Lockerungsübungen:Hurra, die Schule beginnt

Coronavirus - Comenius-Grundschule Oranienburg

"Sieg für die Bildung"? In zahlreichen Bundesländern soll nach und nach wieder der Präsenzunterricht beginnen.

(Foto: Sören Stache/dpa)

Ausgerechnet Sachsen, lange das Bundesland mit den höchsten Infektionszahlen, lässt die Schüler schon kommende Woche wieder in die Klassenzimmer. Auch die meisten anderen Landesregierungen drängt es sehr - trotz der Angst vor Mutanten.

Von Paul Munzinger

Neigte man zum Zynismus, könnte man nach dem jüngsten Bund-Länder-Gipfel am Mittwoch sagen: Die Lernkurve der Bildungspolitik zeigt endlich einmal nach oben. Bei ihrem Treffen am 19. Januar hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten sich ja noch mühsam auf eine gemeinsame, gar "restriktive" Linie bei Kitas und Schulen verständigt, an die sich viele Länder aber keineswegs gebunden fühlten. Das machte keinen guten Eindruck. Das inoffizielle Motto dieses Mal lautete deshalb: Bevor wir wieder dabei erwischt werden, wie wir unseren eigenen Beschluss unterlaufen, lassen wir es lieber gleich.

Der bundesweite Lockdown, das war die wichtigste Nachricht am Mittwochabend, geht weiter bis zum 7. März, doch zwei Bereiche sind davon ausgenommen: die Haare der Menschen und die Bildung der Kinder. Und wann, wie und nach welchen Kriterien die Länder Schulen und Kitas öffnen, ist endgültig ihnen allein überlassen. Die meisten Landesregierungen wollen schon im Februar die ersten Schritte in Richtung Präsenz gehen. Ist das nun ein "Sieg für die Bildung", wie Schleswig-Holsteins Kultusministerin Karin Prien (CDU) jubilierte? Oder doch eher ein "Eigentor", eine Kapitulation des Bundes vor den Ländern, wie Marlis Tepe schimpfte, die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW?

Ein Sieg des Föderalismus ist es auf jeden Fall. Auch sie habe akzeptiert, sagte Merkel am Donnerstag im Bundestag, "dass es eine eigene Kultushoheit der Länder gibt". Am Abend zuvor, nach den Gesprächen mit den Ministerpräsidenten, hatte sie sich sogar an einer Art Liebeserklärung versucht, der Föderalismus sei "die bessere Ordnung", davon sei sie "zutiefst überzeugt". Doch bei aller Liebe machte Merkel kein Geheimnis daraus, dass sie mit Schulen und Kitas gerne noch bis März gewartet hätte - ebenso übrigens wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Sie hätte sich gewünscht, das sagte Merkel wiederum am Mittwoch, dass auch bei Schulen und Kitas "entlang der Inzidenzen" entschieden würde.

Bremen hat das, was viele nun ankündigen, längst gemacht und die Grundschulen geöffnet

Doch eine über Ländergrenzen hinweg verbindliche Sammlung von Schwellenwerten für Schulen und Kitas - wann wird geöffnet, wann wird geschlossen, wann kommt der Wechselunterricht? - gibt es weiterhin nicht. Mit etwas Wohlwollen lässt sich allenfalls "ein überbrückbarer Rahmen" erkennen (Merkel), in dem die Länder sich bewegen. Alle wollen, angesichts sinkender Infektionszahlen bei gleichzeitig drohender britischer Virusmutante, Kitas und Grundschulen langsam, aber hoffentlich sicher wieder öffnen. Die einen mit mehr, die anderen mit weniger Vorsicht.

