Corona-Pandemie:Die Mutante könnte Lockerungen im Wege stehen

Coronavirus - Pressekonferenz zur Corona-Pandemie

Jens Spahn (re., CDU), Bundesminister für Gesundheit, und Lothar H. Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), im Gespräch nach einer Pressekonferenz zur aktuellen Lage in der Corona-Pandemie.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Schon fast sechs Prozent der Ansteckungen gehen auf die in Großbritannien entdeckte Virus-Variante zurück. RKI-Chef Wieler rechnet mit einer weiteren Ausbreitung. Die Infektionszahlen würden dann sehr schnell wieder steigen.

Von Nico Fried, Berlin, Christina Berndt, Christian Endt und Sören Müller-Hansen

Die Bundesregierung hat trotz positiver Trends bei den Infektionszahlen die Hoffnung auf baldige Lockerungen des öffentlichen Lebens gedämpft. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mahnte mit Blick auf mehrere Virusmutanten, die inzwischen auch in Deutschland aufgetreten seien, man dürfe "das mühsam Erreichte nicht leichtfertig verspielen".

Wenn man diesen Mutanten, die in der Regel höhere Ansteckungsgrade aufweisen, den Weg zur Ausbreitung überlasse, riskiere man einen neuen Anstieg der Infektionszahlen, sagte der Minister. Man habe in anderen europäischen Ländern gesehen, wie schnell es gehen könne, dass die Zahlen von einem niedrigen Niveau "wieder nach oben schnellen". Als Beispiel nannte Spahn Portugal.

Bundeskanzlerin Angel Merkel wird am kommenden Mittwoch mit den Ministerpräsidenten der Länder über die Pandemie-Politik beraten. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) äußerten sich skeptisch, was erste Lockerungen angeht, in anderen Ländern wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen gibt es aber Bestrebungen, zumindest Perspektivpläne aufzuzeigen, wie eine Aufhebung der Beschränkungen ablaufen könne.

Für den Donnerstag kündigte Regierungssprecher Steffen Seibert eine Regierungserklärung der Kanzlerin an. Merkel hatte bereits am Donnerstagabend ebenfalls zurückhaltend auf die Frage nach möglichen Lockerungen geantwortet. Zu konkreten Entscheidungen könne sie noch nichts sagen, sagte Merkel in einem Fernsehinterview. Sie müsse erst sehen, "wie weit das britische Virus schon vorgedrungen" sei.

1800 Fälle der Mutante in Deutschland nachgewiesen

Diese Mutante bereitet den Experten die größten Sorgen. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, sagte, diese Variante mit dem Namen B.1.1.7 sei ansteckender als bisherige Formen des Virus und es gebe erste Hinweise, dass sie auch zu schwereren Covid-19-Erkrankungen führe. Derzeit seien 5,8 Prozent der Corona-Infektionen in Deutschland auf diese Variante zurückzuführen. Insgesamt würden diese und andere Mutanten in Deutschland vermehrt nachgewiesen. Sie seien aber noch nicht dominant.

Wie in anderen europäischen Ländern sei aber damit zu rechnen, dass sie sich weiter ausbreiten und die Pandemie-Bekämpfung erschwerten. "Das Virus ist noch nicht müde. Im Gegenteil: Es hat gerade noch einmal einen Boost bekommen", sagte Wieler.

Laut Robert-Koch-Institut gibt es derzeit 1800 Nachweise von B.1.1.7. Gefunden wurde die Mutante in 13 Bundesländern, allen außer Bremen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Die Auswertung des RKI umfasst den gesamten Monat Januar, inzwischen könnte die Variante bereits weiter verbreitet sein. "Es ist mit einer weiteren Erhöhung des Anteils der Virusvariante B.1.1.7 zu rechnen", schreibt das RKI. Zur Verbreitung der Varianten B.1.351 aus Südafrika und P.1 aus Brasilien enthält der Bericht keine belastbaren Daten.

"Die Verdrängung der anderen Varianten durch B.1.1.7 deckt sich mit den Erwartungen basierend auf der Ausbreitung in England und anderswo", sagt Sebastian Funk, Epidemiologe an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Im Vergleich zum herkömmlichen Sars-CoV-2 ist die Variante um etwa 30 bis 50 Prozent ansteckender, hat also eine höhere Reproduktionszahl. In vielen europäischen Ländern liegt der R-Wert knapp unter eins, die Fallzahlen gehen also insgesamt zurück. Doch B.1.1.7 vermehrt sich währenddessen verstärkt, gewinnt also Anteil.

Wahrscheinlich führt die Variante auch häufiger zum Tod

Wenn Lothar Wieler also sagt, die Mutante dominiere das Geschehen in Deutschland noch nicht, so liegt die Betonung auf noch. Während die Kurve der Fallzahlen weiterhin sinkt, breitet sich die Variante zunächst im Verborgenen aus. Sobald sie die Überhand erlangt, könnte auch die Gesamtzahl der Fälle wieder zunehmen. Bei einer um 40 Prozent ansteckenderen Variante würde sich die Entwicklung im März allmählich wandeln, B.1.1.7 würde die Oberhand gewinnen, die Fallzahlen würden wieder steigen - obwohl sich die Maßnahmen nicht verändert haben.

Die Daten zur Gefährlichkeit von B.1.1.7 sind jedoch mit einer Unsicherheit behaftet, weshalb dieses Szenario lediglich eine Möglichkeit darstellt. Nimmt man etwa eine nur um 30 Prozent erhöhte Ansteckungswahrscheinlichkeit an, so würden die Fallzahlen bei gleichbleibenden Maßnahmen erst im April wieder merklich ansteigen.

Als wahrscheinlich gilt, dass die Variante nicht nur ansteckender ist, sondern auch häufiger zum Tod führt, und zwar den vorläufigen Daten zufolge ebenfalls um 30 bis 50 Prozent. Hier ist die Unsicherheit allerdings noch groß.

Die Inzidenz liegt erstmals seit Oktober wieder unter 80

Laut Spahn gab es am Ende dieser Woche erstmals seit drei Monaten in Deutschland weniger als 200 000 aktiv Infizierte. Auch die Inzidenz, also die Zahl der Infektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen liege erstmals seit dem 24. Oktober 2020 wieder unter 80. Ziel der Bundesregierung ist eine Inzidenz von 50.

Dem liegt die Annahme zugrunde, dass dann wieder eine effektive Nachverfolgung der Kontakte von Infizierten möglich ist, um Ansteckungsketten zu unterbrechen. Knapp drei Millionen Menschen hätten zudem inzwischen in Deutschland die erste Impfung erhalten, rund 800 000 auch die zweite. Im europäischen Vergleich sei dies "eine hohe Quote", sagte der Minister.

Spahn äußerte Verständnis für die Ungeduld der Menschen nach fast zwei Monaten harter Einschränkungen in Deutschland. "Auch ich bin diese Pandemie leid." Noch allerdings seien einige harte Wochen zu erwarten. Klar sei aber auch: "Wir sind auf dem Weg raus aus der Pandemie."

Spahn wie auch Familienministerin Franziska Giffey (SPD) sprachen sich dafür aus, im Falle von Lockerungen als Erstes die Kitas und Schulen schrittweise zu öffnen. Das hatte auch die Kanzlerin am Vortag in einer Videokonferenz mit Müttern und Vätern zugesagt. Zugleich hatte sie gemahnt, im Zweifel "lieber drei Tage länger" zu warten, um die Schulen nicht nach kurzer Zeit doch wieder schließen zu müssen.

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