Schule in der Pandemie:"Die Situation ist unerträglich"

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Geschlossene Schulen wollen die Schüler nicht mehr. (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Lernen ja, aber nicht so: Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland fordern in einem offenen Brief kostenlose Masken, Luftfilter und eine Reduktion des Prüfungsstoffs.

Von Lilith Volkert, München

Angesichts rasant steigender Infektionszahlen schlagen Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland Alarm. Die Bundesregierung müsse den Unterricht für sie sicherer machen, fordern sie an diesem Mittwoch in einem Protestbrief. "Die Situation an unseren Schulen ist nach zwei Jahren unerträglich geworden", heißt es in dem zweiseitigen Schreiben, das an Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien (CDU), adressiert ist. Fast 100 Schulsprecher und mehrere Landesschülervertreter haben den Brief unterzeichnet, in einer Petition werden weitere Unterschriften gesammelt.

In Frankreich und Österreich gehen Schülerinnen und Schüler schon seit einiger Zeit auf die Straße, weil sie sich in der Pandemie von der Politik im Stich gelassen fühlen: In Paris versuchten Gymnasiasten in der vergangenen Woche, Schulgebäude zu blockieren und lieferten sich Rangeleien mit der Polizei. In Wien streikten Abiturienten für gerechtere Prüfungsbedingungen.

Ärger und Sorgen sind auch bei Schülern in Deutschland groß, Protest war bisher aber kaum zu vernehmen. Die drängendste Frage - Präsenzunterricht, ja oder nein? - wird in der Öffentlichkeit vor allem von Eltern und Lehrkräften diskutiert. An diesem Mittwoch nun machten die Schüler selbst klar: Sie wollen in die Schule gehen, aber nicht unter diesen Bedingungen: "Wir haben unsere Belastungsgrenze erreicht."

Mit den Schülern reden, nicht über sie

Sie fordern bessere Schutzmaßnahmen an Schulen, kostenlose FFP2-Masken etwa und Luftfilter in allen Räumen - Letztere wurden längst in einer Leitlinie des Robert-Koch-Instituts empfohlen, aber nicht überall umgesetzt. Außerdem wollen sie, dass die Präsenzpflicht bundesweit ausgesetzt wird, Schnelltests durch PCR-Pooltests ersetzt werden und der Prüfungsstoff in den Abschlussjahrgängen reduziert wird. Die Diskussion über die psychische und körperliche Gesundheit solle "ehrlich und öffentlich" geführt werden. Und zwar mit den Schülern, nicht wie bisher über ihre Köpfe hinweg.

"Wir wollen lernen, aber Schulen sind aktuell keine sicheren Orte mehr dafür", sagt Anjo Genow, Berliner Schulsprecher und Mitglied des Landesschülerausschusses, der den Brief initiiert und mitverfasst hat. "Es muss jetzt schnell etwas passieren." Die Altersgruppe der Fünf- bis 14-Jährigen hat bundesweit den mit Abstand höchsten Inzidenzwert. In Berlin, Hamburg und München liegt er derzeit bei mehr als 4000.

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Die Politik ist fest entschlossen, die Schulen nicht wieder flächendeckend zu schließen und bekräftigt dies regelmäßig. Trotzdem wird darüber äußerst emotional diskutiert. Als Katharina Swinka, Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz, Ende Dezember im ZDF-"Morgenmagazin" sagte, Präsenzunterricht sei die bessere Option, wurde sie in sozialen Medien angefeindet - vor allem von Eltern, die anderer Meinung sind.

Digitalunterricht funktioniert immer noch nicht

Die Präsenzpflicht auszusetzen, wie es die Schüler fordern, ist eine Art Mittelweg, der die Entscheidung ins Private verlagert: Wem das Infektionsrisiko in der Schule zu hoch ist, der darf auch ohne Attest zu Hause bleiben. In Bundesländern, wo dies schon länger möglich ist, hat sich gezeigt, dass nur ein Bruchteil der Schülerschaft davon Gebrauch macht.

Vielleicht auch, weil Digitalunterricht noch immer keine gute Alternative ist. "An manchen Schulen funktioniert das zwar", sagt Laura Körner, Vorstandsmitglied der Landesschüler*innenvertretung Nordrhein-Westfalen. "Aber viele andere schaffen es noch nicht mal, Schüler in Quarantäne mit Unterrichtsmaterialien zu versorgen." Über Klassenkameraden, per Mail, auf einer Lernplattform - jede Lehrkraft mache das anders. Zwar gebe es in manchen Klassen so etwas wie Hybridunterricht, "aber dann spinnt wieder das Wlan". Körner hat kein Verständnis mehr für dieses Chaos.

Abschlussklassen stehen besonders unter Druck. "Dieser Jahrgang ist der bisher am stärksten betroffene", sagt Genow, der selbst im Frühjahr Abitur macht. "In den letzten zwei Jahren ist so viel Unterricht ausgefallen, und trotzdem werden die Anforderungen nicht heruntergeschraubt." Dass das Abitur der ersten beiden Corona-Jahrgänge im Durchschnitt sogar besser ausgefallen ist als zuvor, tröstet in dieser Stresssituation wenig.

Die Schüler denken über gemeinsame Proteste nach

Aus dem offenen Brief spricht auch Frust über eine Politik, "die uns alle im Stich lässt". Viele Schüler haben psychische Probleme bekommen, sagt Laura Körner. "Es kann nicht sein, dass die Politik das einfach ignoriert." Zwischen den Wellen fehlte außerdem die Bereitschaft der Verantwortlichen, die Probleme von Schulen und Schülern anzugehen, kritisiert Anjo Genow.

Im Gegensatz zu den Schülern in Österreich verzichten die Verfasser des Briefs auf ein Ultimatum oder eine Streikdrohnung. Es wird aber über gemeinsame Proteste nachgedacht, sollte sich weiterhin nichts ändern. Durch die Arbeit an dem offenen Brief sind viele Kontakte entstanden oder intensiviert worden, die man für überregionale Aktionen nutzen könnte. Bisher haben höchstens Einzelne protestiert, wie die 13-jährige Yasmin T., die in Hagen demonstrativ bei Eiseskälte im Schulhof dem Unterricht folgte.

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger schrieb Mitte Januar auf Twitter, es sei ihr wichtig "dass die Schülerinnen und Schüler wissen, dass sie gesehen und gehört werden". Sie wolle mit ihnen "künftig noch stärker in den Austausch gehen". Laura Körner und Anjo Genow würde das freuen. In ihren Augen gibt es den Austausch zwischen Schülern und Politik noch gar nicht.

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