Innerhalb dieses Rahmens bewegen sich die Länder seit Mittwoch ganz offiziell frei. Das heißt aber nicht, dass sie das nicht davor schon getan hätten. Bremen etwa ist den Schritt, zu dem viele andere Länder nun ansetzen, längst gegangen. Die Grundschulen der Hansestadt sind - ebenso wie Förderzentren, die Klassen 5 und 6 sowie Abschlussklassen - geöffnet. Es gibt Präsenzunterricht in kleinen Gruppen, die sich tageweise abwechseln. Eltern, denen dabei mulmig wird, müssen ihre Kinder aber nicht in die Schule schicken, die Präsenzpflicht ist ausgesetzt. Niedersachsen hält es ganz ähnlich, und wie in Bremen macht auch dort nur eine kleine Minderheit der Eltern vom Abwesenheitsrecht ihrer Kinder Gebrauch. Und wären in einer Kita in Freiburg Ende Januar keine mutierten Coronaviren aufgetaucht, wären wohl auch in Baden-Württemberg Kitas und Grundschulen schon wieder geöffnet.

Einen neuen Anlauf plant die Landesregierung in Stuttgart nun für den 22. Februar, wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Donnerstag mitteilte. In den Kitas soll es kleine Gruppen, in den Grundschulen halbierte Klassen geben, die sich nicht begegnen dürfen. Die Präsenzpflicht bleibt ausgesetzt. Kalendarisch gesehen lässt sich das vor zwei Wochen noch so forsche Baden-Württemberg damit in die Mitte des Pulks zurückfallen. Den 22. Februar peilen als Starttermin die meisten Länder an, unter ihnen Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und auch Bayern.

Für Lehrkräfte und Erzieher gibt es immerhin zwei Versprechen

Den neuen Ausreißer gibt nun Sachsen. Der Freistaat plant, seine Grundschulen und Kitas bereits am 15. Februar wieder zu öffnen, am kommenden Montag. Das verkündete die Regierung in Dresden bereits am Dienstag, vor dem Bund-Länder-Treffen. Ausgerechnet Sachsen, schließlich wies kein Bundesland noch vor ein paar Wochen so hohe Inzidenzzahlen auf. Andererseits hat Sachsen schon gewisse Erfahrung damit, bei der Wiedereröffnung von Bildungseinrichtungen voranzugehen. Als erstes Bundesland machte es im Mai 2020 Grundschulen und Kitas nach dem ersten Lockdown wieder auf. Und wie damals macht Sachsen nicht nur besonders früh, sondern auch besonders weit auf. Die Klassen sollen voneinander getrennt werden, bleiben aber vollzählig - vorausgesetzt, alle kommen; auch Sachsen hat die Präsenzpflicht ausgesetzt. Das heißt: Von kleineren Gruppen, wie in vielen anderen Ländern, ist in Sachsen nicht die Rede. Ob das noch in Merkels Rahmen passt?

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Flankiert werden die Öffnungsperspektiven in Grundschulen und Kitas mit zwei Versprechen an die Menschen, die dafür ihre Gesundheit einsetzen werden und das häufig mit sehr gemischten Gefühlen tun: Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher. Sie sollen zum einen (wie die Kinder auch) mehr Möglichkeiten bekommen, sich auf das Coronavirus testen zu lassen und auch selbst zu testen. Bislang, kritisiert etwa Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Philologenverbands, gebe es davon viel zu wenig. Vor allem aber sollen Lehrkräfte und Erzieherinnen früher geimpft werden.

Bislang gehören sie zur Gruppe 3 (erhöhte Priorität), gemeinsam etwa mit Menschen, die 60 und älter sind oder im Lebensmitteleinzelhandel arbeiten. Das soll sich ändern. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) prüft auf Wunsch von Bund und Ländern, ob nicht auch in Gruppe zwei noch Platz wäre. Dass das angesichts des knappen Impfstoffs eine durchaus heikle Bitte ist, war am Mittwoch Britta Ernst anzumerken, Brandenburgs Kultusministerin und derzeit Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Sie freue sich, wenn es Spielräume gebe, sagte sie im ZDF-Morgenmagazin, betonte aber, dass niemand deshalb beim Impfen zurückgestellt werden dürfe, der krank sei oder mit Kranken Kontakt habe. Doch selbst wenn Spahn Spielräume findet, könnte es Monate dauern, bis Erzieher und Grundschullehrkräfte geimpft sind.

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