Corona und Unterricht:Ja, nein, vielleicht

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Im Januar wird es nur wenig Präsenzunterricht in Deutschland geben. Der Speisesaal der Oberschule Ratzelstraße in Leipzig wird auch leer bleiben. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Im Januar gibt es in Deutschland nur Fernunterricht. In ganz Deutschland? Nein, jedes Land entscheidet ja allein. Ein Versuch, den Überblick zu gewinnen über Termine, verschobene Ferien, verlegte Prüfungen und abgestürzte Lernplattformen.

Von Thomas Balbierer, Nico Fried, Susanne Klein, Robert Probst und Mike Szymanski, München/Berlin

Am Mittwoch stand Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) im Studio des ARD-Morgenmagazins und betonte, dass eine baldige Rückkehr der Berliner Schulen zum Präsenzunterricht sehr unwahrscheinlich sei. "Unsere Zahlen geben das noch nicht her", sagte Müller in dem Interview. Danach gefragt, ob es sinnvoll sei, schon jetzt eine Öffnung von Schulen zum 18. Januar anzupeilen, wie es zum Beispiel Baden-Württemberg tut, sagte Müller: "Nein, ich sehe das kritisch." Am Nachmittag veröffentlichte die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie dann eine Pressemitteilung, die aber genau das ankündigte: Eine Rückkehr zum Präsenzunterricht.

Von Montag an sollen "abschlussrelevante Jahrgänge" in geteilten Klassen wieder vor Ort unterrichtet werden. An den Gemeinschaftsschulen betrifft das beispielsweise die Klassen 9, 10, 12 und 13, an Gymnasien Schüler der 10., 11. und 12. Klassen. Am 18. Januar sollen dann auch die Jüngsten in die Schulen zurückkehren. In halber Klassenstärke werde in den Grundschulklassen 1 bis 3 "ein Mindestpräsenzunterricht von drei Stunden täglich" stattfinden, heißt es in der Pressemitteilung von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Eine Woche später sollen die Jahrgänge 4, 5 und 6 folgen.

Kurz darauf teilte Müller die neuen Regeln auf seinem Twitter-Account - als hätte es das Interview wenige Stunden zuvor nie gegeben. Als "überstürzt und widersprüchlich" kritisierte der Berliner CDU-Chef Kai Wegner den Beschluss. Es sei "nicht erkennbar, dass das Land ausreichend Vorsorge für einen sicheren Schulstart getroffen hätte". Müller hingegen verteidigte die Entscheidung am Donnerstag als "mustergültig".

Am Ende der Weihnachtsferien herrscht also mal wieder Verwirrung in der deutschen Bildungspolitik. Schulen auf, Schulen zu - oder irgendwas dazwischen? Für Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrer und Lehrerinnen setzt sich die Geduldsprobe aus dem letzten Jahr fort. Am Montag hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) zwar einen Beschluss vorgestellt, der den Start in das neue Unterrichtsjahr ebnen soll. Doch der Spielraum ist groß.

Beschluss der Kultusminister

Die Runde der 16 Kultusministerinnen und -minister blieb mit ihrem Beschluss sehr allgemein. Da die KMK einen gemeinsamen Nenner finden muss, ist dieser meist so klein, dass er den einzelnen Ländern bei der Auslegung viele Möglichkeiten lässt. Dementsprechend betonen die Minister in ihrem "Beschluss zur Wiederaufnahme des Schulbetriebs" zuerst, "dass die Öffnung von Schulen höchste Bedeutung hat". Längere Phasen von Distanzunterricht könnten den Bildungsbiografien und der sozialen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen schaden, daher müsse der Präsenzunterricht möglichst schnell wieder starten.

Um einen Tribut an das Infektionsgeschehen kommt die KMK aber nicht herum. Wegen der hohen Inzidenzwerte und der unsicheren Datenlage infolge der Feiertage beschließen die Schulminister, dass "u. U. die im Dezember beschlossenen Maßnahmen in Deutschland oder in einzelnen Ländern fortgeführt werden müssen". In diesem Zugeständnis an den Infektionsschutz ist das "u. U." die Hintertür. Unter welchen Umständen die Schulen geschlossen bleiben müssen, bleibt völlig undefiniert.

Stattdessen legt die KMK einen dreistufigen Plan für die Rückkehr in den Präsenzunterricht vor. Zuerst sollen nur die Jahrgänge 1 bis 6 in die Klassenzimmer dürfen, die Älteren bleiben zu Hause. Auf Stufe 2 werden die höheren Jahrgänge dann geteilt, um abwechselnd zu Hause und in der Schule zu lernen. Stufe 3 sieht den Präsenzunterricht für alle vor. Schüler und Schülerinnen, die vor Abschlussprüfungen stehen, sind von dem Plan ausgenommen, für sie ist jederzeit Präsenzunterricht möglich.

