Corona-Schnelltests:Betrug, leicht gemacht

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Schnelltest mit negativem Ergebnis in einer Corona-Teststation. (Foto: Karsten Schmalz /Imago)

Haben Corona-Testzentren den Staat mit dreisten Zahlentricks bestohlen? Das fragen nun auch Staatsanwälte. Und in Berlin entbrennt ein Streit, in dessen Zentrum Jens Spahn steht.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Recherchen zu möglichen Betrügereien mit Corona-Schnelltests ziehen zunehmend Kreise. Am Freitag nahm die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Bochum Ermittlungen in der Sache auf. Ermittelt werde gegen zwei Verantwortliche eines in Bochum ansässigen Unternehmens, das an mehreren Standorten Teststellen betreibe, bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Geschäftsräume und Privatwohnungen seien durchsucht worden. Auch in Bayern laufen Ermittlungen wegen Betrugsverdachts: Es sei ein Fall bekannt, in dem Behörden ermittelten, hieß es aus dem Gesundheitsministerium in München. In Berlin flammt unterdessen die Debatte auf, wer welche Fehler im System hätte verhindern können.

Dahinter stehen Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung. Den Ergebnissen zufolge hatten Testzentren in Nordrhein-Westfalen mutmaßlich deutlich mehr Tests gemeldet, als tatsächlich dort durchgeführt worden waren. Teststellen können pro Bürgertest 18 Euro abrechnen, davon zwölf Euro für die Dienstleistung, den Rest für das Testmaterial. Betrüger könnten sich also rasch bereichern, wenn sie Testungen vorspiegeln, die nie stattfanden. Nachvollziehen lässt sich das schwer, zumal die Daten getesteter Personen nicht erfasst werden dürfen.

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Die Zahl der Corona-Testzentren ist in den letzten Monaten vielerorts enorm gestiegen. Das mag auch daran liegen, dass der Staat für jeden Test 18 Euro zahlt - ohne nach Belegen für die Leistungen zu fragen.

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Das muss Konsequenzen haben, findet der Deutsche Städtetag. Zwar leisteten Teststellen gute und wichtige Arbeit, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy, den Betrugsvorwürfen aber müsse man nachgehen. "Es muss rasch geklärt werden, wie Kontrollen verstärkt und ob Abrechnungsverfahren verändert werden müssen."

Dazu sollten sich Bund und Länder mit den kassenärztlichen Vereinigungen darüber verständigen, "in welcher Form die Abrechnungen geprüft werden können". Die kassenärztlichen Vereinigungen vergüten die Zentren für die Tests, aber ohne weitere Kontrolle. Das sei nicht vorgesehen, heißt es bei der Vereinigung Niedersachsen. "Wenn der Gesetzgeber gewollt hätte, dass eine Behörde das überprüft, hätte er das in die Testverordnung aufgenommen", sagte ein Sprecher.

Betrügereien zu beweisen, dürfte schwer werden

Kritisiert wurde deshalb am Wochenende auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) - selbst vom eigenen Koalitionspartner. Nach der Affäre um Betrügereien bei der Beschaffung von Masken kämpfe das Ministerium nun mit Problemen bei den Schnelltests, sagte der erste parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, der Deutschen Presse-Agentur. "Das Managementversagen im Gesundheitsministerium hat inakzeptable Ausmaße angenommen."

Spahn habe Warnungen und Hinweise von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen für die Testbedingungen ignoriert. "Er trägt die Verantwortung für den verantwortungsvollen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler und muss die Selbstbedienung unverzüglich beenden." FDP-Fraktionsvize Michael Theurer verlangte die Einsetzung eines Sonderermittlers, um den mutmaßlichen Abrechnungsbetrug aufzuklären, die Grünen verlangen, die Testverordnung nachzubessern.

Spahn selbst kehrte erst am Sonntag von einer Reise nach Südafrika zurück, bei der es auch um deutsche Hilfe bei der Impfstoffproduktion gegangen war. Zu Wort gemeldet hatte er sich schon von dort: "Jeder, der die Pandemie nutzt, um sich kriminell zu bereichern, sollte sich schämen", schrieb er per Twitter.

Spahn stellt nun schärfere Kontrollen in Aussicht, auch nachträgliche. Anbieter müssten damit rechnen, dass ihre Unterlagen noch bis 2024 überprüft werden können. Zudem sollen künftig Testzentren weniger abrechnen können, weil die Marktpreise gesunken seien, sagte er am Sonntagabend im Fernsehsender ARD. Auch die Dienstleistung für die Abnahme eines Tests solle von zwölf beziehungsweise 15 Euro auf unter zehn Euro sinken. Ein Sprecher seines Hauses kündigte an, dass Spahn an diesem Montag mit den Gesundheitsministern der Ländern über den Betrugsverdacht beraten werde.

Die Testverordnung war im März in Windeseile erlassen worden - massenhaftes Testen stand zu dem Zeitpunkt im Zentrum der Öffnungsstrategie der Bundesregierung. Auf diese Eile verweist nun auch Spahn. Das Ziel sei eine pragmatische Lösung gewesen: "In der Pandemie muss es manchmal schnell gehen." Die Verordnung sieht vor, dass alle "der Rechnungslegung zugrunde liegenden Unterlagen" bis Ende 2024 "unverändert" gespeichert und aufbewahrt werden müssen. In der Praxis dürfte es aber schwer werden, Millionen Nachweise vermeintlicher oder tatsächlicher Tests zu überprüfen. Letztlich wird es wohl nur Stichproben geben. Die will auch Spahn.

Unterdessen warnte die Deutsche Stiftung Patientenschutz obendrein vor mangelhafter Sorgfalt in manchen Teststellen. "Wo solche Strukturen herrschen", sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch, "ist in der Regel auch die Qualität der Tests schlecht."

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