Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Der Liebling der Spanier

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Fernando Simón war nicht ganz unschuldig an seinem katastrophalen Ruf. Doch mittlerweile schaut die Öffentlichkeit milder auf den Seuchenmanager.

Von Sebastian Schoepp

Seit vielen Wochen ist er im spanischen Fernsehen das Gesicht der Krise. Solange er dabei der Überbringer schlechter und immer schlechter werdender Nachrichten war, wurde er von vielen gehasst, weil es ja immer den Boten trifft, auch wenn er gar nichts dafür kann. Doch ganz unschuldig war Fernando Simón nicht an seinem anfangs katastrophalen Ruf als Krisenmanager. Als Direktor des Koordinationszentrums für medizinische Notfälle beim Gesundheitsministerium in Madrid gehörte Simón zunächst zu den Corona-Abwieglern. Legendär ist seine totale Fehleinschätzung der Bedrohung im Februar, als er sagte, das Ansteckungsniveau in Spanien sei gering, man müsse sich - nach aktuellem Stand - nicht allzu sehr aufregen.

Diese Aussage ist ihm tonnenschwer auf die Füße gefallen, denn heute ist Spanien das Land mit den meisten Corona-Fällen Europas. Doch Fernando Simón fand nichts dabei, später angesichts der Eskalation seine Haltung der Realität anzupassen, ganz gemäß der Devise, dass Wissenschaft ja ein Prozess ständig wachsender Erkenntnis ist und die Möglichkeit zum Irrtum beinhaltet. Man kann auch sagen: Er hat keine Scheu, Fehler zuzugeben; kürzlich räumte Simón ein, dass das Virus möglicherweise bereits seit Herbst in Europa zirkuliere.

Vielleicht lag das auch am Boris-Johnson-Moment, den Simón erleben musste. Ende März wurde er positiv auf Covid-19 getestet, er überstand die Krankheit mit relativ leichten Symptomen. Nun ist er wieder da, als eine Art spanischer Dr. Drosten erstattet er fast täglich Bericht, und seit der schmächtige 57-Jährige positivere Nachrichten zu verkünden hat, ist auch der Umgang der Öffentlichkeit mit dem Seuchenmanager milder, ja liebevoller geworden.

In den ersten Wochen wurde noch wie wild sein Rücktritt verlangt, doch die Links-links-Regierung unter Pedro Sánchez hielt an dem renommierten Epidemiologen fest, der sich große Verdienste im Kampf gegen Zika und Ebola erworben hatte. Simón arbeitete früher am Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten und war neun Jahre als Arzt in Afrika, unter anderem in Burundi und Mosambik, danach in Ecuador und Guatemala. Zu Beginn der Nullerjahre kehrte er mit seiner Frau María, mit der er drei Kinder hat, nach Spanien zurück, aus einem sehr spanischen Grund: "damit die Kinder ihre Großeltern öfter sehen". Und nun war es ausgerechnet Simón, der seinen Landsleuten genau diesen engen familiären Kontakt untersagen musste, der die spanische Gesellschaft auszeichnet und leider mit ein Grund für die schnelle Ausbreitung der Seuche gewesen sein mag. Darunter hat er sichtlich gelitten.

Simón gilt als buena gente, als netter Kerl, und so kommt er im Fernsehen auch rüber. Stets leger, bei kühleren Temperaturen im Pulli, jetzt, das es wärmer wird, im kurzärmeligen Leinenhemd, was Twitterer zu den Kommentaren inspirierte, wenn Fernando Simón kurze Ärmel trage, müsse man wohl den Kleiderschrank umräumen. Eine ironische Anspielung auf die absolute Autorität des Seuchenwächters über den Alltag in Corona-Zeiten.

Eine Friseurkette warb mit Bildern seiner ungebändigten grauen Mähne und zeigte per Montage, wie viel telegener Simón aussehen könnte, wenn man nur die Friseure arbeiten ließe. Es gibt einen Popsong, in dem der Twitter-Star Christian Flores singt, er würde sich so gerne "zwischen deine buschigen Augenbrauen kuscheln und dir einen Kuss geben, aber natürlich werde ich das nicht wirklich tun, weil ich deine Ratschläge ernst nehme". Das tun die allermeisten Spanier, die die drakonische Ausgangssperre, für die Simón steht, diszipliniert ertragen haben. Jetzt, da es langsam besser wird, habe das Land zwar noch immer "allen Grund, traurig zu sein", hat Simón in seiner leisen Nachdenklichkeit gesagt, aber die Zahlen dürfen "uns schon auch wieder glücklich machen".

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SZ vom 12.05.2020
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