Wann die Länder welche Stufe auslösen, lässt die KMK ebenso offen wie die Umstände längerer Schulschließungen. Keine Stufe ist an Inzidenzwerte oder sonstige Kriterien geknüpft. Klare Perspektiven für das laufende Schuljahr lassen sich aus dem Beschluss der Runde deshalb nicht ableiten. Die Bundespolitik kann zwar Wünsche formulieren, wie etwa Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), die eine möglichst schnelle Rückkehr zum Schul- und Kitabetrieb fordert, um die Familien nicht zu lange zu belasten. Oder sie kann wie Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) die KMK-Beschlüsse richtig finden. Die Entscheidung fällt so oder so in den einzelnen Ländern.

Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung, und Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, kommentieren das Geschehen von der Seitenlinie - die Länder entscheiden. (Foto: Christian Spicker/imago images)

Beschluss der Ministerpräsidenten

In der Sitzung mit den Ministerpräsidenten am Dienstag setzte sich Kanzlerin Angela Merkel dafür ein, den Beschluss über Schulschließungen aus dem Dezember bis zum 31. Januar fortzuschreiben und noch strikter zu beachten. Es waren dann zunächst Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD), der in Wechselunterricht zumindest für die Grundschulen kein Problem erkennen konnte, und die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), die sich für einen Kompromiss einsetzten, der auch Schulöffnungen ermöglichen würde. Schwesig verwies nach Teilnehmerangaben als Beispiel auf die Stadt Rostock, wo bei einer Inzidenz von 30 Fällen in sieben Tagen unter 100 000 Einwohnern eine andauernde Schließung der Schulen nicht zu erklären sei. Darauf antwortete die Kanzlerin, wer unter einer Inzidenz von 50 sei, "ist eh in einer anderen Welt".

Während Weil die Kompromissfindung mit den Worten erleichtern wollte, man müsse sich doch nur noch über diesen einen Punkt einigen, "der uns zu einem vernünftigen Gesamtergebnis bringt", wollte Merkel noch nicht aufgeben. Man müsse im Januar endlich die Infektionszahlen wirklich deutlich nach unten drücken. "Es geht um 15 Tage, von denen wir sagen können, wir haben wenigstens eine Chance, wir kriegen das hin." Wenn Deutschland inkonsequent handle, "sind wir gleich wieder im nächsten Lockdown". Sie brauche, so Merkel, einen Beschluss, "um nachher in der Pressekonferenz wieder einmal lächelnd sagen zu können, ich glaube ganz fest, dass wir bis Ende Januar unter einer Inzidenz von 50 sind".

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) unterstützte die Kanzlerin mit dem Hinweis, man wisse noch nicht, wie sich das mutierte Virus auf die Ansteckungen auswirken werde. Gleiches gelte für die Reiserückkehrer nach den Weihnachtsferien. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann verwies darauf, dass schon unter den geltenden Regelungen nicht alle Länder die Schulen wirklich geschlossen hätten. Nach weiteren Diskussionen unternahm dann Weil einen weiteren Versuch, die Wogen zu glätten: "Wir haben dasselbe Problembewusstsein und dasselbe Ziel", so der Niedersachse.

Im Ergebnis wurde zwar die Formulierung vom 13. Dezember bestätigt. Sie lautet, dass die Schulen "grundsätzlich geschlossen" bleiben oder die Präsenzpflicht ausgesetzt werden soll. Deshalb musste Merkel auch ihre zwischenzeitlich geäußerte Drohung nicht wahr machen, eine Protokollerklärung abzugeben, in der sie sich von dem Beschluss abgesetzt hätte. In dem Wort "grundsätzlich" erkennen manche Ministerpräsidenten aber offenkundig auch die Möglichkeit, von der Regel abzuweichen, ohne gegen den Beschluss zu verstoßen. Der Beschluss gebe Abweichungen her, heißt es zum Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern.

Präsenzunterricht

In Berlin soll es am kommenden Montag also zunächst mit den oberen Jahrgängen wieder losgehen, bevor ab 18. Januar die Grundschüler in zwei Schritten zurück ins Klassenzimmer kommen. Auch in Baden-Württemberg könnte der Präsenzunterricht in Grundschulen am 18. Januar wieder aufgenommen werden - vorausgesetzt die Infektionszahlen lassen diesen Schritt zu. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) will bis nächste Woche abwarten, wie sich die Zahlen entwickeln. Falls die Inzidenz "deutlich nach unten" gehe, wie es im Staatsministerium heißt, könnte das Kabinett voraussichtlich am Dienstag eine Öffnung von Grundschulen und Kitas beschließen. Eine Präsenzpflicht gäbe es in dem aber Fall nicht.

