten im Kampf gegen die Pandemie beenden und den Ton angeben. Aber wie genau soll das gehen?

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Entmachtung? Nein, der Begriff sei hier deplatziert, beschwichtigte Norbert Röttgen, der in der Unionsfraktion gerade als eine Art antiföderalistischer Revolutionsführer die Weichen für mehr Bundeskompetenzen in der Corona-Bekämpfung stellen will. Vor mehr als einem Jahr habe der Bundestag eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" festgestellt. Da müsse der Bund doch - wo es effizienter sei - bundeseinheitliche Maßnahmen treffen dürfen. "Das ist keine Machtfrage, das ist eine Sachfrage", sagte er im Deutschlandfunk.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hatte es am Abend zuvor im "Heute-Journal" noch netter formuliert. Wenn bereits die Ministerpräsidenten selbst die Uneinheitlichkeit beklagten, "dann können wir ihnen ein Stück weit helfen".

Nun nimmt also Gestalt an, was die Kanzlerin vor nicht einmal zwei Wochen angedeutet hatte. Der Bund könnte das vielstimmige Konzert der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten beenden und selbst den Ton angeben. Aber geht das überhaupt in einer Republik der Landesfürsten, deren föderaler Eifer zuletzt masochistische Züge angenommen hat? Was darf der Bund an sich ziehen, wo können ihn die Länder stoppen?

ExklusivÄnderung des Infektionsschutzgesetzes
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Der Bundesinnenminister begrüßt die Einigung von Bund und Ländern über eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Die Beteiligung des Parlaments sichere "sowohl die Legitimität als auch die Qualität der Beschlüsse".

Eine Möglichkeit ist die Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Naheliegend ist sie schon deshalb, weil in einer Demokratie "wesentliche" Fragen vom gewählten Parlament geregelt werden müssen. Und was wäre wesentlicher als massive Einschränkungen der Freiheit. Das ist der Weg, auf den sich nun Bund und Länder verständigt haben. Es solle bundeseinheitlich geregelt werden, "welche Beschränkungen zu ergreifen sind, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einem Landkreis über 100 liegt", teilte die Regierung mit. Vorgesehen seien etwa nächtliche Ausgangssperren sowie Kontaktbeschränkungen.

Die Länder könnten nerven - aber nicht stoppen

Der Maßnahmenkatalog, der im vergangenen Herbst ins Gesetz geschrieben worden war, könnte also präzisiert werden. Zwar steht vieles ja bereits in den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz. Der Vorteil einer gesetzlichen Regelung ist aber: Sie ist verbindlich und gerichtlich überprüfbar, ein MPK-Beschluss dagegen nicht, weil er sein Gesicht erst durch Landesverordnungen erhält - und dann mitunter nicht wiederzuerkennen ist.

Ob der Bundesrat der geplanten Änderung des Infektionsschutzgesetzes zustimmen muss, ist nicht so ganz klar. Schäuble geht von einem Einspruchsgesetz aus. Die Länder könnten den Bund dann via Bundesrat zwar nerven, aber nicht wirklich stoppen. Auch unter Verfassungsjuristen wird das vielfach so gesehen.

Allerdings wurde das Infektionsschutzgesetz beim Erlass im Jahr 2000 wie auch bei allen größeren Änderungen - zuletzt im November 2020 - als Zustimmungsgesetz behandelt. Der Unterschied spielt keine Rolle, solange Bund und Länder sich einig sind. Aber das kann sich rasch ändern, sobald es um die Details geht, wie etwa bei den nächtlichen Ausgangssperren - eine Maßnahme, deren Wirksamkeit umstritten ist. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat erst vor wenigen Tagen eine solche Ausgangssperre in der Region Hannover als unverhältnismäßig beanstandet.

Darf der Bund auch Regeln für die Schulen vorgeben - zum Beispiel Distanzunterricht ab einer bestimmten Sieben-Tage-Inzidenz? Röttgen wiegelte ab. "Schulen sind Kern der Hoheitsbefugnis der Länder, da würde ich aus meiner Sicht nicht rangehen." Womit er freilich nur umschrieben hat, was er für politisch klug, nicht, was er für rechtlich zwingend hält.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestag schrieb kürzlich in einer von Schäuble angeforderten Stellungnahme, der Schwerpunkt einer solchen Regelung liege nun mal auf dem Infektionsschutz. Es gehe ja nicht um Unterricht und Erziehungsprinzipien, sondern um die Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen zur Eindämmung der Pandemie. Also sei der Bund zuständig.

Das klingt durchaus plausibel. Aber weil das Unterrichten unter Corona-Bedingungen eben doch nahe am pädagogischen Herzen operiert, hätte man hier zumindest ein starkes Argument dafür, eine entsprechende Gesetzesänderung von der Zustimmung des Bundesrats abhängig zu machen.

Bundesrecht bricht Landesrecht

Die Länder bleiben also auf die eine oder andere Weise im Spiel. Das gilt auch, wenn der Bundestag - wenn er sich schon an die Reform des Infektionsschutzgesetzes macht - eine weitere Baustelle in Angriff nimmt: die Corona-Verordnungen. Denn so wichtig es ist, "wesentliche" Dinge per Gesetz zu regeln, so entscheidend sind in einer dynamischen Situation Flexibilität und Geschwindigkeit. Eine Verordnung, zu erlassen von einer Regierung oder einem einzelnen Ministerium, ist der schnelle und schlanke Weg, um auf steigende Inzidenzen oder neue Mutanten zu reagieren.

Bisher hat der Bund das Verordnungsrecht auf die Länder delegiert, aber er könnte es mit wenigen Worten an sich ziehen - minimalinvasiv, wie Röttgen sagte. Nach seiner Vorstellung stünden dann beide im Gesetz, Bund und Länder. Aber natürlich gilt auch hier: Ober sticht Unter. Dekretiert der Bund per Verordnung Ausgangssperren oder Schulschließungen, hätten die Länder hier nichts mehr zu regeln. Bundesrecht bricht Landesrecht.

Aber auch hier hat der Föderalismus längst seine Tentakel ausgestreckt. Klar, der Bundesgesundheitsminister könnte - sobald die Befugnis im Gesetz steht - eigene Corona-Verordnungen erlassen. Die wären verbindlich von Kiel bis Konstanz und auch in den bayerischen Hochinzidenzgebieten an der tschechischen Grenze. Weil aber solche Verordnungen von den Landesverwaltungen umgesetzt werden müssten, bedürfen sie der Zustimmung des Bundesrats. Man wird also weiterhin mit den Ministerpräsidenten reden müssen.

Wenn aber die Länder ohnehin im Spiel bleiben, bringt die Machtübernahme durch den Bund dann überhaupt etwas? Wenn bei der Pandemiebekämpfung künftig der Bund den Hut aufhat, wären immerhin die Verantwortlichkeiten klarer verteilt. Das bisherige Verfahren sei eine "willkommene Verantwortungsdiffusion", schrieb kürzlich der Berliner Staatsrechtsprofessor Christoph Möllers in der FAZ. "Der Bund konnte drängen, sich aber, wenn es nicht klappte, von den zögerlichen Ländern distanzieren." Wenn dagegen Bundestag und Bundesregierung entscheiden, dann stehen die Länder in der zweiten Reihe, Mitwirkung hin oder her. In einer "epidemischen Lage von nationaler Tragweite", die rasches und entschiedenes Handeln erfordert, empfinden dies inzwischen auch eingefleischte Föderalisten als Vorteil.

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