Auch Niedersachsen hat bereits angekündigt, Grund- und Förderschüler nach einer Woche Distanzunterricht ab Mitte des Monats im Wechselmodell wieder an den Schulbänken Platz nehmen zu lassen. Dagegen teilte Brandenburg am Donnerstag mit, den Präsenzunterricht bis zum 22. Januar auszusetzen.

Einen noch strengeren Kurs verfolgt Nordrhein-Westfalen. Dort setzt Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) im Januar grundsätzlich auf Distanzunterricht. Die Schulen bleiben zu. Anders als in vielen anderen Bundesländern soll es nicht einmal für Abschlussjahrgänge Ausnahmen geben. "Ich weiß, dass das für die Jugendlichen und Kinder ganz, ganz schlimm ist und auch für die Eltern, die jetzt wieder vor großen Herausforderungen stehen", sagte Gebauer im WDR. "Aber die aktuelle Situation mit den unsicheren Daten und dem mutierten Virus ließ uns keine andere Entscheidung übrig." Prüfungen will das Ministerium im Januar nur im Einzelfall und unter Einhaltung der Corona-Regeln zulassen.

In Bayern bleiben die Schulen bis Ende Januar ebenfalls geschlossen. Es wird verpflichtend im Distanzunterricht gelernt. Zudem werden die Abschlussprüfungen aller Schularten verschoben, teilte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) am Donnerstag mit.

Andere Länder regeln den Start ins neue Schuljahr deutlich flexibler, zum Beispiel Hamburg. Auch dort ist die Präsenzpflicht zwar bis Ende Januar ausgesetzt. Dennoch kam nach Zahlen der Schulbehörde am ersten Schultag nach den Ferien jedes fünfte Schulkind zur Grundschule, wo es von Lehrern betreut wurde. Den Hamburger Weg beschrieb Schulsenator Ties Rabe (SPD) mit den Worten: "Distanzunterricht ist das Modell. Wir schicken aber kein Kind weg."

Lernplattformen

Das Chaos um die digitalen Lernplattformen der Länder reißt nicht ab. Schon am ersten Schultag in Berlin gab es Anfang der Woche neue Probleme mit "Lernraum Berlin". Die Plattform war für Lehrer und Schüler stundenlang nicht erreichbar, am nächsten Tag waren plötzlich Kurse von der Startseite verschwunden. "Ab und zu hakt es", teilte das zuständige Unternehmen auf Twitter mit. Auch das rheinland-pfälzische Programm "moodle@RLP" ging am ersten Tag nach den Ferien in die Knie, weil Server nicht erreichbar waren. Ein Sprecher des Bildungsministeriums nannte einen Hacker-Angriff als Ursache. Ähnliche Probleme gab es zuvor schon in zahlreichen Bundesländern.

In Bayern setzte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seinem viel kritisierten Kultusminister Michael Piazolo (FW) schon vor Weihnachten ein Ultimatum. Mit Blick auf das absturzgefährdete Programm "Mebis" forderte er, dass der Distanzunterricht nach den Ferien problemfrei laufen müsse. Am Donnerstag erklärte Piazolo: "Mebis ist weiß Gott nicht das Wichtigste." Es müsse ein großer Fundus an Lerninstrumenten genutzt werden, vom Schulbuch, über das Telefon bis zu Messengerdiensten und Videoangeboten wie Microsoft Teams. Viele Schulen und Kommunen hätten bereits eigene Möglichkeiten und Konzepte geschaffen, bis hin zu Cloud-Lösungen. "Es gibt niemals nur einen Weg, um ein Lernziel zu erreichen", sagte Piazolo.

Ferien

Die Weihnachtsferien waren noch nicht in allen Bundesländern zu Ende, da sprach man in Thüringen und Sachsen schon über die nächste Schulpause. Die Regierung von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) zog die Winterferien von Februar auf die letzte Januarwoche vor. Statt wie geplant am 8. Februar sollen sie bereits am 25. Januar beginnen. Das Land versucht so, den verlängerten Lockdown zu überbrücken und das Fehlen von Präsenzunterricht zu verkürzen. In Bayern werden die Faschingsferien (15. bis 19. Februar) ausfallen, stattdessen soll es möglichst Präsenzunterricht geben.

Sachsen verlegte eine Winterferienwoche auf Anfang Februar, um Schülern, Eltern und Lehrern eine "Verschnaufpause" von der häuslichen Lernzeit zu verschaffen, wie Kultusminister Christian Piwarz (CDU) erklärte. Die zweite Ferienwoche solle dann in der Karwoche vor Ostern nachgeholt werden. Vielleicht wird die Verschnaufpause aber vor allem nötig sein, um sich von den Wirren des noch jungen Jahres zu erholen.

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